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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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Das ist die Grundhaltung des Epischen. Wir erkennen sie pse_352.002
klar in ältesten uns erhaltenen Formen der epischen Dichtung, pse_352.003
im Epos, also vor allem in den homerischen Dichtungen. pse_352.004
Wieder darf diese Grundhaltung nicht einfach auf die Epik pse_352.005
überhaupt übertragen werden. Es gibt epische Dichtungen, pse_352.006
die kaum etwas mit dieser Haltung zu tun haben. Ich weise pse_352.007
etwa jetzt schon auf eine knappe Ballade hin. Wir wollen pse_352.008
wieder festhalten, daß es sich hier um eine andere, jetzt die pse_352.009
dritte, Grundhaltung handelt, die sich in Sprachkunstwerken pse_352.010
ausformt. Wir nennen diese Haltung das Epische.

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4. Eine vierte Grundhaltung möchte ich ganz allgemein pse_352.012
das Hingerissensein nennen. Sie zeigt sich in zwei Formen. pse_352.013
Einmal als das Pathetische. Ein pathetischer Mensch stimmt pse_352.014
sich nicht mehr ein, er betrachtet nicht ruhig und hat auch pse_352.015
nicht die Geduld, zuzuschauen. Er ist ergriffen vom Gegenüber pse_352.016
und drängt danach, von erhöhtem Stand andere mit pse_352.017
aller Kraft darauf hinzuweisen. Diese Haltung verlangt bereits pse_352.018
deutlich andere Menschen, ein Publikum, dem er vom Podium pse_352.019
aus zuruft. Es ist der vom Erlebten Ergriffene, der Mitgerissene. pse_352.020
Die andere Form ist die Haltung des Problematischen. pse_352.021
Da drängt der Mensch in angespannter Haltung einem pse_352.022
Ziel zu, das er erreichen will. Dieses Ziel ist ihm etwas bereits pse_352.023
Vorausgeworfenes (Problema ist ursprünglich das einem Vor- pse_352.024
Geworfene, Aufgegebene), in Anspannung strebt er drauflos, pse_352.025
es einzuholen, damit sich die Spannung löse. Alles ist in pse_352.026
solcher Haltung des Ziels wegen da, es gibt kein ruhiges Nacheinander, pse_352.027
alles hat Funktion in größerem Zusammenhang. pse_352.028
Gerade weil hier die Teile unselbständig sind, entsteht Spannung, pse_352.029
weil keiner befriedigt und löst, sondern nur weiter pse_352.030
spannt. In der Verbindung vom Pathetischen und Problematischen pse_352.031
liegt das Dramatische. Wir dürfen in dieser Haltung pse_352.032
nicht bloß das Denkerische sehen, sondern gerade in pse_352.033
diesem Gerichtetsein, in diesem Angespanntsein liegen vor pse_352.034
allem Willenskräfte bloß, wieder öffnet sich das Innerste. pse_352.035
Wieder besteht ein Widerspruch zum Üblichen, diesmal im pse_352.036
umgekehrten Sinn: Denn nicht nur alles, was man gewöhnlich pse_352.037
als dramatisch oder Dramatik bezeichnet, fällt hier herein, pse_352.038
sondern auch manches, was in die Gattungen des Epischen

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Das ist die Grundhaltung des Epischen. Wir erkennen sie pse_352.002
klar in ältesten uns erhaltenen Formen der epischen Dichtung, pse_352.003
im Epos, also vor allem in den homerischen Dichtungen. pse_352.004
Wieder darf diese Grundhaltung nicht einfach auf die Epik pse_352.005
überhaupt übertragen werden. Es gibt epische Dichtungen, pse_352.006
die kaum etwas mit dieser Haltung zu tun haben. Ich weise pse_352.007
etwa jetzt schon auf eine knappe Ballade hin. Wir wollen pse_352.008
wieder festhalten, daß es sich hier um eine andere, jetzt die pse_352.009
dritte, Grundhaltung handelt, die sich in Sprachkunstwerken pse_352.010
ausformt. Wir nennen diese Haltung das Epische.

pse_352.011
4. Eine vierte Grundhaltung möchte ich ganz allgemein pse_352.012
das Hingerissensein nennen. Sie zeigt sich in zwei Formen. pse_352.013
Einmal als das Pathetische. Ein pathetischer Mensch stimmt pse_352.014
sich nicht mehr ein, er betrachtet nicht ruhig und hat auch pse_352.015
nicht die Geduld, zuzuschauen. Er ist ergriffen vom Gegenüber pse_352.016
und drängt danach, von erhöhtem Stand andere mit pse_352.017
aller Kraft darauf hinzuweisen. Diese Haltung verlangt bereits pse_352.018
deutlich andere Menschen, ein Publikum, dem er vom Podium pse_352.019
aus zuruft. Es ist der vom Erlebten Ergriffene, der Mitgerissene. pse_352.020
Die andere Form ist die Haltung des Problematischen. pse_352.021
Da drängt der Mensch in angespannter Haltung einem pse_352.022
Ziel zu, das er erreichen will. Dieses Ziel ist ihm etwas bereits pse_352.023
Vorausgeworfenes (Problema ist ursprünglich das einem Vor- pse_352.024
Geworfene, Aufgegebene), in Anspannung strebt er drauflos, pse_352.025
es einzuholen, damit sich die Spannung löse. Alles ist in pse_352.026
solcher Haltung des Ziels wegen da, es gibt kein ruhiges Nacheinander, pse_352.027
alles hat Funktion in größerem Zusammenhang. pse_352.028
Gerade weil hier die Teile unselbständig sind, entsteht Spannung, pse_352.029
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liegt das Dramatische. Wir dürfen in dieser Haltung pse_352.032
nicht bloß das Denkerische sehen, sondern gerade in pse_352.033
diesem Gerichtetsein, in diesem Angespanntsein liegen vor pse_352.034
allem Willenskräfte bloß, wieder öffnet sich das Innerste. pse_352.035
Wieder besteht ein Widerspruch zum Üblichen, diesmal im pse_352.036
umgekehrten Sinn: Denn nicht nur alles, was man gewöhnlich pse_352.037
als dramatisch oder Dramatik bezeichnet, fällt hier herein, pse_352.038
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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/368>, abgerufen am 25.11.2024.