pse_368.001 Form lange nicht so gebunden sind, zurücktreten. Für pse_368.002 die Elegie scheint sich das Distichon besonders zu eignen, pse_368.003 ebenso auch für das Epigramm. Bei diesem ist das leicht zu pse_368.004 begreifen: Epigramme verlangen einen klaren Abschluß, der pse_368.005 ist gerade im Distichon besonders deutlich ausgeprägt.
pse_368.006 Im Lauf der Zeit werden besonders kleinere Arten zu klar pse_368.007 umschriebenen Gebilden, in denen nun auch ein ganz bestimmter pse_368.008 Gehalt geformt erscheint. Es entwickeln sich so pse_368.009 feste Formen, die von vornherein auf einen ganz bestimmten pse_368.010 Weltgehalt, auf ganz bestimmte Ausschnitte oder Sichtweisen pse_368.011 auf die Welt zugeschnitten sind. Neben den schon erwähnten pse_368.012 wie Sonett, Ode, Epigramm und Elegie etwa auch die Satire, pse_368.013 die Idylle, die Groteske und die Parabel.
pse_368.014 Die großen Künstler und ihre Werke haben nun für die pse_368.015 Ausbildung und Gestaltung bestimmter dichterischer Arten pse_368.016 eine besondere Bedeutung. Zunächst können die geheiligten pse_368.017 Formen einer Tradition durch sie fragwürdig werden. Denn pse_368.018 große Dichter können sie entweder zerbrechen, wie das Goethe pse_368.019 im ersten Teil des "Faust" ganz unbedingt tut, wie es Gryphius pse_368.020 und Rilke mit der Sonettenform vielfach getan haben. Sie pse_368.021 können aber die Arten aus Erstarrung befreien und innerlich pse_368.022 erweitern. Das erkennt man deutlich an der Entwicklung pse_368.023 der Novellenform durch die großen Dichter der frühen Neuzeit. pse_368.024 Sie können aber auch die Gesetzlichkeiten dichterischer pse_368.025 Arten und Gattungen festigen und unterbauen, wie das Goethe pse_368.026 und Schiller in ihrem Briefverkehr mit Epik und Dramatik pse_368.027 getan haben. Große dichterische Leistungen können dann auch pse_368.028 Muster werden, nach ihnen beginnen sich kleinere Dichter, pse_368.029 Nachahmer auszurichten. Denn sie spüren, daß die von den pse_368.030 großen geprägten Gattungsformen gleichsam optimale Lösungen pse_368.031 dichterischer Formung darstellen. So werden mit der pse_368.032 Zeit aus großen Dichtungen, die über das Konventionelle pse_368.033 hinausragen, Musterformen, die eine neue Konvention einleiten. pse_368.034 Die Musterhaftigkeit großer Gattungsformen führt pse_368.035 dann zum Begriff des Klassischen als des Vorbildhaften.
pse_368.036 Aus all diesen Verflechtungen heraus bildet sich nun doch pse_368.037 mit der Zeit ein Gerüst, das uns hilft, Dichtungen ihrer gestalterischen pse_368.038 und gehaltlichen Art nach einzuordnen und so
pse_368.001 Form lange nicht so gebunden sind, zurücktreten. Für pse_368.002 die Elegie scheint sich das Distichon besonders zu eignen, pse_368.003 ebenso auch für das Epigramm. Bei diesem ist das leicht zu pse_368.004 begreifen: Epigramme verlangen einen klaren Abschluß, der pse_368.005 ist gerade im Distichon besonders deutlich ausgeprägt.
pse_368.006 Im Lauf der Zeit werden besonders kleinere Arten zu klar pse_368.007 umschriebenen Gebilden, in denen nun auch ein ganz bestimmter pse_368.008 Gehalt geformt erscheint. Es entwickeln sich so pse_368.009 feste Formen, die von vornherein auf einen ganz bestimmten pse_368.010 Weltgehalt, auf ganz bestimmte Ausschnitte oder Sichtweisen pse_368.011 auf die Welt zugeschnitten sind. Neben den schon erwähnten pse_368.012 wie Sonett, Ode, Epigramm und Elegie etwa auch die Satire, pse_368.013 die Idylle, die Groteske und die Parabel.
