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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Im Reiche der Cyklopen: eine populäre Darstellung der Stahl- und Eisentechnik. Wien u. a., 1900.

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Erster Abschnitt.
Der Tiegelstahl wird in verhältnißmäßig kleinen Quantitäten von bestimmter Zu-
sammensetzung erzeugt. Da der Größe der Tiegel eine Grenze gesteckt ist, so ergiebt
sich von selbst, daß größere Mengen nur durch offenen Schmelzproceß zu gewinnen
sind. Dies ist in der That durch den Martinproceß erreicht worden. Der Herd
des Martin-Siemens'schen Ofens ist im Grunde genommen nichts anderes als ein
großer Tiegel. Er ist aber nicht, wie dieser, geschlossen, sondern der äußeren Ein-
wirkung der Feuergase ausgesetzt, wodurch chemische Veränderungen hervorgerufen
werden, die sich vornehmlich auf die mit dem Schmelzproceß verbundene Entkohlung
beziehen.

Nun hat man es aber in der Hand, durch Zuführung einer entsprechenden
Menge von Roheisen den Kohlenstoff derart zu vermehren, daß der gewünschte
Härtegrad für den zu erzeugenden Stahl leicht durch entsprechendes Ueberhitzen der
Schmelzmasse zu erreichen ist. Man darf hierbei nicht aus dem Auge verlieren,
daß die natürliche Entkohlung bei einer so bedeutenden Menge, wie sie der Siemens-
herd aufnimmt, keinen so raschen Verlauf nimmt, um nicht durch zeitweilige Schöpf-
proben sich völlig klar darüber zu werden, welchen Härtegrad die Schmelzmasse
repräsentirt. Aber selbst dann, wenn die Entkohlung zu weit fortgeschritten sein
sollte, hat man es in der Hand, noch kurz vor dem Gießen durch Zusatz von Roh-
eisen den gewünschten Grad von Rückkohlung zu erreichen. Wählt man zu diesem
Zwecke ein an Mangan und Silicium reiches Roheisen, so erzielt man überdies
eine homogene Gußmasse, da die genannten Elemente die Ausscheidung von Gas-
blasen verhindern.

Zu den vorstehend geschilderten Vortheilen des Martinprocesses kommt noch
der, daß er sich sehr einfach abspielt und keinerlei Maschinenarbeit bedarf, und daß
er besonders gut gedrillter Arbeiter entbehren kann. Dabei ist das Erzeugniß selbst
von einer Güte, welche demjenigen des Tiegelstahles fast gleichkommt, während er
diesen bezüglich der Vielseitigkeit bei Weitem überragt. Das meiste Stahlmaterial,
welches für Eisenbahn- und Schiffbauzwecke, sowie für den Maschinenbau in Ver-
wendung kommt, ist -- neben Bessemerstahl -- Martinstahl. Im Uebrigen erinnern
wir an den durch Thomas und Gilchrist eingeführten basischen Martinproceß,
durch welchen das Verfahren eine Vervollkommnung erlangt hat, die dessen all-
gemeine Verbreitung erklärlich macht.

In der Krupp'schen Fabrik, wo Alles ins Großartige geht, sind auch die
Martinwerke hervorragende Anlagen dieser Art. Schauen wir uns vorerst im
Martinwerk I etwas genauer um. Es ist eine Halle wie der Schmelzbau, nur etwas
kleiner. Die Anordnung ist ungefähr dieselbe: in der Mitte, zwischen den eisernen
Säulen, der Gießcanal, zu beiden Seiten, aber viel näher an die Säulen heran-
rückend, die Oefen, auf jeder Seite fünf. Sie sind auf der Rückseite völlig geschlossen
und haben hier nur das Abstichloch und eine kurze Abflußrinne. Die in jedem
Ofen enthaltene Schmelzmasse fließt nicht unmittelbar in den Gießcanal (beziehungs-
weise in die bereitgestellten Formen) ab, sondern kommt vorerst in die sogenannte

