pse_294.001 Ebene gerückt, die Gestaltung aber belassen wird. Oft greift pse_294.002 die Parodie über die ironische Haltung hinaus, wenn sie etwa pse_294.003 derber wird, wie in Possen oder Farcen. Parodie ist also nie pse_294.004 ursprunghaft, sondern auf ein vorgeformtes Gebilde angewiesen, pse_294.005 das eben parodiert wird. Dabei neigt mit der Zeit pse_294.006 jeder ausgesprochene Stil, jede ausgeprägte künstlerische Eigenart pse_294.007 zur Parodie; es wird eben mit der Zeit ausgeprägte künstlerische pse_294.008 Art leicht übertrieben und gerät dadurch ins Parodische. pse_294.009 Ein Meisterwerk der Parodie ist Thomas Manns pse_294.010 "Felix Krull". Krull schreibt in seinen Bekenntnissen einen pse_294.011 Stil, der für das späte aufgeblasene Bürgertum kennzeichnend pse_294.012 ist. Daß eine so bedenkliche Gestalt wie Krull so vornehmbürgerlich pse_294.013 spricht, rückt natürlich diese bürgerliche Ausdrucksweise pse_294.014 in ein merkwürdiges Licht. Zugleich aber wird pse_294.015 auch Krull dadurch charakterisiert. So erscheint der ganze pse_294.016 Roman als große Parodie in verschiedener Richtung. Gerade pse_294.017 hier werden auch die bedenklichen Seiten der Parodie deutlich. pse_294.018 Denn man erkennt, daß die Schreibweise Krulls doch pse_294.019 auch die ist, zu der sich Thomas Mann selbst immer entschiedener pse_294.020 entwickelt hat. Es wäre also durchaus möglich, daß wir pse_294.021 hier auch von Selbstparodie sprechen könnten. Wenn aber, pse_294.022 je länger desto mehr, die ganze Art Thomas Manns diese Form pse_294.023 aufweist, bleibt die Frage: Ist dieser Stil gewollt? Dann erscheint pse_294.024 er doch auf die Dauer verkrampft. Ist er unbewußt, pse_294.025 dann offenbart sich hier eine starke Manieriertheit. Auf alle pse_294.026 Fälle: die Gestaltspannung der Parodie hat ihre Grenzen im pse_294.027 künstlerischen Wert.
pse_294.028 Die Travestie ist derber, daher tritt die ironische Haltung pse_294.029 zurück. Hier entwickelt sich in der Spannung zwischen pse_294.030 hohem Gehalt und derber Gestaltungsebene kräftige Komik, pse_294.031 indem der Widerspruch zwischen angemaßter Haltung und pse_294.032 ihrer Entlarvung die Dichtung von Anfang bis Ende beherrscht. pse_294.033 So kann Travestie zur dauernden Verspottung des pse_294.034 Hohen werden.
pse_294.035
Es war einmal ein großer Held,pse_294.036 Der sich Aeneas nannte;pse_294.037 Aus Troja nahm er 's Fersengeld,pse_294.038 Als man die Stadt verbrannte,
pse_294.001 Ebene gerückt, die Gestaltung aber belassen wird. Oft greift pse_294.002 die Parodie über die ironische Haltung hinaus, wenn sie etwa pse_294.003 derber wird, wie in Possen oder Farcen. Parodie ist also nie pse_294.004 ursprunghaft, sondern auf ein vorgeformtes Gebilde angewiesen, pse_294.005 das eben parodiert wird. Dabei neigt mit der Zeit pse_294.006 jeder ausgesprochene Stil, jede ausgeprägte künstlerische Eigenart pse_294.007 zur Parodie; es wird eben mit der Zeit ausgeprägte künstlerische pse_294.008 Art leicht übertrieben und gerät dadurch ins Parodische. pse_294.009 Ein Meisterwerk der Parodie ist Thomas Manns pse_294.010 »Felix Krull«. Krull schreibt in seinen Bekenntnissen einen pse_294.011 Stil, der für das späte aufgeblasene Bürgertum kennzeichnend pse_294.012 ist. Daß eine so bedenkliche Gestalt wie Krull so vornehmbürgerlich pse_294.013 spricht, rückt natürlich diese bürgerliche Ausdrucksweise pse_294.014 in ein merkwürdiges Licht. Zugleich aber wird pse_294.015 auch Krull dadurch charakterisiert. So erscheint der ganze