Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.pse_171.001 Schon tönt, schon tönt es ihm in der Brust, es quillt, pse_171.007 pse_171.014Wie da er noch im Schoße der Felsen spielt, pse_171.008 Ihm auf, und nun gedenkt er seiner pse_171.009 Kraft, der Gewaltige, nun, nun eilt er, pse_171.010 Der Zauderer, er spottet der Fesseln nun, pse_171.011 Und nimmt und bricht, und wirft die Zerbrochenen, pse_171.012 Im Zorne, spielend, da und dort zum pse_171.013 Schallenden Ufer ... (Hölderlin, Der gefesselte Strom) Ganz anders, wenn die Gestaltung gleichsam aus einer festen pse_171.015 Wie an dem Tag, der dich der Welt verliehen, pse_171.022 pse_171.029Die Sonne stand zum Gruße der Planeten, pse_171.023 Bist alsobald und fort und fort gediehen, pse_171.024 Nach dem Gesetz, wonach du angetreten. pse_171.025 So mußt du sein, dir kannst du nicht entfliehen, pse_171.026 So sagten schon Sibyllen, so Propheten; pse_171.027 Und keine Zeit und keine Macht zerstückelt pse_171.028 Geprägte Form, die lebend sich entwickelt. (Goethe, 1. Orphisches Urwort) pse_171.030 pse_171.001 Schon tönt, schon tönt es ihm in der Brust, es quillt, pse_171.007 pse_171.014Wie da er noch im Schoße der Felsen spielt, pse_171.008 Ihm auf, und nun gedenkt er seiner pse_171.009 Kraft, der Gewaltige, nun, nun eilt er, pse_171.010 Der Zauderer, er spottet der Fesseln nun, pse_171.011 Und nimmt und bricht, und wirft die Zerbrochenen, pse_171.012 Im Zorne, spielend, da und dort zum pse_171.013 Schallenden Ufer ... (Hölderlin, Der gefesselte Strom) Ganz anders, wenn die Gestaltung gleichsam aus einer festen pse_171.015 Wie an dem Tag, der dich der Welt verliehen, pse_171.022 pse_171.029Die Sonne stand zum Gruße der Planeten, pse_171.023 Bist alsobald und fort und fort gediehen, pse_171.024 Nach dem Gesetz, wonach du angetreten. pse_171.025 So mußt du sein, dir kannst du nicht entfliehen, pse_171.026 So sagten schon Sibyllen, so Propheten; pse_171.027 Und keine Zeit und keine Macht zerstückelt pse_171.028 Geprägte Form, die lebend sich entwickelt. (Goethe, 1. Orphisches Urwort) pse_171.030 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0187" n="171"/><lb n="pse_171.001"/> wie er sie dieser Erfassungsart entsprechend im Kunstwerk <lb n="pse_171.002"/> neu aufbaut. Die eine Art greift häufig, in kurzen Stößen zu, <lb n="pse_171.003"/> es ist ein erregendes Aufbauen, in dem die menschliche Beteiligtheit <lb n="pse_171.004"/> stark mitschwingt: unmittelbare Welterfassung <lb n="pse_171.005"/> könnte man das nennen.</p> <lb n="pse_171.006"/> <lg> <l> <hi rendition="#aq">Schon tönt, schon tönt es ihm in der Brust, es quillt,</hi> </l> <lb n="pse_171.007"/> <l> <hi rendition="#aq"> Wie da er noch im Schoße der Felsen spielt,</hi> </l> <lb n="pse_171.008"/> <l> <hi rendition="#aq"> Ihm auf, und nun gedenkt er seiner</hi> </l> <lb n="pse_171.009"/> <l> <hi rendition="#aq"><space dim="horizontal"/>Kraft, der Gewaltige, nun, nun eilt er,</hi> </l> <lb n="pse_171.010"/> <l> <hi rendition="#aq">Der Zauderer, er spottet der Fesseln nun,</hi> </l> <lb n="pse_171.011"/> <l> <hi rendition="#aq"> Und nimmt und bricht, und wirft die Zerbrochenen,</hi> </l> <lb n="pse_171.012"/> <l> <hi rendition="#aq"> Im Zorne, spielend, da und dort zum</hi> </l> <lb n="pse_171.013"/> <l> <hi rendition="#aq"><space dim="horizontal"/>Schallenden Ufer ... 