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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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spricht der alte Odysseus lang nach der Rückkehr nach pse_423.002
Ithaka, als er von der Sehnsucht nach den Irrfahrten ergriffen pse_423.003
wird und beschließt, sein Land seinem Sohn zu überlassen pse_423.004
und selbst mit den überlebenden Gefährten nach neuen Ländern, pse_423.005
und sei es bis ans Ende der Welt, zu fahren. Es ist nun pse_423.006
sehr schwer, solche Dichtungen in das übliche Schema einzuordnen. pse_423.007
Nebenbei finden sich Beispiele dafür auch bei C. F. pse_423.008
Meyer, z. B. "Der Ritt in den Tod", "Das kaiserliche Schreiben", pse_423.009
"Michelangelo und seine Statuen", "Cäsar Borjas Ohnmacht", pse_423.010
"Der Landgraf". Eindeutig ist, daß in solchen Dichtungen pse_423.011
das sprechende Ich eine ganz bestimmte, mehr oder pse_423.012
weniger umfangreiche Lage tief erlebt, in seinen Grundfesten pse_423.013
davon ergriffen wird, so daß in der Dichtung selbst beides, pse_423.014
die Situation und die Ergriffenheit, gestaltet ist: die Situation pse_423.015
wird nicht an sich, sondern nur als erlebte, in der Spiegelung pse_423.016
durch den Betroffenen herausgestellt, das Seelische offenbart pse_423.017
sich an der inneren Auseinandersetzung mit der Situation. pse_423.018
Das würde auf unsere Bestimmung der Lyrik treffen. pse_423.019
Deutlich ist in solchen Gedichten auch die Spannung zwischen pse_423.020
der Situation und dem Ich, das sich mit ihr innerlich pse_423.021
auseinandersetzen muß. Auch das berechtigt, diese Art von pse_423.022
Gedichten in die eben zu besprechende Gruppe einzuordnen. pse_423.023
Das Eigenartige an diesen Dramatic Monologues ist, daß pse_423.024
eine ganz scharf umrissene Person mit hineingestaltet wird, daß pse_423.025
also das sogenannte lyrische Ich hier greifbarere Formen annimmt. pse_423.026
Dadurch aber gewinnt auch die Erlebnisgestaltung pse_423.027
klarere Züge. Wir beobachten hier eine Darstellungsart, pse_423.028
die vor allem im modernen Roman wichtig geworden ist: pse_423.029
daß der Dichter nicht mehr von einem gewissen Standpunkt pse_423.030
aus erzählt, sondern daß er das Ganze vom Standpunkt einer pse_423.031
im Roman vorkommenden Person gestaltet. Damit aber pse_423.032
stoßen wir auf eine andere Tatsache: daß nämlich oft in pse_423.033
solchen Dramatic Monologues die Situation ein Ereignis ist, pse_423.034
das im Erlebnis der Person sich noch einmal spiegelt. Damit pse_423.035
aber rückt diese Form sehr nahe an die epische Gattung, pse_423.036
besonders an die Ballade heran. Wir haben es mit einer reinen pse_423.037
Übergangs- oder Zwischenform zu tun. Entscheidung könnte pse_423.038
nur bringen, wenn aus der Gestaltung völlig klar wird, ob es

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spricht der alte Odysseus lang nach der Rückkehr nach pse_423.002
Ithaka, als er von der Sehnsucht nach den Irrfahrten ergriffen pse_423.003
wird und beschließt, sein Land seinem Sohn zu überlassen pse_423.004
und selbst mit den überlebenden Gefährten nach neuen Ländern, pse_423.005
und sei es bis ans Ende der Welt, zu fahren. Es ist nun pse_423.006
sehr schwer, solche Dichtungen in das übliche Schema einzuordnen. pse_423.007
Nebenbei finden sich Beispiele dafür auch bei C. F. pse_423.008
Meyer, z. B. »Der Ritt in den Tod«, »Das kaiserliche Schreiben«, pse_423.009
»Michelangelo und seine Statuen«, »Cäsar Borjas Ohnmacht«, pse_423.010
»Der Landgraf«. Eindeutig ist, daß in solchen Dichtungen pse_423.011
das sprechende Ich eine ganz bestimmte, mehr oder pse_423.012
weniger umfangreiche Lage tief erlebt, in seinen Grundfesten pse_423.013
davon ergriffen wird, so daß in der Dichtung selbst beides, pse_423.014
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durch den Betroffenen herausgestellt, das Seelische offenbart pse_423.017
sich an der inneren Auseinandersetzung mit der Situation. pse_423.018
Das würde auf unsere Bestimmung der Lyrik treffen. pse_423.019
Deutlich ist in solchen Gedichten auch die Spannung zwischen pse_423.020
der Situation und dem Ich, das sich mit ihr innerlich pse_423.021
auseinandersetzen muß. Auch das berechtigt, diese Art von pse_423.022
Gedichten in die eben zu besprechende Gruppe einzuordnen. pse_423.023
Das Eigenartige an diesen Dramatic Monologues ist, daß pse_423.024
eine ganz scharf umrissene Person mit hineingestaltet wird, daß pse_423.025
also das sogenannte lyrische Ich hier greifbarere Formen annimmt. pse_423.026
Dadurch aber gewinnt auch die Erlebnisgestaltung pse_423.027
klarere Züge. Wir beobachten hier eine Darstellungsart, pse_423.028
die vor allem im modernen Roman wichtig geworden ist: pse_423.029
daß der Dichter nicht mehr von einem gewissen Standpunkt pse_423.030
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stoßen wir auf eine andere Tatsache: daß nämlich oft in pse_423.033
solchen Dramatic Monologues die Situation ein Ereignis ist, pse_423.034
das im Erlebnis der Person sich noch einmal spiegelt. Damit pse_423.035
aber rückt diese Form sehr nahe an die epische Gattung, pse_423.036
besonders an die Ballade heran. Wir haben es mit einer reinen pse_423.037
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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 423. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/439>, abgerufen am 22.11.2024.