pse_424.001 dem Dichter auf die Erlebnisgestaltung ankommt, also auf pse_424.002 die Art, wie die sprechende Person vom Ereignis betroffen pse_424.003 wird, oder auf die Darstellung des Ereignisses, das er dadurch pse_424.004 besonders wirksam erzählt, daß er die innere Betroffenheit eines pse_424.005 Menschen mit einformt. Die Unentschiedenheit bedeutet kein pse_424.006 negatives Werturteil. Auch nicht alle Leser werden immer pse_424.007 gleich entscheiden. Aber gerade die Herausstellung gewisser pse_424.008 Formtypen ermöglicht, wie dieses Beispiel zeigt, die Eigenart pse_424.009 einer Dichtung auf dem Hintergrund solcher Gesetzlichkeiten pse_424.010 besonders klar zu erkennen. Wir werden also auf diese pse_424.011 Dichtungsart bei der Ballade nochmals zu sprechen kommen. pse_424.012 Tatsächlich gibt es einige, die man beinahe als Balladen bezeichnen pse_424.013 könnte, besonders die von C. F. Meyer erwähnten.
pse_424.014 Eine andere berühmte Form dieser gespannten Lyrik ist pse_424.015 das Sonett. Die Strophenform und ihre Wandlungsmöglichkeiten pse_424.016 haben wir schon besprochen (S. 201 f.). Die strenge Form pse_424.017 zwingt jeden Gehalt in eine bestimmte Richtung. Die Spannung pse_424.018 zwischen dem Gehalt und der Form steht hier also pse_424.019 stark im Vordergrund. Zugleich aber läßt solche Form die pse_424.020 lyrische Verinnerung kaum zu. Gewiß hat auch das Lied eine pse_424.021 strenge Form, aber sie ist einfacher, nicht so verschlungen, pse_424.022 und vor allem in der Länge nicht fest umgrenzt. Nur ein pse_424.023 Gehalt, ein Weltausschnitt, dem der Dichter kritisch, distanzhaltend pse_424.024 gegenübersteht und den er auf die Formmöglichkeiten pse_424.025 hin erkennt, wird sich in solche Form bannen lassen. pse_424.026 Das glückt in den seltensten Fällen; dann nämlich, wenn pse_424.027 auch im Gehalt die ersten zwei Strophen den letzten beiden in pse_424.028 gewissem Sinne gegenüber- oder entgegenstehen, wenn die pse_424.029 Urform des Auf- und Abgesangs auch vom Sinn her erfüllt pse_424.030 wird. Meisterhaft in dieser Hinsicht ist das erste der Goethe- pse_424.031 Sonette:
pse_424.032
Ein Strom entrauscht umwölktem Felsensaale,pse_424.033 Dem Ozean sich eilig zu verbinden;pse_424.034 Was auch sich spiegeln mag von Grund zu Gründen,pse_424.035 Er wandelt unaufhaltsam fort zu Tale.
pse_424.036 Dämonisch aber stürzt mit einem Male --pse_424.037 Ihr folgen Berg und Wald in Wirbelwinden --pse_424.038 Sich Oreas, Behagen dort zu finden,pse_424.039 Und hemmt den Lauf, begrenzt die weite Schale.
pse_424.001 dem Dichter auf die Erlebnisgestaltung ankommt, also auf pse_424.002 die Art, wie die sprechende Person vom Ereignis betroffen pse_424.003 wird, oder auf die Darstellung des Ereignisses, das er dadurch pse_424.004 besonders wirksam erzählt, daß er die innere Betroffenheit eines pse_424.005 Menschen mit einformt. Die Unentschiedenheit bedeutet kein pse_424.006 negatives Werturteil. Auch nicht alle Leser werden immer pse_424.007 gleich entscheiden. Aber gerade die Herausstellung gewisser pse_424.008 Formtypen ermöglicht, wie dieses Beispiel zeigt, die Eigenart pse_424.009 einer Dichtung auf dem Hintergrund solcher Gesetzlichkeiten pse_424.010 besonders klar zu erkennen. Wir werden also auf diese pse_424.011 Dichtungsart bei der Ballade nochmals zu sprechen kommen. pse_424.012 Tatsächlich gibt es einige, die man beinahe als Balladen bezeichnen pse_424.013 könnte, besonders die von C. F. Meyer erwähnten.
