pse_298.001 Gegenideale immer aufeinander angewiesen sind. Etwa so: pse_298.002 die klassische Dichtungsform würde von Erstarrung bedroht pse_298.003 sein, von bloßer Schablone und Mechanismus, wenn nicht pse_298.004 romantische Art auflockerte und Widerpart hielte. Und die pse_298.005 romantische Form würde sich in Willkür und Phantasterei pse_298.006 auflösen, wenn nicht immer wieder das strenge Kunstgesetz pse_298.007 klassischer Prägung dagegen wirkte. Das gilt fürs einzelne pse_298.008 Werk und den Dichter, aber auch für ganze Epochen; dadurch pse_298.009 entsteht ja die geschichtliche Dialektik. Die schöpferischen pse_298.010 Größen gehen über diese Gegensätzlichkeit hinaus, pse_298.011 ihnen gegenüber versagen solche Typen. Man denke an pse_298.012 Shakespeare oder an Goethes "Faust".
pse_298.013 Es ist lehrreich, einige solche Versuche von Gegentypen zu pse_298.014 erwähnen. Man erkennt daran, wie man sich immer auf neuen pse_298.015 Wegen bemüht, den Möglichkeiten dichterischer Gestaltung pse_298.016 nahezukommen. Dabei sind die Einteilungen teils von gestalterischen pse_298.017 Sichten getroffen, teils aber auch vom Gehalt her, pse_298.018 der in den Kunstwerken lebendig wird. Die älteste für uns pse_298.019 noch wichtige ist die schon erwähnte von Schiller. Der naive pse_298.020 Dichter ist noch mitten innen in der Natur, er ist selbst ein pse_298.021 Stück davon. Aus dieser Geborgenheit schafft er. Der sentimentalische pse_298.022 dagegen steht der Natur gegenüber, erhöht sie pse_298.023 dadurch zu einem Ideal und strebt ihm in seiner Kunst entgegen. pse_298.024 Schiller hat in diesen Gegensatz den von Realismus pse_298.025 und Idealismus eingefügt und in beiden Möglichkeiten auch pse_298.026 die Gefahren erkannt: daß der Realist in Plattheit versinke, der pse_298.027 Idealist in Verstiegenheit gerate. Sicher kann man mit diesen pse_298.028 Typen bestimmte Dichtungen charakterisieren. Man erkennt pse_298.029 so den Unterschied zwischen dem einfachen Volkslied und den pse_298.030 Hymnen von Hölderlin, zwischen den Märchen von Grimm pse_298.031 und den Novellen von C. F. Meyer, zwischen den Volksstücken pse_298.032 in der Art der Fastnachtsspiele und den Dramen pse_298.033 Schillers. Die Romantiker haben in ihren theoretischen Darlegungen pse_298.034 klassische und romantische Dichtung unterschieden, pse_298.035 zum erstenmal eindringlich dargestellt in den Berliner Vorlesungen pse_298.036 A. W. Schlegels. Klassische Dichtung richtet sich pse_298.037 nach den großen Beispielen der Antike aus, romantische geht pse_298.038 auf die Volksgrundlagen der abendländischen Kultur zurück.
pse_298.001 Gegenideale immer aufeinander angewiesen sind. Etwa so: pse_298.002 die klassische Dichtungsform würde von Erstarrung bedroht pse_298.003 sein, von bloßer Schablone und Mechanismus, wenn nicht pse_298.004 romantische Art auflockerte und Widerpart hielte. Und die pse_298.005 romantische Form würde sich in Willkür und Phantasterei pse_298.006 auflösen, wenn nicht immer wieder das strenge Kunstgesetz pse_298.007 klassischer Prägung dagegen wirkte. Das gilt fürs einzelne pse_298.008 Werk und den Dichter, aber auch für ganze Epochen; dadurch pse_298.009 entsteht ja die geschichtliche Dialektik. Die schöpferischen pse_298.010 Größen gehen über diese Gegensätzlichkeit hinaus, pse_298.011 ihnen gegenüber versagen solche Typen. Man denke an pse_298.012 Shakespeare oder an Goethes »Faust«.
pse_298.013 Es ist lehrreich, einige solche Versuche von Gegentypen zu pse_298.014 erwähnen. Man erkennt daran, wie man sich immer auf neuen pse_298.015 Wegen bemüht, den Möglichkeiten dichterischer Gestaltung pse_298.016 nahezukommen. Dabei sind die Einteilungen teils von gestalterischen pse_298.017 Sichten getroffen, teils aber auch vom Gehalt her, pse_298.018 der in den Kunstwerken lebendig wird. Die älteste für uns pse_298.019 noch wichtige ist die schon erwähnte von Schiller. Der naive pse_298.020 Dichter ist noch mitten innen in der Natur, er ist selbst ein pse_298.021 Stück davon. Aus dieser Geborgenheit schafft er. Der sentimentalische pse_298.022 dagegen steht der Natur gegenüber, erhöht sie pse_298.023 dadurch zu einem Ideal und strebt ihm in seiner Kunst entgegen. pse_298.024 Schiller hat in diesen Gegensatz den von Realismus pse_298.025 und Idealismus eingefügt und in beiden Möglichkeiten auch pse_298.026 die Gefahren erkannt: daß der Realist in Plattheit versinke, der pse_298.027 Idealist in Verstiegenheit gerate. Sicher kann man mit diesen pse_298.028 Typen bestimmte Dichtungen charakterisieren. Man erkennt pse_298.029 so den Unterschied zwischen dem einfachen Volkslied und den pse_298.030 Hymnen von Hölderlin, zwischen den Märchen von Grimm pse_298.031 und den Novellen von C. F. Meyer, zwischen den Volksstücken pse_298.032 in der Art der Fastnachtsspiele und den Dramen pse_298.033 Schillers. Die Romantiker haben in ihren theoretischen Darlegungen pse_298.034 klassische und romantische Dichtung unterschieden, pse_298.035 zum erstenmal eindringlich dargestellt in den Berliner Vorlesungen pse_298.036 A. W. Schlegels. Klassische Dichtung richtet sich pse_298.037 nach den großen Beispielen der Antike aus, romantische geht pse_298.038 auf die Volksgrundlagen der abendländischen Kultur zurück.
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romantische Art auflockerte und Widerpart hielte. Und die pse_298.005
romantische Form würde sich in Willkür und Phantasterei pse_298.006
auflösen, wenn nicht immer wieder das strenge Kunstgesetz pse_298.007
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Werk und den Dichter, aber auch für ganze Epochen; dadurch pse_298.009
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Shakespeare oder an Goethes »Faust«.
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Es ist lehrreich, einige solche Versuche von Gegentypen zu pse_298.014
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und Idealismus eingefügt und in beiden Möglichkeiten auch pse_298.026
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Hymnen von Hölderlin, zwischen den Märchen von Grimm pse_298.031
und den Novellen von C. F. Meyer, zwischen den Volksstücken pse_298.032
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Schillers. Die Romantiker haben in ihren theoretischen Darlegungen pse_298.034
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/314>, abgerufen am 25.11.2024.
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