pse_368.014 Die großen Künstler und ihre Werke haben nun für die pse_368.015 Ausbildung und Gestaltung bestimmter dichterischer Arten pse_368.016 eine besondere Bedeutung. Zunächst können die geheiligten pse_368.017 Formen einer Tradition durch sie fragwürdig werden. Denn pse_368.018 große Dichter können sie entweder zerbrechen, wie das Goethe pse_368.019 im ersten Teil des »Faust« ganz unbedingt tut, wie es Gryphius pse_368.020 und Rilke mit der Sonettenform vielfach getan haben. Sie pse_368.021 können aber die Arten aus Erstarrung befreien und innerlich pse_368.022 erweitern. Das erkennt man deutlich an der Entwicklung pse_368.023 der Novellenform durch die großen Dichter der frühen Neuzeit. pse_368.024 Sie können aber auch die Gesetzlichkeiten dichterischer pse_368.025 Arten und Gattungen festigen und unterbauen, wie das Goethe pse_368.026 und Schiller in ihrem Briefverkehr mit Epik und Dramatik pse_368.027 getan haben. Große dichterische Leistungen können dann auch pse_368.028 Muster werden, nach ihnen beginnen sich kleinere Dichter, pse_368.029 Nachahmer auszurichten. Denn sie spüren, daß die von den pse_368.030 großen geprägten Gattungsformen gleichsam optimale Lösungen pse_368.031 dichterischer Formung darstellen. So werden mit der pse_368.032 Zeit aus großen Dichtungen, die über das Konventionelle pse_368.033 hinausragen, Musterformen, die eine neue Konvention einleiten. pse_368.034 Die Musterhaftigkeit großer Gattungsformen führt pse_368.035 dann zum Begriff des Klassischen als des Vorbildhaften.
pse_368.036 Aus all diesen Verflechtungen heraus bildet sich nun doch pse_368.037 mit der Zeit ein Gerüst, das uns hilft, Dichtungen ihrer gestalterischen pse_368.038 und gehaltlichen Art nach einzuordnen und so
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0384"n="368"/><lbn="pse_368.001"/>
Form lange nicht so gebunden sind, zurücktreten. Für <lbn="pse_368.002"/>
die Elegie scheint sich das Distichon besonders zu eignen, <lbn="pse_368.003"/>
ebenso auch für das Epigramm. Bei diesem ist das leicht zu <lbn="pse_368.004"/>
begreifen: Epigramme verlangen einen klaren Abschluß, der <lbn="pse_368.005"/>
ist gerade im Distichon besonders deutlich ausgeprägt.</p><p><lbn="pse_368.006"/>
Im Lauf der Zeit werden besonders kleinere Arten zu klar <lbn="pse_368.007"/>
umschriebenen Gebilden, in denen nun auch ein ganz bestimmter <lbn="pse_368.008"/>
Gehalt geformt erscheint. Es entwickeln sich so <lbn="pse_368.009"/>
feste Formen, die von vornherein auf einen ganz bestimmten <lbn="pse_368.010"/>
Weltgehalt, auf ganz bestimmte Ausschnitte oder Sichtweisen <lbn="pse_368.011"/>
auf die Welt zugeschnitten sind. Neben den schon erwähnten <lbn="pse_368.012"/>
wie Sonett, Ode, Epigramm und Elegie etwa auch die Satire, <lbn="pse_368.013"/>
die Idylle, die Groteske und die Parabel.</p><p><lbn="pse_368.014"/>
Die großen Künstler und ihre Werke haben nun für die <lbn="pse_368.015"/>
Ausbildung und Gestaltung bestimmter dichterischer Arten <lbn="pse_368.016"/>
eine besondere Bedeutung. Zunächst können die geheiligten <lbn="pse_368.017"/>
Formen einer Tradition durch sie fragwürdig werden. Denn <lbn="pse_368.018"/>
große Dichter können sie entweder zerbrechen, wie das Goethe <lbn="pse_368.019"/>
im ersten Teil des »Faust« ganz unbedingt tut, wie es Gryphius <lbn="pse_368.020"/>
und Rilke mit der Sonettenform vielfach getan haben. Sie <lbn="pse_368.021"/>
können aber die Arten aus Erstarrung befreien und innerlich <lbn="pse_368.022"/>
erweitern. Das erkennt man deutlich an der Entwicklung <lbn="pse_368.023"/>
der Novellenform durch die großen Dichter der frühen Neuzeit. <lbn="pse_368.024"/>
Sie können aber auch die Gesetzlichkeiten dichterischer <lbn="pse_368.025"/>
Arten und Gattungen festigen und unterbauen, wie das Goethe <lbn="pse_368.026"/>
und Schiller in ihrem Briefverkehr mit Epik und Dramatik <lbn="pse_368.027"/>
getan haben. Große dichterische Leistungen können dann auch <lbn="pse_368.028"/>
Muster werden, nach ihnen beginnen sich kleinere Dichter, <lbn="pse_368.029"/>
Nachahmer auszurichten. Denn sie spüren, daß die von den <lbn="pse_368.030"/>
großen geprägten Gattungsformen gleichsam optimale Lösungen <lbn="pse_368.031"/>
dichterischer Formung darstellen. So werden mit der <lbn="pse_368.032"/>
Zeit aus großen Dichtungen, die über das Konventionelle <lbn="pse_368.033"/>
hinausragen, Musterformen, die eine neue Konvention einleiten. <lbn="pse_368.034"/>
Die Musterhaftigkeit großer Gattungsformen führt <lbn="pse_368.035"/>
dann zum Begriff des Klassischen als des Vorbildhaften.</p><p><lbn="pse_368.036"/>
Aus all diesen Verflechtungen heraus bildet sich nun doch <lbn="pse_368.037"/>
mit der Zeit ein Gerüst, das uns hilft, Dichtungen ihrer gestalterischen <lbn="pse_368.038"/>
und gehaltlichen Art nach einzuordnen und so
</p></div></div></div></body></text></TEI>
[368/0384]
pse_368.001
Form lange nicht so gebunden sind, zurücktreten. Für pse_368.002
die Elegie scheint sich das Distichon besonders zu eignen, pse_368.003
ebenso auch für das Epigramm. Bei diesem ist das leicht zu pse_368.004
begreifen: Epigramme verlangen einen klaren Abschluß, der pse_368.005
ist gerade im Distichon besonders deutlich ausgeprägt.
