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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Hoch-Armenien.
über Gebühr zu verfolgen. Der uralte Antagonismus zwischen
Katholiken und Griechen war hiemit vollends entfesselt und als
nun gar auch amerikanische Missionäre unter den Gregorianern
Propaganda zu machen begannen, fanden die Leiden der Schisma-
tiker kein Ende. Sir Stratford Canning bewies der Pforte, daß
es ja in ihrem Interesse liegen müsse, wenn die armenische Be-
völkerung durch derlei rituelle Fragen gespalten und somit ohn-
mächtig gemacht werde1; aber mit dieser Wahrheit hatte der
englische Staatsmann eine so ziemlich entgegengesetzte Wirkung
erzielt und wie nie zuvor wurde es den Armeniern klar, daß
nur die Betonung ihrer Nationalität, nicht aber jene ihrer
rituellen Divergenzen, sie einer bessern Zukunft entgegenführen
könnte ...

Wenn je eine Stadt unverdienter Weise den Rang einer
Provinzial-Hauptstadt, ja eines ganzen, weit ausgedehnten und
an historischen Erinnerungen überreichen Landes erhalten hat, so
ist dies mit der armenischen Capitale der Fall. Im eigentlichen
Groß- oder Hoch-Armenien (Arm.: Partsr Haik) gibt es über-
haupt nur zwei größere Plätze von einer bedeutenderen Ver-
gangenheit, das östliche Erzerum und das westliche Erzingian.
Von diesen beiden Emporien, die in nur geringer Entfernung
von einander an den "Ufern des heiligen, befruchtenden Stromes",
des Ewfrat oder Eprat der ältesten Geschichtstradition, erstanden
und blühten, ist Erzingian im armenischen Sinne die weitaus
nationalere, der Ursitz des ältesten armenischen Göttercultes und
späterhin der Ausgangspunkt jenes christlichen Missionswerkes,
das zu seinem Träger den, geradezu göttlich verehrten armenischen
National-Patron Gregorios Illuminator hatte. Dieser schon an
sich maßgebenden Thatsache gegenüber erscheint die ältere wie
jüngere Stadtchronik Erzerums dürre und inhaltslos, als wären
keine zwei Jahrtausende an der einsamen Plateaustadt, sondern
nur wenige Decennien vorübergegangen. Zur Zeit der Blüthe
des bagratidischen Königthums und vorher noch scheint Garin,
wie das damalige Erzerum bis zum Ausgang des 5. Jahr-
hunderts (u. Z.) hieß, nicht die geringste Rolle gespielt zu haben;
es geschieht zum mindesten von dieser Capitale unweit der

1 Augsb. "Allg. Ztg.", Nr. 47 (Beilage) 1877.

Hoch-Armenien.
über Gebühr zu verfolgen. Der uralte Antagonismus zwiſchen
Katholiken und Griechen war hiemit vollends entfeſſelt und als
nun gar auch amerikaniſche Miſſionäre unter den Gregorianern
Propaganda zu machen begannen, fanden die Leiden der Schisma-
tiker kein Ende. Sir Stratford Canning bewies der Pforte, daß
es ja in ihrem Intereſſe liegen müſſe, wenn die armeniſche Be-
völkerung durch derlei rituelle Fragen geſpalten und ſomit ohn-
mächtig gemacht werde1; aber mit dieſer Wahrheit hatte der
engliſche Staatsmann eine ſo ziemlich entgegengeſetzte Wirkung
erzielt und wie nie zuvor wurde es den Armeniern klar, daß
nur die Betonung ihrer Nationalität, nicht aber jene ihrer
rituellen Divergenzen, ſie einer beſſern Zukunft entgegenführen
könnte …

