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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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die Sprache hier ihre Funktion der Mitteilung von etwas pse_379.002
und wird Ausdruck eines Inneren oder allgemein Menschlichen. pse_379.003
Durch diesen Ausdrucksakt entsteht ein sprachliches pse_379.004
Gebilde eigener Art, in dem der Ausdruck zu einem für sich pse_379.005
bestehenden Gebilde geprägt wird. Was an "Objektivem" pse_379.006
in ein solches dichterisches Gebilde eingeht, wird in diese pse_379.007
innere Haltung hereingezogen.

pse_379.008

[Beginn Spaltensatz]

Es war, als hätt der Himmel pse_379.009
Die Erde still geküßt, pse_379.010
Daß sie im Blütenschimmer pse_379.011
Von ihm nun träumen müßt.
[Spaltenumbruch] pse_379.101
Die Luft ging durch die Felder pse_379.102
Die Ähren wogten sacht, pse_379.103
Es rauschten leis die Wälder, pse_379.104
So sternklar war die Nacht.
[Ende Spaltensatz] pse_379.105
Und meine Seele spannte pse_379.106
Weit ihre Flügel aus, pse_379.107
Flog durch die stillen Lande, pse_379.108
Als flöge sie nach Haus.
(Eichendorff, Mondnacht)

pse_379.109

Die zweite Strophe scheint auf den ersten Blick reine Darstellung pse_379.110
außersprachlicher Sachverhalte. Aber nur auf den pse_379.111
ersten. Denn durch die Strophe geht ein klarer Rhythmus be pse_379.112
stimmter Art, der die ganze Aussage sofort aus dem Bereich pse_379.113
bloßer Sachdarstellung heraushebt. Auch die Reihung der pse_379.114
vier Bilder zu einem Ganzen baut gleichsam etwas Neues pse_379.115
auf. Der dritte Vers ist in seiner Reihung nicht nüchterne pse_379.116
Prosa, sondern betont einen stimmungshaften Gehalt. Und pse_379.117
das "so" im letzten Vers ist nun unmittelbarer Ausdruck. Damit pse_379.118
wird schon die Strophe an sich deutlich auch Ausdruck pse_379.119
einer Stimmung, der Sachverhalt wird in den Erlebnisbereich pse_379.120
eines Ich hereingezogen und zugleich durch die Sprachkunst pse_379.121
mit stillsten Mitteln zu einer eigenen kleinen Welt gemacht. pse_379.122
So wird also hier durch ganz einfache, aber sehr wirkungsvolle pse_379.123
Mittel Außenwelt in persönliches Erleben hereingezogen, pse_379.124
ihrer Sachlichkeit entkleidet und aus Welthaltigkeit und pse_379.125
menschlicher Haltung ein ganzheitliches Gebilde rein im pse_379.126
Sprachbereich geschaffen. Aber die Strophe ist von zweien pse_379.127
umgeben, in denen diese Haltung von vornherein ganz eindeutig pse_379.128
ist. Beide gehen deutlich von persönlichem Ergriffensein pse_379.129
in der Gestaltung aus. In dieser sprachlichen Umwelt pse_379.130
wird der eben gekennzeichnete Charakter der zweiten pse_379.131
Strophe noch viel mehr herausgehoben. Wir erkennen nun

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die Sprache hier ihre Funktion der Mitteilung von etwas pse_379.002
und wird Ausdruck eines Inneren oder allgemein Menschlichen. pse_379.003
Durch diesen Ausdrucksakt entsteht ein sprachliches pse_379.004
Gebilde eigener Art, in dem der Ausdruck zu einem für sich pse_379.005
bestehenden Gebilde geprägt wird. Was an »Objektivem« pse_379.006
in ein solches dichterisches Gebilde eingeht, wird in diese pse_379.007
innere Haltung hereingezogen.

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[Beginn Spaltensatz]

Es war, als hätt der Himmel pse_379.009
Die Erde still geküßt, pse_379.010
Daß sie im Blütenschimmer pse_379.011
Von ihm nun träumen müßt.
[Spaltenumbruch] pse_379.101
Die Luft ging durch die Felder pse_379.102
Die Ähren wogten sacht, pse_379.103
Es rauschten leis die Wälder, pse_379.104
So sternklar war die Nacht.
[Ende Spaltensatz] pse_379.105
Und meine Seele spannte pse_379.106
Weit ihre Flügel aus, pse_379.107
Flog durch die stillen Lande, pse_379.108
Als flöge sie nach Haus.
(Eichendorff, Mondnacht)

