pse_462.001 daß hier erzählt wird, daß sich irgend jemand als Erzähler vernehmbar pse_462.002 macht. Daß der Erzähler auch scheinbar ganz zurücktreten pse_462.003 kann, werden wir noch prüfen; aber liegt nicht in pse_462.004 seinem Zurücktreten wieder eine Art zu erzählen?
pse_462.005 Auch der Hörer oder Leser stellt sich zu etwas Erzähltem pse_462.006 anders ein als zu einem Bericht aus der außersprachlichen pse_462.007 Wirklichkeit. Ein Polizeibeamter hört einen protokollarischen pse_462.008 Bericht immer mit dem Blick auf das wirklich Geschehene an. pse_462.009 Wenn wir eine spannende Erzählung hören, versinkt die pse_462.010 Außenwelt, wir leben in einer, die eben der Erzähler durch pse_462.011 seine Kunst vor uns aufbaut. Den gleichen Unterschied beobachten pse_462.012 wir, wenn wir in der Zeitung einen politischen Bericht pse_462.013 lesen oder einen Fortsetzungsroman.
pse_462.014 Das führt uns nochmals von anderer Seite auf den Wirklichkeitsbezugpse_462.015 und die Weltgestaltung im epischen Schaffen. Aus pse_462.016 allem, was wir bisher über die Sprachgestaltung gehört haben, pse_462.017 ergibt sich, daß für die epische Dichtung zwei scheinbar entgegengesetzte pse_462.018 Tatsachen nebeneinander bestehen. Die eine: pse_462.019 Die dichterische Welt hat einen Bezug zur außersprachlichen pse_462.020 Wirklichkeit. Denn da Dichtung in Sprache gestaltet und die pse_462.021 Sprache immer als Neuaufbau einer Wirklichkeit zu einer pse_462.022 außersprachlichen Bezug hat, am deutlichsten schon in der pse_462.023 sogenannten Bedeutung der Worte, muß auch Dichtung zur pse_462.024 außersprachlichen Wirklichkeit eine Beziehung haben. Auch pse_462.025 sind die Aufbauglieder der dichterischen Welt dieselben wie pse_462.026 die der außersprachlichen Wirklichkeit; es sind dieselben pse_462.027 Strukturkategorien, die einen außersprachlichen und einen pse_462.028 dichterisch gestalteten Vorgang bestimmen: ursächliche Zusammenhänge, pse_462.029 Einwirkung, Zusammenstoßen, Trennen, Miteinandersein, pse_462.030 innere Gegensätzlichkeit, besonders aber Raum pse_462.031 und Zeit. Auch in Märchen und Utopien kann das beobachtet pse_462.032 werden. Es treten hier Wirklichkeitsstücke zusammen, die pse_462.033 in Wirklichkeit nie beisammen sind. Aber die Glieder selbst pse_462.034 sind nach den angedeuteten Kategorien gebaut. Sprengungen pse_462.035 und Lockerungen dieser Gesetze geschehen immer nur in pse_462.036 bezug auf die Aufbaugesetzlichkeiten der realen Welt, sie pse_462.037 wirken nur auf dem Hintergrund solcher Gesetzlichkeiten. pse_462.038 Das Wunder im Märchen ist deshalb wirkungsvoll, weil es
pse_462.001 daß hier erzählt wird, daß sich irgend jemand als Erzähler vernehmbar pse_462.002 macht. Daß der Erzähler auch scheinbar ganz zurücktreten pse_462.003 kann, werden wir noch prüfen; aber liegt nicht in pse_462.004 seinem Zurücktreten wieder eine Art zu erzählen?
pse_462.005 Auch der Hörer oder Leser stellt sich zu etwas Erzähltem pse_462.006 anders ein als zu einem Bericht aus der außersprachlichen pse_462.007 Wirklichkeit. Ein Polizeibeamter hört einen protokollarischen pse_462.008 Bericht immer mit dem Blick auf das wirklich Geschehene an. pse_462.009 Wenn wir eine spannende Erzählung hören, versinkt die pse_462.010 Außenwelt, wir leben in einer, die eben der Erzähler durch pse_462.011 seine Kunst vor uns aufbaut. Den gleichen Unterschied beobachten pse_462.012 wir, wenn wir in der Zeitung einen politischen Bericht pse_462.013 lesen oder einen Fortsetzungsroman.