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Hier offenbart sich das Menschliche weniger <lb n="pse_171.019"/> in der erregten Teilhabe an jedem Einzelakt als in der gemüthaften <lb n="pse_171.020"/> Beherrschtheit geistiger Haltung:</p> <lb n="pse_171.021"/> <p> <lg> <l> <hi rendition="#aq">Wie an dem Tag, der dich der Welt verliehen,</hi> </l> <lb n="pse_171.022"/> <l> <hi rendition="#aq">Die Sonne stand zum Gruße der Planeten,</hi> </l> <lb n="pse_171.023"/> <l> <hi rendition="#aq">Bist alsobald und fort und fort gediehen,</hi> </l> <lb n="pse_171.024"/> <l> <hi rendition="#aq">Nach dem Gesetz, wonach du angetreten.</hi> </l> <lb n="pse_171.025"/> <l> <hi rendition="#aq">So mußt du sein, dir kannst du nicht entfliehen,</hi> </l> <lb n="pse_171.026"/> <l> <hi rendition="#aq">So sagten schon Sibyllen, so Propheten;</hi> </l> <lb n="pse_171.027"/> <l> <hi rendition="#aq">Und keine Zeit und keine Macht zerstückelt</hi> </l> <lb n="pse_171.028"/> <l> <hi rendition="#aq">Geprägte Form, die lebend sich entwickelt.</hi> </l> </lg> <lb n="pse_171.029"/> <hi rendition="#right"> <space dim="horizontal"/> <hi rendition="#aq">(Goethe, 1. 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wie er sie dieser Erfassungsart entsprechend im Kunstwerk pse_171.002
neu aufbaut. Die eine Art greift häufig, in kurzen Stößen zu, pse_171.003
es ist ein erregendes Aufbauen, in dem die menschliche Beteiligtheit pse_171.004
stark mitschwingt: unmittelbare Welterfassung pse_171.005
könnte man das nennen.
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Schon tönt, schon tönt es ihm in der Brust, es quillt, pse_171.007
Wie da er noch im Schoße der Felsen spielt, pse_171.008
Ihm auf, und nun gedenkt er seiner pse_171.009
Kraft, der Gewaltige, nun, nun eilt er, pse_171.010
Der Zauderer, er spottet der Fesseln nun, pse_171.011
Und nimmt und bricht, und wirft die Zerbrochenen, pse_171.012
Im Zorne, spielend, da und dort zum pse_171.013
Schallenden Ufer ... (Hölderlin, Der gefesselte Strom)
pse_171.014
Ganz anders, wenn die Gestaltung gleichsam aus einer festen pse_171.015
Geisteshaltung, aus einer Enthobenheit über der Wirklichkeitsnähe pse_171.016
erwächst, mit Umsicht und in weiten Formen, pse_171.017
denen alles einzelne eingefügt ist, die sprachliche Welt aufgebaut pse_171.018
wird. Hier offenbart sich das Menschliche weniger pse_171.019
in der erregten Teilhabe an jedem Einzelakt als in der gemüthaften pse_171.020
Beherrschtheit geistiger Haltung:
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Wie an dem Tag, der dich der Welt verliehen, pse_171.022
Die Sonne stand zum Gruße der Planeten, pse_171.023
Bist alsobald und fort und fort gediehen, pse_171.024
Nach dem Gesetz, wonach du angetreten. pse_171.025
So mußt du sein, dir kannst du nicht entfliehen, pse_171.026
So sagten schon Sibyllen, so Propheten; pse_171.027
Und keine Zeit und keine Macht zerstückelt pse_171.028
Geprägte Form, die lebend sich entwickelt.
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(Goethe, 1. Orphisches Urwort)
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Der Satz liegt auf einer anderen Ebene als Wort und Wortfügung. pse_171.031
Wort — Wortgruppe — Satz wäre also eine falsche pse_171.032
Reihe, denn ein Satz kann aus einem Wort ebensogut bestehen pse_171.033
wie aus einer Wortgruppe. Er gehört zum Bereich pse_171.034
der Rede als eines sinnvollen Sprachgeschehens in bestimmten pse_171.035
Situationen, er ist das kleinste verhältnismäßig selbständige pse_171.036
Glied einer Rede. Er ist selbst ein Vorgang, ohne Rücksicht pse_171.037
darauf, ob in ihm ein Vorgang ausgedrückt wird. Das pse_171.038
Eigenartige liegt nun aber darin, daß der Satz doch wieder pse_171.039
ein Stück Sprachgestaltung ist. In ihm wird also der Redevorgang,
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