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Die zweite Strophe scheint auf den ersten Blick reine Darstellung pse_379.110
außersprachlicher Sachverhalte. Aber nur auf den pse_379.111
ersten. Denn durch die Strophe geht ein klarer Rhythmus be pse_379.112
stimmter Art, der die ganze Aussage sofort aus dem Bereich pse_379.113
bloßer Sachdarstellung heraushebt. Auch die Reihung der pse_379.114
vier Bilder zu einem Ganzen baut gleichsam etwas Neues pse_379.115
auf. Der dritte Vers ist in seiner Reihung nicht nüchterne pse_379.116
Prosa, sondern betont einen stimmungshaften Gehalt. Und pse_379.117
das »so« im letzten Vers ist nun unmittelbarer Ausdruck. Damit pse_379.118
wird schon die Strophe an sich deutlich auch Ausdruck pse_379.119
einer Stimmung, der Sachverhalt wird in den Erlebnisbereich pse_379.120
eines Ich hereingezogen und zugleich durch die Sprachkunst pse_379.121
mit stillsten Mitteln zu einer eigenen kleinen Welt gemacht. pse_379.122
So wird also hier durch ganz einfache, aber sehr wirkungsvolle pse_379.123
Mittel Außenwelt in persönliches Erleben hereingezogen, pse_379.124
ihrer Sachlichkeit entkleidet und aus Welthaltigkeit und pse_379.125
menschlicher Haltung ein ganzheitliches Gebilde rein im pse_379.126
Sprachbereich geschaffen. Aber die Strophe ist von zweien pse_379.127
umgeben, in denen diese Haltung von vornherein ganz eindeutig pse_379.128
ist. Beide gehen deutlich von persönlichem Ergriffensein pse_379.129
in der Gestaltung aus. In dieser sprachlichen Umwelt pse_379.130
wird der eben gekennzeichnete Charakter der zweiten pse_379.131
Strophe noch viel mehr herausgehoben. Wir erkennen nun

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[379/0395] pse_379.001 die Sprache hier ihre Funktion der Mitteilung von etwas pse_379.002 und wird Ausdruck eines Inneren oder allgemein Menschlichen. pse_379.003 Durch diesen Ausdrucksakt entsteht ein sprachliches pse_379.004 Gebilde eigener Art, in dem der Ausdruck zu einem für sich pse_379.005 bestehenden Gebilde geprägt wird. Was an »Objektivem« pse_379.006 in ein solches dichterisches Gebilde eingeht, wird in diese pse_379.007 innere Haltung hereingezogen. pse_379.008 Es war, als hätt der Himmel pse_379.009 Die Erde still geküßt, pse_379.010 Daß sie im Blütenschimmer pse_379.011 Von ihm nun träumen müßt. pse_379.101 Die Luft ging durch die Felder pse_379.102 Die Ähren wogten sacht, pse_379.103 Es rauschten leis die Wälder, pse_379.104 So sternklar war die Nacht. pse_379.105 Und meine Seele spannte pse_379.106 Weit ihre Flügel aus, pse_379.107 Flog durch die stillen Lande, pse_379.108 Als flöge sie nach Haus. (Eichendorff, Mondnacht) pse_379.109 Die zweite Strophe scheint auf den ersten Blick reine Darstellung pse_379.110 außersprachlicher Sachverhalte. Aber nur auf den pse_379.111 ersten. Denn durch die Strophe geht ein klarer Rhythmus be pse_379.112 stimmter Art, der die ganze Aussage sofort aus dem Bereich pse_379.113 bloßer Sachdarstellung heraushebt. Auch die Reihung der pse_379.114 vier Bilder zu einem Ganzen baut gleichsam etwas Neues pse_379.115 auf. Der dritte Vers ist in seiner Reihung nicht nüchterne pse_379.116 Prosa, sondern betont einen stimmungshaften Gehalt. Und pse_379.117 das »so« im letzten Vers ist nun unmittelbarer Ausdruck. Damit pse_379.118 wird schon die Strophe an sich deutlich auch Ausdruck pse_379.119 einer Stimmung, der Sachverhalt wird in den Erlebnisbereich pse_379.120 eines Ich hereingezogen und zugleich durch die Sprachkunst pse_379.121 mit stillsten Mitteln zu einer eigenen kleinen Welt gemacht. pse_379.122 So wird also hier durch ganz einfache, aber sehr wirkungsvolle pse_379.123 Mittel Außenwelt in persönliches Erleben hereingezogen, pse_379.124 ihrer Sachlichkeit entkleidet und aus Welthaltigkeit und pse_379.125 menschlicher Haltung ein ganzheitliches Gebilde rein im pse_379.126 Sprachbereich geschaffen. Aber die Strophe ist von zweien pse_379.127 umgeben, in denen diese Haltung von vornherein ganz eindeutig pse_379.128 ist. Beide gehen deutlich von persönlichem Ergriffensein pse_379.129 in der Gestaltung aus. In dieser sprachlichen Umwelt pse_379.130 wird der eben gekennzeichnete Charakter der zweiten pse_379.131 Strophe noch viel mehr herausgehoben. Wir erkennen nun

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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/395>, abgerufen am 22.11.2024.