Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

Bild:
<< vorherige Seite

pse_126.001
und im dichterischen Gestalten ordnende Geist des Dichters pse_126.002
vermag alle Zweideutigkeiten, alles Sowohl-Als-Auch in pse_126.003
einem Höheren zu umfassen. Nur wenn eben keine wertende pse_126.004
Ordnung mehr gelingt, wenn in der Wertunsicherheit und pse_126.005
Zerrissenheit gleichsam wohlig das Ende erlebt wird, können pse_126.006
uns von diesem Standpunkt aus Bedenken gegenüber einer pse_126.007
solchen Dichtung kommen. Selbstverständlich kann erst dann pse_126.008
endgültig geurteilt werden, wenn auch die künstlerische Gestalt pse_126.009
selbst in dieses Zwielicht gerät, wenn also auch sie zu pse_126.010
schwanken beginnt. Freilich muß hier schon gesagt werden, pse_126.011
daß auch dieses Zerrissensein, dieses Schwanken in einem pse_126.012
kühnen Gestaltungsvorgang selbst wieder als eine Einheit pse_126.013
und Geschlossenheit erscheinen und dann eben doch wieder pse_126.014
klare Gefügtheit des künstlerisch ordnenden Geistes lebendig pse_126.015
werden kann. Dieser Ambivalenz im Weltbild steht gegenüber pse_126.016
die Wertesicherheit, die klare Geordnetheit, die Gegründetheit. pse_126.017
Sie liegt schon in der Struktur des Geistes, dessen pse_126.018
Schöpfung die Dichtung ist; sie zeigt sich weiter in der Eindeutigkeit pse_126.019
der sprachlichen Bilder, in der Eindeutigkeit der pse_126.020
Symbole; dann in der Harmonie und Einheit des sich offenbarenden pse_126.021
Weltbildes trotz allem Reichtum und aller Gegensätze pse_126.022
oder eben in der Tatsache der Urwidersprüchlichkeit. pse_126.023
Endlich gehört dazu auch das Verhaftetsein im Ursprunghaften pse_126.024
sowohl der seelischen Tiefen und Kerne als auch im Kosmischen, pse_126.025
indem eben die Welt von Anfang an als Ureinheit pse_126.026
noch immer ahnbar und schaubar bleibt. Auch diese Kennzeichen, pse_126.027
die Pongs auch als Einfalt bezeichnet, sind an sich pse_126.028
noch nicht wertig oder unwertig. Jeder Zug kann wertlos pse_126.029
oder wertvoll sein. Die Gegründetheit der Struktur des pse_126.030
Schöpfers kann auch Enge bedeuten, die Eindeutigkeit der pse_126.031
sprachlichen Bilder und Symbole auch Ärmlichkeit des Gehalts, pse_126.032
Harmonie und Einheit des Weltbildes phrasenhafte pse_126.033
Schönrednerei und das Verhaftetsein im Ursprünglichen Verbäuerlichung pse_126.034
und Versimpelung. Aber auch umgekehrt: pse_126.035
Gegründetheit kann Festigkeit und Stärke sein, Eindeutigkeit pse_126.036
der Bilder und Symbole Kraft und Geschlossenheit, Harmonie pse_126.037
und Einheit des Weltbildes überwölbende Größe und Weite pse_126.038
und das Verhaftetsein im Ursprünglichen tiefster Lebenszusammenhang.