pse_424.014 Eine andere berühmte Form dieser gespannten Lyrik ist pse_424.015 das Sonett. Die Strophenform und ihre Wandlungsmöglichkeiten pse_424.016 haben wir schon besprochen (S. 201 f.). Die strenge Form pse_424.017 zwingt jeden Gehalt in eine bestimmte Richtung. Die Spannung pse_424.018 zwischen dem Gehalt und der Form steht hier also pse_424.019 stark im Vordergrund. Zugleich aber läßt solche Form die pse_424.020 lyrische Verinnerung kaum zu. Gewiß hat auch das Lied eine pse_424.021 strenge Form, aber sie ist einfacher, nicht so verschlungen, pse_424.022 und vor allem in der Länge nicht fest umgrenzt. Nur ein pse_424.023 Gehalt, ein Weltausschnitt, dem der Dichter kritisch, distanzhaltend pse_424.024 gegenübersteht und den er auf die Formmöglichkeiten pse_424.025 hin erkennt, wird sich in solche Form bannen lassen. pse_424.026 Das glückt in den seltensten Fällen; dann nämlich, wenn pse_424.027 auch im Gehalt die ersten zwei Strophen den letzten beiden in pse_424.028 gewissem Sinne gegenüber- oder entgegenstehen, wenn die pse_424.029 Urform des Auf- und Abgesangs auch vom Sinn her erfüllt pse_424.030 wird. Meisterhaft in dieser Hinsicht ist das erste der Goethe- pse_424.031 Sonette:
pse_424.032
Ein Strom entrauscht umwölktem Felsensaale,pse_424.033 Dem Ozean sich eilig zu verbinden;pse_424.034 Was auch sich spiegeln mag von Grund zu Gründen,pse_424.035 Er wandelt unaufhaltsam fort zu Tale.
pse_424.036 Dämonisch aber stürzt mit einem Male —pse_424.037 Ihr folgen Berg und Wald in Wirbelwinden —pse_424.038 Sich Oreas, Behagen dort zu finden,pse_424.039 Und hemmt den Lauf, begrenzt die weite Schale.
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pse_424.001
dem Dichter auf die Erlebnisgestaltung ankommt, also auf pse_424.002
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wird, oder auf die Darstellung des Ereignisses, das er dadurch pse_424.004
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Menschen mit einformt. Die Unentschiedenheit bedeutet kein pse_424.006
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Formtypen ermöglicht, wie dieses Beispiel zeigt, die Eigenart pse_424.009
einer Dichtung auf dem Hintergrund solcher Gesetzlichkeiten pse_424.010
besonders klar zu erkennen. Wir werden also auf diese pse_424.011
Dichtungsart bei der Ballade nochmals zu sprechen kommen. pse_424.012
Tatsächlich gibt es einige, die man beinahe als Balladen bezeichnen pse_424.013
könnte, besonders die von C. F. Meyer erwähnten.
pse_424.014
Eine andere berühmte Form dieser gespannten Lyrik ist pse_424.015
das Sonett. Die Strophenform und ihre Wandlungsmöglichkeiten pse_424.016
haben wir schon besprochen (S. 201 f.). Die strenge Form pse_424.017
zwingt jeden Gehalt in eine bestimmte Richtung. Die Spannung pse_424.018
zwischen dem Gehalt und der Form steht hier also pse_424.019
stark im Vordergrund. Zugleich aber läßt solche Form die pse_424.020
lyrische Verinnerung kaum zu. Gewiß hat auch das Lied eine pse_424.021
strenge Form, aber sie ist einfacher, nicht so verschlungen, pse_424.022
und vor allem in der Länge nicht fest umgrenzt. Nur ein pse_424.023
Gehalt, ein Weltausschnitt, dem der Dichter kritisch, distanzhaltend pse_424.024
gegenübersteht und den er auf die Formmöglichkeiten pse_424.025
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gewissem Sinne gegenüber- oder entgegenstehen, wenn die pse_424.029
Urform des Auf- und Abgesangs auch vom Sinn her erfüllt pse_424.030
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pse_424.032
Ein Strom entrauscht umwölktem Felsensaale, pse_424.033
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Und hemmt den Lauf, begrenzt die weite Schale.
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 424. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/440>, abgerufen am 22.11.2024.
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