pse_462.014 Das führt uns nochmals von anderer Seite auf den Wirklichkeitsbezugpse_462.015 und die Weltgestaltung im epischen Schaffen. Aus pse_462.016 allem, was wir bisher über die Sprachgestaltung gehört haben, pse_462.017 ergibt sich, daß für die epische Dichtung zwei scheinbar entgegengesetzte pse_462.018 Tatsachen nebeneinander bestehen. Die eine: pse_462.019 Die dichterische Welt hat einen Bezug zur außersprachlichen pse_462.020 Wirklichkeit. Denn da Dichtung in Sprache gestaltet und die pse_462.021 Sprache immer als Neuaufbau einer Wirklichkeit zu einer pse_462.022 außersprachlichen Bezug hat, am deutlichsten schon in der pse_462.023 sogenannten Bedeutung der Worte, muß auch Dichtung zur pse_462.024 außersprachlichen Wirklichkeit eine Beziehung haben. Auch pse_462.025 sind die Aufbauglieder der dichterischen Welt dieselben wie pse_462.026 die der außersprachlichen Wirklichkeit; es sind dieselben pse_462.027 Strukturkategorien, die einen außersprachlichen und einen pse_462.028 dichterisch gestalteten Vorgang bestimmen: ursächliche Zusammenhänge, pse_462.029 Einwirkung, Zusammenstoßen, Trennen, Miteinandersein, pse_462.030 innere Gegensätzlichkeit, besonders aber Raum pse_462.031 und Zeit. Auch in Märchen und Utopien kann das beobachtet pse_462.032 werden. Es treten hier Wirklichkeitsstücke zusammen, die pse_462.033 in Wirklichkeit nie beisammen sind. Aber die Glieder selbst pse_462.034 sind nach den angedeuteten Kategorien gebaut. Sprengungen pse_462.035 und Lockerungen dieser Gesetze geschehen immer nur in pse_462.036 bezug auf die Aufbaugesetzlichkeiten der realen Welt, sie pse_462.037 wirken nur auf dem Hintergrund solcher Gesetzlichkeiten. pse_462.038 Das Wunder im Märchen ist deshalb wirkungsvoll, weil es
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daß hier erzählt wird, daß sich irgend jemand als Erzähler vernehmbar pse_462.002
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kann, werden wir noch prüfen; aber liegt nicht in pse_462.004
seinem Zurücktreten wieder eine Art zu erzählen?
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Auch der Hörer oder Leser stellt sich zu etwas Erzähltem pse_462.006
anders ein als zu einem Bericht aus der außersprachlichen pse_462.007
Wirklichkeit. Ein Polizeibeamter hört einen protokollarischen pse_462.008
Bericht immer mit dem Blick auf das wirklich Geschehene an. pse_462.009
Wenn wir eine spannende Erzählung hören, versinkt die pse_462.010
Außenwelt, wir leben in einer, die eben der Erzähler durch pse_462.011
seine Kunst vor uns aufbaut. Den gleichen Unterschied beobachten pse_462.012
wir, wenn wir in der Zeitung einen politischen Bericht pse_462.013
lesen oder einen Fortsetzungsroman.
pse_462.014
Das führt uns nochmals von anderer Seite auf den Wirklichkeitsbezug pse_462.015
und die Weltgestaltung im epischen Schaffen. Aus pse_462.016
allem, was wir bisher über die Sprachgestaltung gehört haben, pse_462.017
ergibt sich, daß für die epische Dichtung zwei scheinbar entgegengesetzte pse_462.018
Tatsachen nebeneinander bestehen. Die eine: pse_462.019
Die dichterische Welt hat einen Bezug zur außersprachlichen pse_462.020
Wirklichkeit. Denn da Dichtung in Sprache gestaltet und die pse_462.021
Sprache immer als Neuaufbau einer Wirklichkeit zu einer pse_462.022
außersprachlichen Bezug hat, am deutlichsten schon in der pse_462.023
sogenannten Bedeutung der Worte, muß auch Dichtung zur pse_462.024
außersprachlichen Wirklichkeit eine Beziehung haben. Auch pse_462.025
sind die Aufbauglieder der dichterischen Welt dieselben wie pse_462.026
die der außersprachlichen Wirklichkeit; es sind dieselben pse_462.027
Strukturkategorien, die einen außersprachlichen und einen pse_462.028
dichterisch gestalteten Vorgang bestimmen: ursächliche Zusammenhänge, pse_462.029
Einwirkung, Zusammenstoßen, Trennen, Miteinandersein, pse_462.030
innere Gegensätzlichkeit, besonders aber Raum pse_462.031
und Zeit. Auch in Märchen und Utopien kann das beobachtet pse_462.032
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in Wirklichkeit nie beisammen sind. Aber die Glieder selbst pse_462.034
sind nach den angedeuteten Kategorien gebaut. Sprengungen pse_462.035
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Das Wunder im Märchen ist deshalb wirkungsvoll, weil es
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 462. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/478>, abgerufen am 22.11.2024.
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