pse_368.006
Im Lauf der Zeit werden besonders kleinere Arten zu klar pse_368.007
umschriebenen Gebilden, in denen nun auch ein ganz bestimmter pse_368.008
Gehalt geformt erscheint. Es entwickeln sich so pse_368.009
feste Formen, die von vornherein auf einen ganz bestimmten pse_368.010
Weltgehalt, auf ganz bestimmte Ausschnitte oder Sichtweisen pse_368.011
auf die Welt zugeschnitten sind. Neben den schon erwähnten pse_368.012
wie Sonett, Ode, Epigramm und Elegie etwa auch die Satire, pse_368.013
die Idylle, die Groteske und die Parabel.
pse_368.014
Die großen Künstler und ihre Werke haben nun für die pse_368.015
Ausbildung und Gestaltung bestimmter dichterischer Arten pse_368.016
eine besondere Bedeutung. Zunächst können die geheiligten pse_368.017
Formen einer Tradition durch sie fragwürdig werden. Denn pse_368.018
große Dichter können sie entweder zerbrechen, wie das Goethe pse_368.019
im ersten Teil des »Faust« ganz unbedingt tut, wie es Gryphius pse_368.020
und Rilke mit der Sonettenform vielfach getan haben. Sie pse_368.021
können aber die Arten aus Erstarrung befreien und innerlich pse_368.022
erweitern. Das erkennt man deutlich an der Entwicklung pse_368.023
der Novellenform durch die großen Dichter der frühen Neuzeit. pse_368.024
Sie können aber auch die Gesetzlichkeiten dichterischer pse_368.025
Arten und Gattungen festigen und unterbauen, wie das Goethe pse_368.026
und Schiller in ihrem Briefverkehr mit Epik und Dramatik pse_368.027
getan haben. Große dichterische Leistungen können dann auch pse_368.028
Muster werden, nach ihnen beginnen sich kleinere Dichter, pse_368.029
Nachahmer auszurichten. Denn sie spüren, daß die von den pse_368.030
großen geprägten Gattungsformen gleichsam optimale Lösungen pse_368.031
dichterischer Formung darstellen. So werden mit der pse_368.032
Zeit aus großen Dichtungen, die über das Konventionelle pse_368.033
hinausragen, Musterformen, die eine neue Konvention einleiten. pse_368.034
Die Musterhaftigkeit großer Gattungsformen führt pse_368.035
dann zum Begriff des Klassischen als des Vorbildhaften.
pse_368.036
Aus all diesen Verflechtungen heraus bildet sich nun doch pse_368.037
mit der Zeit ein Gerüst, das uns hilft, Dichtungen ihrer gestalterischen pse_368.038
und gehaltlichen Art nach einzuordnen und so
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:
Bogensignaturen: keine Angabe;
Druckfehler: keine Angabe;
fremdsprachliches Material: gekennzeichnet;
Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage;
i/j in Fraktur: wie Vorlage;
I/J in Fraktur: wie Vorlage;
Kolumnentitel: nicht übernommen;
Kustoden: nicht übernommen;
langes s (ſ): wie Vorlage;
Normalisierungen: keine;
rundes r (ꝛ): wie Vorlage;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: nicht übernommen;
u/v bzw. U/V: wie Vorlage;
Vokale mit übergest. e: wie Vorlage;
Vollständigkeit: vollständig erfasst;
Zeichensetzung: wie Vorlage;
Zeilenumbrüche markiert: ja;
Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 368. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/384>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.