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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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eingefügt, wirken dadurch schablonenhaft. Ist die pse_255.002
geschichtliche Situation selbst beschränkt, so fehlt solchen pse_255.003
Dichtungen Tiefe und Weite, etwa der Butzenscheibenlyrik pse_255.004
und den epigonalen Gedichten des 19. Jahrhunderts. Andere pse_255.005
wieder stellen eine Identität von Genius und Epoche her. pse_255.006
In glücklicher Verschmelzung wird im Persönlichkeitsstil pse_255.007
eines Großen der Epochenstil höchste Vollendung, man denke pse_255.008
an Goethes "Werther", an seinen "Götz", an "Iphigenie" und pse_255.009
"Tasso". Aber auch bei Shakespeare, Racine und Calderon pse_255.010
läßt sich gleiches beobachten. Die rein künstlerische Wertung pse_255.011
sucht von diesen geschichtlichen Bindungen des Stils abzusehen pse_255.012
und die Sprachkunst rein als solche zu werten. Aber pse_255.013
gerade dabei übersieht man oft, daß diese Wertung selbst pse_255.014
wieder von einem geschichtlichen Standort aus geschieht: pse_255.015
Wir werten heute Gryphius, Racine, Hölderlin, den alten pse_255.016
Goethe anders als das 19. Jahrhundert, aber ebenso auch pse_255.017
Heyse, Geibel und Freytag. Wir erkennen also, daß rein pse_255.018
künstlerische Wertung auch wieder an geschichtliche Situation pse_255.019
gebunden ist. Aber ein Ergebnis gewinnen diese Überlegungen. pse_255.020
Je mehr sich Sprachkunst in der völligen Einheit pse_255.021
von rein menschlicher Schöpferkraft und Epochenbedingtheit pse_255.022
über das menschlich und historisch Individuelle hinaushebt, pse_255.023
desto höher dürfen wir solche Kunst werten. Aus der pse_255.024
Sprachkunst gewinnen wir also ein Kriterium auch für hohe pse_255.025
Dichtung. Zwei Dinge aber sind zu beachten: 1. Nicht jede pse_255.026
Zeit ist einer bestimmten Vergangenheitsepoche gegenüber pse_255.027
gleich innerlich aufgeschlossen. Das 19. Jahrhundert stand pse_255.028
dem Barock fern, das bisherige zwanzigste steht seinen Werten pse_255.029
offenener gegenüber. Umgekehrt rückt heute das spätere pse_255.030
19. Jahrhundert unserem Kunsterleben ferner. 2. Auch geschichtliches pse_255.031
Bemühen um andere und ferne Zeiten und pse_255.032
deren Sprachkunst ist für das Erleben wichtig. Denn es weitet pse_255.033
unseren Blick und schließt damit Seiten unseres Innern auf, pse_255.034
die von der betreffenden Kunst angesprochen werden müssen, pse_255.035
soll sie noch wirken.

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und die Sprachkunst rein als solche zu werten. Aber pse_255.013
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wieder von einem geschichtlichen Standort aus geschieht: pse_255.015
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Goethe anders als das 19. Jahrhundert, aber ebenso auch pse_255.017
Heyse, Geibel und Freytag. Wir erkennen also, daß rein pse_255.018
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gebunden ist. Aber ein Ergebnis gewinnen diese Überlegungen. pse_255.020
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von rein menschlicher Schöpferkraft und Epochenbedingtheit pse_255.022
über das menschlich und historisch Individuelle hinaushebt, pse_255.023
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dem Barock fern, das bisherige zwanzigste steht seinen Werten pse_255.029
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19. Jahrhundert unserem Kunsterleben ferner. 2. Auch geschichtliches pse_255.031
Bemühen um andere und ferne Zeiten und pse_255.032
deren Sprachkunst ist für das Erleben wichtig. Denn es weitet pse_255.033
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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/271>, abgerufen am 22.11.2024.