Unter allen Eisenconstructionen sind die Brücken, insoferne sie sich entweder durch außergewöhnliche Dimensionen oder durch Eigenart des Bautypus auszeichnen, diejenigen, an welchen neben dem größten Aufwande an Material auch ein gewisses ästhetisches Moment zur Geltung kommt. Der malerische Anblick eines solchen Baues, der Schwung der Linien, vor Allem aber der Eindruck, den eine außergewöhnlich kühne Anlage auf den Beschauer ausübt, dem Allem kommt eine Wirkung zu, welche das Object gewissermaßen zum Kunstwerke stempeln. Diese Bezeichnung ist aber insoferne nicht zutreffend, als es sich hier nur bezüglich der Gesammterscheinung des Bauwerkes -- ästhetische Gesichtspunkte vorausgesetzt -- um künstlerische Elemente handelt. Alles andere fußt auf mathematischen Grund- sätzen, welche, rechnerisch auf theoretischem Wege gewonnen, in praktische Mechanik umgesetzt werden.
Von dem Grade der diesfalls unerläßlichen Exactheit macht sich der Laie kaum eine zutreffende Vorstellung. Er wirft sich wohl die Frage auf, wie es möglich sei, solche Massen von Eisen und Stahl in ein Gewirr von Balken, Stäben und Streben aufzulösen, beziehungsweise in so innige Verbindung zu bringen, daß der erforderliche Grad von Sicherheit erreicht werde; von der hierzu noth- wendigen Exactheit aber erhält der Laie schwerlich den richtigen Begriff. Ihm erscheint es unglaublich, daß bei der Größe der einzelnen Constructionsglieder Alles und Jedes auf Millimeter stimmen müsse; er erwägt nicht, daß die Ueber- tragung selbst winziger Abweichungen vom mechanischen Resultate auf lange Bau- glieder, beziehungsweise auf das ganze zu bestellende Feld, sehr bedeutende Diffe- renzen ergeben würden, wozu noch die Einwirkungen der Temperatur als complicirender Factor hinzukommen.
Die außergewöhnliche Höhe mancher Brückenbauten ist vom technischen Stand- punkte selbstverständlich irrelevant, wenn sie auch zur Steigerung des äußeren Effectes wesentlich beiträgt. Ist die Brücke nicht nur sehr hoch, sondern weist sie
Zweiter Abſchnitt.
Der eiſerne Brückenbau.
Unter allen Eiſenconſtructionen ſind die Brücken, inſoferne ſie ſich entweder durch außergewöhnliche Dimenſionen oder durch Eigenart des Bautypus auszeichnen, diejenigen, an welchen neben dem größten Aufwande an Material auch ein gewiſſes äſthetiſches Moment zur Geltung kommt. Der maleriſche Anblick eines ſolchen Baues, der Schwung der Linien, vor Allem aber der Eindruck, den eine außergewöhnlich kühne Anlage auf den Beſchauer ausübt, dem Allem kommt eine Wirkung zu, welche das Object gewiſſermaßen zum Kunſtwerke ſtempeln. Dieſe Bezeichnung iſt aber inſoferne nicht zutreffend, als es ſich hier nur bezüglich der Geſammterſcheinung des Bauwerkes — äſthetiſche Geſichtspunkte vorausgeſetzt — um künſtleriſche Elemente handelt. Alles andere fußt auf mathematiſchen Grund- ſätzen, welche, rechneriſch auf theoretiſchem Wege gewonnen, in praktiſche Mechanik umgeſetzt werden.
Von dem Grade der diesfalls unerläßlichen Exactheit macht ſich der Laie kaum eine zutreffende Vorſtellung. Er wirft ſich wohl die Frage auf, wie es möglich ſei, ſolche Maſſen von Eiſen und Stahl in ein Gewirr von Balken, Stäben und Streben aufzulöſen, beziehungsweiſe in ſo innige Verbindung zu bringen, daß der erforderliche Grad von Sicherheit erreicht werde; von der hierzu noth- wendigen Exactheit aber erhält der Laie ſchwerlich den richtigen Begriff. Ihm erſcheint es unglaublich, daß bei der Größe der einzelnen Conſtructionsglieder Alles und Jedes auf Millimeter ſtimmen müſſe; er erwägt nicht, daß die Ueber- tragung ſelbſt winziger Abweichungen vom mechaniſchen Reſultate auf lange Bau- glieder, beziehungsweiſe auf das ganze zu beſtellende Feld, ſehr bedeutende Diffe- renzen ergeben würden, wozu noch die Einwirkungen der Temperatur als complicirender Factor hinzukommen.
Die außergewöhnliche Höhe mancher Brückenbauten iſt vom techniſchen Stand- punkte ſelbſtverſtändlich irrelevant, wenn ſie auch zur Steigerung des äußeren Effectes weſentlich beiträgt. Iſt die Brücke nicht nur ſehr hoch, ſondern weiſt ſie
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Zweiter Abſchnitt.
Der eiſerne Brückenbau.
Unter allen Eiſenconſtructionen ſind die Brücken, inſoferne ſie ſich entweder
durch außergewöhnliche Dimenſionen oder durch Eigenart des Bautypus
auszeichnen, diejenigen, an welchen neben dem größten Aufwande an
Material auch ein gewiſſes äſthetiſches Moment zur Geltung kommt. Der maleriſche
Anblick eines ſolchen Baues, der Schwung der Linien, vor Allem aber der Eindruck,
den eine außergewöhnlich kühne Anlage auf den Beſchauer ausübt, dem Allem
kommt eine Wirkung zu, welche das Object gewiſſermaßen zum Kunſtwerke ſtempeln.
Dieſe Bezeichnung iſt aber inſoferne nicht zutreffend, als es ſich hier nur bezüglich
der Geſammterſcheinung des Bauwerkes — äſthetiſche Geſichtspunkte vorausgeſetzt —
um künſtleriſche Elemente handelt. Alles andere fußt auf mathematiſchen Grund-
ſätzen, welche, rechneriſch auf theoretiſchem Wege gewonnen, in praktiſche Mechanik
umgeſetzt werden.
Von dem Grade der diesfalls unerläßlichen Exactheit macht ſich der Laie
kaum eine zutreffende Vorſtellung. Er wirft ſich wohl die Frage auf, wie es
möglich ſei, ſolche Maſſen von Eiſen und Stahl in ein Gewirr von Balken,
Stäben und Streben aufzulöſen, beziehungsweiſe in ſo innige Verbindung zu bringen,
daß der erforderliche Grad von Sicherheit erreicht werde; von der hierzu noth-
wendigen Exactheit aber erhält der Laie ſchwerlich den richtigen Begriff. Ihm
erſcheint es unglaublich, daß bei der Größe der einzelnen Conſtructionsglieder
Alles und Jedes auf Millimeter ſtimmen müſſe; er erwägt nicht, daß die Ueber-
tragung ſelbſt winziger Abweichungen vom mechaniſchen Reſultate auf lange Bau-
glieder, beziehungsweiſe auf das ganze zu beſtellende Feld, ſehr bedeutende Diffe-
renzen ergeben würden, wozu noch die Einwirkungen der Temperatur als complicirender
Factor hinzukommen.
Die außergewöhnliche Höhe mancher Brückenbauten iſt vom techniſchen Stand-
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Effectes weſentlich beiträgt. Iſt die Brücke nicht nur ſehr hoch, ſondern weiſt ſie
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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Im Reiche der Cyklopen: eine populäre Darstellung der Stahl- und Eisentechnik. Wien u. a., 1900, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_cyklopen_1900/302>, abgerufen am 21.11.2024.
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