Erſter Abſchnitt.
Der Tiegelſtahl wird in verhältnißmäßig kleinen Quantitäten von beſtimmter Zu-
ſammenſetzung erzeugt. Da der Größe der Tiegel eine Grenze geſteckt iſt, ſo ergiebt
ſich von ſelbſt, daß größere Mengen nur durch offenen Schmelzproceß zu gewinnen
ſind. Dies iſt in der That durch den Martinproceß erreicht worden. Der Herd
des Martin-Siemens'ſchen Ofens iſt im Grunde genommen nichts anderes als ein
großer Tiegel. Er iſt aber nicht, wie dieſer, geſchloſſen, ſondern der äußeren Ein-
wirkung der Feuergaſe ausgeſetzt, wodurch chemiſche Veränderungen hervorgerufen
werden, die ſich vornehmlich auf die mit dem Schmelzproceß verbundene Entkohlung
beziehen.

Nun hat man es aber in der Hand, durch Zuführung einer entſprechenden
Menge von Roheiſen den Kohlenſtoff derart zu vermehren, daß der gewünſchte
Härtegrad für den zu erzeugenden Stahl leicht durch entſprechendes Ueberhitzen der
Schmelzmaſſe zu erreichen iſt. Man darf hierbei nicht aus dem Auge verlieren,
daß die natürliche Entkohlung bei einer ſo bedeutenden Menge, wie ſie der Siemens-
herd aufnimmt, keinen ſo raſchen Verlauf nimmt, um nicht durch zeitweilige Schöpf-
proben ſich völlig klar darüber zu werden, welchen Härtegrad die Schmelzmaſſe
repräſentirt. Aber ſelbſt dann, wenn die Entkohlung zu weit fortgeſchritten ſein
ſollte, hat man es in der Hand, noch kurz vor dem Gießen durch Zuſatz von Roh-
eiſen den gewünſchten Grad von Rückkohlung zu erreichen. Wählt man zu dieſem
Zwecke ein an Mangan und Silicium reiches Roheiſen, ſo erzielt man überdies
eine homogene Gußmaſſe, da die genannten Elemente die Ausſcheidung von Gas-
blaſen verhindern.

Zu den vorſtehend geſchilderten Vortheilen des Martinproceſſes kommt noch
der, daß er ſich ſehr einfach abſpielt und keinerlei Maſchinenarbeit bedarf, und daß
er beſonders gut gedrillter Arbeiter entbehren kann. Dabei iſt das Erzeugniß ſelbſt
von einer Güte, welche demjenigen des Tiegelſtahles faſt gleichkommt, während er
dieſen bezüglich der Vielſeitigkeit bei Weitem überragt. Das meiſte Stahlmaterial,
welches für Eiſenbahn- und Schiffbauzwecke, ſowie für den Maſchinenbau in Ver-
wendung kommt, iſt — neben Beſſemerſtahl — Martinſtahl. Im Uebrigen erinnern
wir an den durch Thomas und Gilchriſt eingeführten baſiſchen Martinproceß,
durch welchen das Verfahren eine Vervollkommnung erlangt hat, die deſſen all-
gemeine Verbreitung erklärlich macht.

In der Krupp'ſchen Fabrik, wo Alles ins Großartige geht, ſind auch die
Martinwerke hervorragende Anlagen dieſer Art. Schauen wir uns vorerſt im
Martinwerk I etwas genauer um. Es iſt eine Halle wie der Schmelzbau, nur etwas
kleiner. Die Anordnung iſt ungefähr dieſelbe: in der Mitte, zwiſchen den eiſernen
Säulen, der Gießcanal, zu beiden Seiten, aber viel näher an die Säulen heran-
rückend, die Oefen, auf jeder Seite fünf. Sie ſind auf der Rückſeite völlig geſchloſſen
und haben hier nur das Abſtichloch und eine kurze Abflußrinne. Die in jedem
Ofen enthaltene Schmelzmaſſe fließt nicht unmittelbar in den Gießcanal (beziehungs-
weiſe in die bereitgeſtellten Formen) ab, ſondern kommt vorerſt in die ſogenannte