pse_126.001
und im dichterischen Gestalten ordnende Geist des Dichters pse_126.002
vermag alle Zweideutigkeiten, alles Sowohl-Als-Auch in pse_126.003
einem Höheren zu umfassen. Nur wenn eben keine wertende pse_126.004
Ordnung mehr gelingt, wenn in der Wertunsicherheit und pse_126.005
Zerrissenheit gleichsam wohlig das Ende erlebt wird, können pse_126.006
uns von diesem Standpunkt aus Bedenken gegenüber einer pse_126.007
solchen Dichtung kommen. Selbstverständlich kann erst dann pse_126.008
endgültig geurteilt werden, wenn auch die künstlerische Gestalt pse_126.009
selbst in dieses Zwielicht gerät, wenn also auch sie zu pse_126.010
schwanken beginnt. Freilich muß hier schon gesagt werden, pse_126.011
daß auch dieses Zerrissensein, dieses Schwanken in einem pse_126.012
kühnen Gestaltungsvorgang selbst wieder als eine Einheit pse_126.013
und Geschlossenheit erscheinen und dann eben doch wieder pse_126.014
klare Gefügtheit des künstlerisch ordnenden Geistes lebendig pse_126.015
werden kann. Dieser Ambivalenz im Weltbild steht gegenüber pse_126.016
die Wertesicherheit, die klare Geordnetheit, die Gegründetheit. pse_126.017
Sie liegt schon in der Struktur des Geistes, dessen pse_126.018
Schöpfung die Dichtung ist; sie zeigt sich weiter in der Eindeutigkeit pse_126.019
der sprachlichen Bilder, in der Eindeutigkeit der pse_126.020
Symbole; dann in der Harmonie und Einheit des sich offenbarenden pse_126.021
Weltbildes trotz allem Reichtum und aller Gegensätze pse_126.022
oder eben in der Tatsache der Urwidersprüchlichkeit. pse_126.023
Endlich gehört dazu auch das Verhaftetsein im Ursprunghaften pse_126.024
sowohl der seelischen Tiefen und Kerne als auch im Kosmischen, pse_126.025
indem eben die Welt von Anfang an als Ureinheit pse_126.026
noch immer ahnbar und schaubar bleibt. Auch diese Kennzeichen, pse_126.027
die Pongs auch als Einfalt bezeichnet, sind an sich pse_126.028
noch nicht wertig oder unwertig. Jeder Zug kann wertlos pse_126.029
oder wertvoll sein. Die Gegründetheit der Struktur des pse_126.030
Schöpfers kann auch Enge bedeuten, die Eindeutigkeit der pse_126.031
sprachlichen Bilder und Symbole auch Ärmlichkeit des Gehalts, pse_126.032
Harmonie und Einheit des Weltbildes phrasenhafte pse_126.033
Schönrednerei und das Verhaftetsein im Ursprünglichen Verbäuerlichung pse_126.034
und Versimpelung. Aber auch umgekehrt: pse_126.035
Gegründetheit kann Festigkeit und Stärke sein, Eindeutigkeit pse_126.036
der Bilder und Symbole Kraft und Geschlossenheit, Harmonie pse_126.037
und Einheit des Weltbildes überwölbende Größe und Weite pse_126.038
und das Verhaftetsein im Ursprünglichen tiefster Lebenszusammenhang.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0142" n="126"/><lb n="pse_126.001"/>
und im dichterischen Gestalten ordnende Geist des Dichters <lb n="pse_126.002"/>
vermag alle Zweideutigkeiten, alles Sowohl-Als-Auch in <lb n="pse_126.003"/>
einem Höheren zu umfassen. Nur wenn eben keine wertende <lb n="pse_126.004"/>
Ordnung mehr gelingt, wenn in der Wertunsicherheit und <lb n="pse_126.005"/>
Zerrissenheit gleichsam wohlig das Ende erlebt wird, können <lb n="pse_126.006"/>
uns von diesem Standpunkt aus Bedenken gegenüber einer <lb n="pse_126.007"/>
solchen Dichtung kommen. Selbstverständlich kann erst dann <lb n="pse_126.008"/>
endgültig geurteilt werden, wenn auch die künstlerische Gestalt <lb n="pse_126.009"/>
selbst in dieses Zwielicht gerät, wenn also auch sie zu <lb n="pse_126.010"/>
schwanken beginnt. Freilich muß hier schon gesagt werden, <lb n="pse_126.011"/>
daß auch dieses Zerrissensein, dieses Schwanken in einem <lb n="pse_126.012"/>
kühnen Gestaltungsvorgang selbst wieder als eine Einheit <lb n="pse_126.013"/>
und Geschlossenheit erscheinen und dann eben doch wieder <lb n="pse_126.014"/>
klare Gefügtheit des künstlerisch ordnenden Geistes lebendig <lb n="pse_126.015"/>
werden kann. Dieser Ambivalenz im Weltbild steht gegenüber <lb n="pse_126.016"/>
die Wertesicherheit, die klare Geordnetheit, die Gegründetheit. <lb n="pse_126.017"/>
Sie liegt schon in der Struktur des Geistes, dessen <lb n="pse_126.018"/>
Schöpfung die Dichtung ist; sie zeigt sich weiter in der Eindeutigkeit <lb n="pse_126.019"/>
der sprachlichen Bilder, in der Eindeutigkeit der <lb n="pse_126.020"/>
Symbole; dann in der Harmonie und Einheit des sich offenbarenden <lb n="pse_126.021"/>
Weltbildes trotz allem Reichtum und aller Gegensätze <lb n="pse_126.022"/>
oder eben in der Tatsache der Urwidersprüchlichkeit. <lb n="pse_126.023"/>
Endlich gehört dazu auch das Verhaftetsein im Ursprunghaften <lb n="pse_126.024"/>
sowohl der seelischen Tiefen und Kerne als auch im Kosmischen, <lb n="pse_126.025"/>
indem eben die Welt von Anfang an als Ureinheit <lb n="pse_126.026"/>
noch immer ahnbar und schaubar bleibt. Auch diese Kennzeichen, <lb n="pse_126.027"/>
die Pongs auch als Einfalt bezeichnet, sind an sich <lb n="pse_126.028"/>
noch nicht wertig oder unwertig. Jeder Zug kann wertlos <lb n="pse_126.029"/>
oder wertvoll sein. Die Gegründetheit der Struktur des <lb n="pse_126.030"/>
Schöpfers kann auch Enge bedeuten, die Eindeutigkeit der <lb n="pse_126.031"/>
sprachlichen Bilder und Symbole auch Ärmlichkeit des Gehalts, <lb n="pse_126.032"/>
Harmonie und Einheit des Weltbildes phrasenhafte <lb n="pse_126.033"/>
Schönrednerei und das Verhaftetsein im Ursprünglichen Verbäuerlichung <lb n="pse_126.034"/>
und Versimpelung. Aber auch umgekehrt: <lb n="pse_126.035"/>
Gegründetheit kann Festigkeit und Stärke sein, Eindeutigkeit <lb n="pse_126.036"/>
der Bilder und Symbole Kraft und Geschlossenheit, Harmonie <lb n="pse_126.037"/>
und Einheit des Weltbildes überwölbende Größe und Weite <lb n="pse_126.038"/>
und das Verhaftetsein im Ursprünglichen tiefster Lebenszusammenhang.
