pse_203.001 Schreien ab, wir haben es als Stilkraft nur mit wirklichen pse_203.002 sprachlichen, also lautlich artikulierten Gebilden zu pse_203.003 tun. Die Möglichkeiten sind mannigfaltig: Ausrufworte, die pse_203.004 ja auch deutlich gestaltet sind (der Schmerzensausruf ist im pse_203.005 Deutschen "au", im Französischen "ai"); weitere Gebilde sind pse_203.006 ausgerufene Einzelworte ("Feuer!"), endlich Wortgefüge, die pse_203.007 in ihrem Ausrufcharakter durch die Reihung, den Satzbau, pse_203.008 den Rhythmus, die Melodie und die Klangart bestimmt sind. pse_203.009 Hier erkennen wir, wie die Stilelemente zur Einheit einer pse_203.010 Stilkraft zusammenwirken. Der Sinn des Ausrufs in der Dichtung pse_203.011 ist deutlich: es bricht ein Gefühl unmittelbar durch. pse_203.012 So finden wir Ausrufe auch oft an Anfängen; sie haben starke pse_203.013 Bewegtheit, es entsteht mit jedem Ausruf ein neuer Bewegungsstoß pse_203.014 im Ablauf der Dichtung. Vor allem aber wird im pse_203.015 Ausruf das Menschliche vernehmbar, denn nur aus einem pse_203.016 Menscheninneren kann der Ausruf kommen, es ist dabei pse_203.017 gleichgültig, ob des Dichters oder einer von ihm geschaffenen pse_203.018 Person.
pse_203.019 Im Anruf geht zunächst eine unmittelbare Gefühlsbewegung pse_203.020 auf ein Du. Werden wir angerufen, so fühlen wir uns unmittelbar pse_203.021 angesprochen, es bildet sich ein Bogen zwischen pse_203.022 zwei Menschen oder Menschengruppen. Die einfachste Möglichkeit pse_203.023 liegt schon im "du" oder "ihr". Aber es gibt Formen pse_203.024 größeren Umfangs, die natürlich auch im Alltag des Sprechens pse_203.025 vorkommen: der Wunsch, der Befehl, die Frage. Auch pse_203.026 die Intensität des Anrufs ist verschieden:
pse_203.027
Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?pse_203.028 Wenn alle untreu werden, so bleib ich dir doch treu ...
pse_203.029
Diese Stilkraft ist also wieder deutlich ans Menschliche gebunden. pse_203.030 Sie wird daher auch wichtig im Sprechen von Personen pse_203.031 in Dichtungen. Die Gespräche in Dichtungen können pse_203.032 wieder ganz verschieden sein: ruhige Darlegung, heftiger pse_203.033 Streit, Erregung jeder Art. Besonders wichtig sind zwei pse_203.034 Arten: die Gespräche in altgermanischen Heldenliedern und pse_203.035 auch oft in Balladen; sie sind handlungtreibend, die Handlung pse_203.036 geht im Gespräch voran. Dann die sogenannten Stichomythien pse_203.037 im Drama, wo zwei sprechenden Figuren nur je ein
pse_203.001 Schreien ab, wir haben es als Stilkraft nur mit wirklichen pse_203.002 sprachlichen, also lautlich artikulierten Gebilden zu pse_203.003 tun. Die Möglichkeiten sind mannigfaltig: Ausrufworte, die pse_203.004 ja auch deutlich gestaltet sind (der Schmerzensausruf ist im pse_203.005 Deutschen »au«, im Französischen »ai«); weitere Gebilde sind pse_203.006 ausgerufene Einzelworte (»Feuer!«), endlich Wortgefüge, die pse_203.007 in ihrem Ausrufcharakter durch die Reihung, den Satzbau, pse_203.008 den Rhythmus, die Melodie und die Klangart bestimmt sind. pse_203.009 Hier erkennen wir, wie die Stilelemente zur Einheit einer pse_203.010 Stilkraft zusammenwirken. Der Sinn des Ausrufs in der Dichtung pse_203.011 ist deutlich: es bricht ein Gefühl unmittelbar durch. pse_203.012 So finden wir Ausrufe auch oft an Anfängen; sie haben starke pse_203.013 Bewegtheit, es entsteht mit jedem Ausruf ein neuer Bewegungsstoß pse_203.014 im Ablauf der Dichtung. Vor allem aber wird im pse_203.015 Ausruf das Menschliche vernehmbar, denn nur aus einem pse_203.016 Menscheninneren kann der Ausruf kommen, es ist dabei pse_203.017 gleichgültig, ob des Dichters oder einer von ihm geschaffenen pse_203.018 Person.
pse_203.019 Im Anruf geht zunächst eine unmittelbare Gefühlsbewegung pse_203.020 auf ein Du. Werden wir angerufen, so fühlen wir uns unmittelbar pse_203.021 angesprochen, es bildet sich ein Bogen zwischen pse_203.022 zwei Menschen oder Menschengruppen. Die einfachste Möglichkeit pse_203.023 liegt schon im »du« oder »ihr«. Aber es gibt Formen pse_203.024 größeren Umfangs, die natürlich auch im Alltag des Sprechens pse_203.025 vorkommen: der Wunsch, der Befehl, die Frage. Auch pse_203.026 die Intensität des Anrufs ist verschieden:
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Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?pse_203.028 Wenn alle untreu werden, so bleib ich dir doch treu ...
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Diese Stilkraft ist also wieder deutlich ans Menschliche gebunden. pse_203.030 Sie wird daher auch wichtig im Sprechen von Personen pse_203.031 in Dichtungen. Die Gespräche in Dichtungen können pse_203.032 wieder ganz verschieden sein: ruhige Darlegung, heftiger pse_203.033 Streit, Erregung jeder Art. Besonders wichtig sind zwei pse_203.034 Arten: die Gespräche in altgermanischen Heldenliedern und pse_203.035 auch oft in Balladen; sie sind handlungtreibend, die Handlung pse_203.036 geht im Gespräch voran. Dann die sogenannten Stichomythien pse_203.037 im Drama, wo zwei sprechenden Figuren nur je ein
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Im Anruf geht zunächst eine unmittelbare Gefühlsbewegung pse_203.020
auf ein Du. Werden wir angerufen, so fühlen wir uns unmittelbar pse_203.021
angesprochen, es bildet sich ein Bogen zwischen pse_203.022
zwei Menschen oder Menschengruppen. Die einfachste Möglichkeit pse_203.023
liegt schon im »du« oder »ihr«. Aber es gibt Formen pse_203.024
größeren Umfangs, die natürlich auch im Alltag des Sprechens pse_203.025
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die Intensität des Anrufs ist verschieden:
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Wer reitet so spät durch Nacht und Wind? pse_203.028
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Diese Stilkraft ist also wieder deutlich ans Menschliche gebunden. pse_203.030
Sie wird daher auch wichtig im Sprechen von Personen pse_203.031
in Dichtungen. Die Gespräche in Dichtungen können pse_203.032
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/219>, abgerufen am 24.11.2024.
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