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[142/0168] Erſter Abſchnitt. Der Tiegelſtahl wird in verhältnißmäßig kleinen Quantitäten von beſtimmter Zu- ſammenſetzung erzeugt. Da der Größe der Tiegel eine Grenze geſteckt iſt, ſo ergiebt ſich von ſelbſt, daß größere Mengen nur durch offenen Schmelzproceß zu gewinnen ſind. Dies iſt in der That durch den Martinproceß erreicht worden. Der Herd des Martin-Siemens'ſchen Ofens iſt im Grunde genommen nichts anderes als ein großer Tiegel. Er iſt aber nicht, wie dieſer, geſchloſſen, ſondern der äußeren Ein- wirkung der Feuergaſe ausgeſetzt, wodurch chemiſche Veränderungen hervorgerufen werden, die ſich vornehmlich auf die mit dem Schmelzproceß verbundene Entkohlung beziehen. Nun hat man es aber in der Hand, durch Zuführung einer entſprechenden Menge von Roheiſen den Kohlenſtoff derart zu vermehren, daß der gewünſchte Härtegrad für den zu erzeugenden Stahl leicht durch entſprechendes Ueberhitzen der Schmelzmaſſe zu erreichen iſt. Man darf hierbei nicht aus dem Auge verlieren, daß die natürliche Entkohlung bei einer ſo bedeutenden Menge, wie ſie der Siemens- herd aufnimmt, keinen ſo raſchen Verlauf nimmt, um nicht durch zeitweilige Schöpf- proben ſich völlig klar darüber zu werden, welchen Härtegrad die Schmelzmaſſe repräſentirt. Aber ſelbſt dann, wenn die Entkohlung zu weit fortgeſchritten ſein ſollte, hat man es in der Hand, noch kurz vor dem Gießen durch Zuſatz von Roh- eiſen den gewünſchten Grad von Rückkohlung zu erreichen. Wählt man zu dieſem Zwecke ein an Mangan und Silicium reiches Roheiſen, ſo erzielt man überdies eine homogene Gußmaſſe, da die genannten Elemente die Ausſcheidung von Gas- blaſen verhindern. Zu den vorſtehend geſchilderten Vortheilen des Martinproceſſes kommt noch der, daß er ſich ſehr einfach abſpielt und keinerlei Maſchinenarbeit bedarf, und daß er beſonders gut gedrillter Arbeiter entbehren kann. Dabei iſt das Erzeugniß ſelbſt von einer Güte, welche demjenigen des Tiegelſtahles faſt gleichkommt, während er dieſen bezüglich der Vielſeitigkeit bei Weitem überragt. Das meiſte Stahlmaterial, welches für Eiſenbahn- und Schiffbauzwecke, ſowie für den Maſchinenbau in Ver- wendung kommt, iſt — neben Beſſemerſtahl — Martinſtahl. Im Uebrigen erinnern wir an den durch Thomas und Gilchriſt eingeführten baſiſchen Martinproceß, durch welchen das Verfahren eine Vervollkommnung erlangt hat, die deſſen all- gemeine Verbreitung erklärlich macht. In der Krupp'ſchen Fabrik, wo Alles ins Großartige geht, ſind auch die Martinwerke hervorragende Anlagen dieſer Art. Schauen wir uns vorerſt im Martinwerk I etwas genauer um. Es iſt eine Halle wie der Schmelzbau, nur etwas kleiner. Die Anordnung iſt ungefähr dieſelbe: in der Mitte, zwiſchen den eiſernen Säulen, der Gießcanal, zu beiden Seiten, aber viel näher an die Säulen heran- rückend, die Oefen, auf jeder Seite fünf. Sie ſind auf der Rückſeite völlig geſchloſſen und haben hier nur das Abſtichloch und eine kurze Abflußrinne. Die in jedem Ofen enthaltene Schmelzmaſſe fließt nicht unmittelbar in den Gießcanal (beziehungs- weiſe in die bereitgeſtellten Formen) ab, ſondern kommt vorerſt in die ſogenannte

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Im Reiche der Cyklopen: eine populäre Darstellung der Stahl- und Eisentechnik. Wien u. a., 1900, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_cyklopen_1900/168>, abgerufen am 22.11.2024.