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[126/0142] pse_126.001 und im dichterischen Gestalten ordnende Geist des Dichters pse_126.002 vermag alle Zweideutigkeiten, alles Sowohl-Als-Auch in pse_126.003 einem Höheren zu umfassen. Nur wenn eben keine wertende pse_126.004 Ordnung mehr gelingt, wenn in der Wertunsicherheit und pse_126.005 Zerrissenheit gleichsam wohlig das Ende erlebt wird, können pse_126.006 uns von diesem Standpunkt aus Bedenken gegenüber einer pse_126.007 solchen Dichtung kommen. Selbstverständlich kann erst dann pse_126.008 endgültig geurteilt werden, wenn auch die künstlerische Gestalt pse_126.009 selbst in dieses Zwielicht gerät, wenn also auch sie zu pse_126.010 schwanken beginnt. Freilich muß hier schon gesagt werden, pse_126.011 daß auch dieses Zerrissensein, dieses Schwanken in einem pse_126.012 kühnen Gestaltungsvorgang selbst wieder als eine Einheit pse_126.013 und Geschlossenheit erscheinen und dann eben doch wieder pse_126.014 klare Gefügtheit des künstlerisch ordnenden Geistes lebendig pse_126.015 werden kann. Dieser Ambivalenz im Weltbild steht gegenüber pse_126.016 die Wertesicherheit, die klare Geordnetheit, die Gegründetheit. pse_126.017 Sie liegt schon in der Struktur des Geistes, dessen pse_126.018 Schöpfung die Dichtung ist; sie zeigt sich weiter in der Eindeutigkeit pse_126.019 der sprachlichen Bilder, in der Eindeutigkeit der pse_126.020 Symbole; dann in der Harmonie und Einheit des sich offenbarenden pse_126.021 Weltbildes trotz allem Reichtum und aller Gegensätze pse_126.022 oder eben in der Tatsache der Urwidersprüchlichkeit. pse_126.023 Endlich gehört dazu auch das Verhaftetsein im Ursprunghaften pse_126.024 sowohl der seelischen Tiefen und Kerne als auch im Kosmischen, pse_126.025 indem eben die Welt von Anfang an als Ureinheit pse_126.026 noch immer ahnbar und schaubar bleibt. Auch diese Kennzeichen, pse_126.027 die Pongs auch als Einfalt bezeichnet, sind an sich pse_126.028 noch nicht wertig oder unwertig. Jeder Zug kann wertlos pse_126.029 oder wertvoll sein. Die Gegründetheit der Struktur des pse_126.030 Schöpfers kann auch Enge bedeuten, die Eindeutigkeit der pse_126.031 sprachlichen Bilder und Symbole auch Ärmlichkeit des Gehalts, pse_126.032 Harmonie und Einheit des Weltbildes phrasenhafte pse_126.033 Schönrednerei und das Verhaftetsein im Ursprünglichen Verbäuerlichung pse_126.034 und Versimpelung. Aber auch umgekehrt: pse_126.035 Gegründetheit kann Festigkeit und Stärke sein, Eindeutigkeit pse_126.036 der Bilder und Symbole Kraft und Geschlossenheit, Harmonie pse_126.037 und Einheit des Weltbildes überwölbende Größe und Weite pse_126.038 und das Verhaftetsein im Ursprünglichen tiefster Lebenszusammenhang.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/142
Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/142>, abgerufen am 22.11.2024.