pse_294.016 Roman als große Parodie in verschiedener Richtung. Gerade pse_294.017 hier werden auch die bedenklichen Seiten der Parodie deutlich. pse_294.018 Denn man erkennt, daß die Schreibweise Krulls doch pse_294.019 auch die ist, zu der sich Thomas Mann selbst immer entschiedener pse_294.020 entwickelt hat. Es wäre also durchaus möglich, daß wir pse_294.021 hier auch von Selbstparodie sprechen könnten. Wenn aber, pse_294.022 je länger desto mehr, die ganze Art Thomas Manns diese Form pse_294.023 aufweist, bleibt die Frage: Ist dieser Stil gewollt? Dann erscheint pse_294.024 er doch auf die Dauer verkrampft. Ist er unbewußt, pse_294.025 dann offenbart sich hier eine starke Manieriertheit. Auf alle pse_294.026 Fälle: die Gestaltspannung der Parodie hat ihre Grenzen im pse_294.027 künstlerischen Wert.
pse_294.028 Die Travestie ist derber, daher tritt die ironische Haltung pse_294.029 zurück. Hier entwickelt sich in der Spannung zwischen pse_294.030 hohem Gehalt und derber Gestaltungsebene kräftige Komik, pse_294.031 indem der Widerspruch zwischen angemaßter Haltung und pse_294.032 ihrer Entlarvung die Dichtung von Anfang bis Ende beherrscht. pse_294.033 So kann Travestie zur dauernden Verspottung des pse_294.034 Hohen werden.
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Es war einmal ein großer Held,pse_294.036 Der sich Aeneas nannte;pse_294.037 Aus Troja nahm er 's Fersengeld,pse_294.038 Als man die Stadt verbrannte,
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die Parodie über die ironische Haltung hinaus, wenn sie etwa pse_294.003
derber wird, wie in Possen oder Farcen. Parodie ist also nie pse_294.004
ursprunghaft, sondern auf ein vorgeformtes Gebilde angewiesen, pse_294.005
das eben parodiert wird. Dabei neigt mit der Zeit pse_294.006
jeder ausgesprochene Stil, jede ausgeprägte künstlerische Eigenart pse_294.007
zur Parodie; es wird eben mit der Zeit ausgeprägte künstlerische pse_294.008
Art leicht übertrieben und gerät dadurch ins Parodische. pse_294.009
Ein Meisterwerk der Parodie ist Thomas Manns pse_294.010
»Felix Krull«. Krull schreibt in seinen Bekenntnissen einen pse_294.011
Stil, der für das späte aufgeblasene Bürgertum kennzeichnend pse_294.012
ist. Daß eine so bedenkliche Gestalt wie Krull so vornehmbürgerlich pse_294.013
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auch Krull dadurch charakterisiert. So erscheint der ganze pse_294.016
Roman als große Parodie in verschiedener Richtung. Gerade pse_294.017
hier werden auch die bedenklichen Seiten der Parodie deutlich. pse_294.018
Denn man erkennt, daß die Schreibweise Krulls doch pse_294.019
auch die ist, zu der sich Thomas Mann selbst immer entschiedener pse_294.020
entwickelt hat. Es wäre also durchaus möglich, daß wir pse_294.021
hier auch von Selbstparodie sprechen könnten. Wenn aber, pse_294.022
je länger desto mehr, die ganze Art Thomas Manns diese Form pse_294.023
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Die Travestie ist derber, daher tritt die ironische Haltung pse_294.029
zurück. Hier entwickelt sich in der Spannung zwischen pse_294.030
hohem Gehalt und derber Gestaltungsebene kräftige Komik, pse_294.031
indem der Widerspruch zwischen angemaßter Haltung und pse_294.032
ihrer Entlarvung die Dichtung von Anfang bis Ende beherrscht. pse_294.033
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Als man die Stadt verbrannte,
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/310>, abgerufen am 22.11.2024.
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