Wenn je eine Stadt unverdienter Weiſe den Rang einer
Provinzial-Hauptſtadt, ja eines ganzen, weit ausgedehnten und
an hiſtoriſchen Erinnerungen überreichen Landes erhalten hat, ſo
iſt dies mit der armeniſchen Capitale der Fall. Im eigentlichen
Groß- oder Hoch-Armenien (Arm.: Partsr Haik) gibt es über-
haupt nur zwei größere Plätze von einer bedeutenderen Ver-
gangenheit, das öſtliche Erzerum und das weſtliche Erzingian.
Von dieſen beiden Emporien, die in nur geringer Entfernung
von einander an den „Ufern des heiligen, befruchtenden Stromes“,
des Ewfrat oder Eprat der älteſten Geſchichtstradition, erſtanden
und blühten, iſt Erzingian im armeniſchen Sinne die weitaus
nationalere, der Urſitz des älteſten armeniſchen Göttercultes und
ſpäterhin der Ausgangspunkt jenes chriſtlichen Miſſionswerkes,
das zu ſeinem Träger den, geradezu göttlich verehrten armeniſchen
National-Patron Gregorios Illuminator hatte. Dieſer ſchon an
ſich maßgebenden Thatſache gegenüber erſcheint die ältere wie
jüngere Stadtchronik Erzerums dürre und inhaltslos, als wären
keine zwei Jahrtauſende an der einſamen Plateauſtadt, ſondern
nur wenige Decennien vorübergegangen. Zur Zeit der Blüthe
des bagratidiſchen Königthums und vorher noch ſcheint Garin,
wie das damalige Erzerum bis zum Ausgang des 5. Jahr-
hunderts (u. Z.) hieß, nicht die geringſte Rolle geſpielt zu haben;
es geſchieht zum mindeſten von dieſer Capitale unweit der

1 Augsb. „Allg. Ztg.“, Nr. 47 (Beilage) 1877.
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[52/0084] Hoch-Armenien. über Gebühr zu verfolgen. Der uralte Antagonismus zwiſchen Katholiken und Griechen war hiemit vollends entfeſſelt und als nun gar auch amerikaniſche Miſſionäre unter den Gregorianern Propaganda zu machen begannen, fanden die Leiden der Schisma- tiker kein Ende. Sir Stratford Canning bewies der Pforte, daß es ja in ihrem Intereſſe liegen müſſe, wenn die armeniſche Be- völkerung durch derlei rituelle Fragen geſpalten und ſomit ohn- mächtig gemacht werde 1; aber mit dieſer Wahrheit hatte der engliſche Staatsmann eine ſo ziemlich entgegengeſetzte Wirkung erzielt und wie nie zuvor wurde es den Armeniern klar, daß nur die Betonung ihrer Nationalität, nicht aber jene ihrer rituellen Divergenzen, ſie einer beſſern Zukunft entgegenführen könnte … Wenn je eine Stadt unverdienter Weiſe den Rang einer Provinzial-Hauptſtadt, ja eines ganzen, weit ausgedehnten und an hiſtoriſchen Erinnerungen überreichen Landes erhalten hat, ſo iſt dies mit der armeniſchen Capitale der Fall. Im eigentlichen Groß- oder Hoch-Armenien (Arm.: Partsr Haik) gibt es über- haupt nur zwei größere Plätze von einer bedeutenderen Ver- gangenheit, das öſtliche Erzerum und das weſtliche Erzingian. Von dieſen beiden Emporien, die in nur geringer Entfernung von einander an den „Ufern des heiligen, befruchtenden Stromes“, des Ewfrat oder Eprat der älteſten Geſchichtstradition, erſtanden und blühten, iſt Erzingian im armeniſchen Sinne die weitaus nationalere, der Urſitz des älteſten armeniſchen Göttercultes und ſpäterhin der Ausgangspunkt jenes chriſtlichen Miſſionswerkes, das zu ſeinem Träger den, geradezu göttlich verehrten armeniſchen National-Patron Gregorios Illuminator hatte. Dieſer ſchon an ſich maßgebenden Thatſache gegenüber erſcheint die ältere wie jüngere Stadtchronik Erzerums dürre und inhaltslos, als wären keine zwei Jahrtauſende an der einſamen Plateauſtadt, ſondern nur wenige Decennien vorübergegangen. Zur Zeit der Blüthe des bagratidiſchen Königthums und vorher noch ſcheint Garin, wie das damalige Erzerum bis zum Ausgang des 5. Jahr- hunderts (u. Z.) hieß, nicht die geringſte Rolle geſpielt zu haben; es geſchieht zum mindeſten von dieſer Capitale unweit der 1 Augsb. „Allg. Ztg.“, Nr. 47 (Beilage) 1877.

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/84>, abgerufen am 23.11.2024.