Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.Im Ararat-Gebiet. verlegt und der Sitz des Patriarchen hundert Jahre nach GregorsTod von Etschmiadsin nach Towin1 bei Artaxata (drei Meilen südöstlich von Eriwan), wo die altersgraue Silhouette noch heute von mäßig hohem Berghange in das fruchtbare Araxesthal hinab- blickt. Hier verblieben die armenischen Patriarchen bis ins achte Jahrhundert hinein, wo die Epoche ihrer schwersten Bedrängniß hereinbrach und nahezu bis zum Ausgange des Mittelalters währte. Zur Zeit als der Seldschukide Alp-Arzlan dem armenischen Reiche ein Ende gemacht hatte, befand sich der Patriarchensitz wieder in Etschmiadsin, wo über den heiligen Stätten sich im Laufe der Zeit stets größere Zu- und Neubauten erhoben. Neben der Urkirche, die dem Nationalpatron geweiht ist, erhebt sich auf der Stätte der einstigen Arsaciden-Capitale die Kirche Hrip- sime, ein Denkmal an das Martyrium der römischen Christinnen, zu welchem Dertad, zur Sühne, selbst den Grundstein legte; die dritte heilige Stätte ist das Kloster Gaiane2 ... Umschimmert von einer schweren Menge hochgehaltener Traditionen, die ab und zu in legendaren Kundgebungen verdämmern und so den Reiz des Glaubenshortes nur noch erhöhen, bietet Etschmiadsin heute zwar nicht mehr das poetische Bild eines den Stürmen der Zeit und feindlichen Barbaren trotzenden Asyls, auch nicht das eines außergewöhnlichen Glanzes, wie noch vor wenigen Decennien, sondern es bildet vielmehr den religiös-politischen Central- und Krystallisationspunkt Armeniens. Daß demjenigen, der die Ober- hoheitsrechte über Etschmiadsin ausübt, auch die kirchliche Supre- matie und die politische Sympathie in ganz Armenien gesichert sei, hat Rußland weit rascher noch begriffen, als der kluge Schah Abbas, der den Mönchssitz bei Eriwan mit allen denkbaren Vor- rechten ausstattete und sogar jeden seiner Verfolger, der sie künftighin schmälern wollte, mit Fluch bedrohte. Wie der Tempel des heiligen Gregorios heute zu Etschmiadsin saces, als erste Residenz der Arsaciden ihre eigentliche Bedeutung erhalten. Sie blieb bis unter Arsaces III. (um 354 n. Chr.) Residenz der Könige aus diesem Hause, worauf sie der Zerstörungswuth des Sassaniden Schah- pur II. zum Opfer fiel. 1 St. Martin, a. a. O. 2 Vgl. Parrot, "Reisen", I, 82 u. ff.
Im Ararat-Gebiet. verlegt und der Sitz des Patriarchen hundert Jahre nach GregorsTod von Etſchmiadſin nach Towin1 bei Artaxata (drei Meilen ſüdöſtlich von Eriwan), wo die altersgraue Silhouette noch heute von mäßig hohem Berghange in das fruchtbare Araxesthal hinab- blickt. Hier verblieben die armeniſchen Patriarchen bis ins achte Jahrhundert hinein, wo die Epoche ihrer ſchwerſten Bedrängniß hereinbrach und nahezu bis zum Ausgange des Mittelalters währte. Zur Zeit als der Seldſchukide Alp-Arzlan dem armeniſchen Reiche ein Ende gemacht hatte, befand ſich der Patriarchenſitz wieder in Etſchmiadſin, wo über den heiligen Stätten ſich im Laufe der Zeit ſtets größere Zu- und Neubauten erhoben. Neben der Urkirche, die dem Nationalpatron geweiht iſt, erhebt ſich auf der Stätte der einſtigen Arſaciden-Capitale die Kirche Hrip- ſime, ein Denkmal an das Martyrium der römiſchen Chriſtinnen, zu welchem Dertad, zur Sühne, ſelbſt den Grundſtein legte; die dritte heilige Stätte iſt das Kloſter Gaiane2 … Umſchimmert von einer ſchweren Menge hochgehaltener Traditionen, die ab und zu in legendaren Kundgebungen verdämmern und ſo den Reiz des Glaubenshortes nur noch erhöhen, bietet Etſchmiadſin heute zwar nicht mehr das poetiſche Bild eines den Stürmen der Zeit und feindlichen Barbaren trotzenden Aſyls, auch nicht das eines außergewöhnlichen Glanzes, wie noch vor wenigen Decennien, ſondern es bildet vielmehr den religiös-politiſchen Central- und Kryſtalliſationspunkt Armeniens. Daß demjenigen, der die Ober- hoheitsrechte über Etſchmiadſin ausübt, auch die kirchliche Supre- matie und die politiſche Sympathie in ganz Armenien geſichert ſei, hat Rußland weit raſcher noch begriffen, als der kluge Schah Abbas, der den Mönchsſitz bei Eriwan mit allen denkbaren Vor- rechten ausſtattete und ſogar jeden ſeiner Verfolger, der ſie künftighin ſchmälern wollte, mit Fluch bedrohte. Wie der Tempel des heiligen Gregorios heute zu Etſchmiadſin ſaces, als erſte Reſidenz der Arſaciden ihre eigentliche Bedeutung erhalten. Sie blieb bis unter Arſaces III. (um 354 n. Chr.) Reſidenz der Könige aus dieſem Hauſe, worauf ſie der Zerſtörungswuth des Saſſaniden Schah- pur II. zum Opfer fiel. 1 St. Martin, a. a. O. 2 Vgl. Parrot, „Reiſen“, I, 82 u. ff.
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Im Ararat-Gebiet.
verlegt und der Sitz des Patriarchen hundert Jahre nach Gregors
Tod von Etſchmiadſin nach Towin 1 bei Artaxata (drei Meilen
ſüdöſtlich von Eriwan), wo die altersgraue Silhouette noch heute
von mäßig hohem Berghange in das fruchtbare Araxesthal hinab-
blickt. Hier verblieben die armeniſchen Patriarchen bis ins achte
Jahrhundert hinein, wo die Epoche ihrer ſchwerſten Bedrängniß
hereinbrach und nahezu bis zum Ausgange des Mittelalters währte.
Zur Zeit als der Seldſchukide Alp-Arzlan dem armeniſchen
Reiche ein Ende gemacht hatte, befand ſich der Patriarchenſitz
wieder in Etſchmiadſin, wo über den heiligen Stätten ſich im
Laufe der Zeit ſtets größere Zu- und Neubauten erhoben. Neben
der Urkirche, die dem Nationalpatron geweiht iſt, erhebt ſich
auf der Stätte der einſtigen Arſaciden-Capitale die Kirche Hrip-
ſime, ein Denkmal an das Martyrium der römiſchen Chriſtinnen,
zu welchem Dertad, zur Sühne, ſelbſt den Grundſtein legte; die
dritte heilige Stätte iſt das Kloſter Gaiane 2 … Umſchimmert
von einer ſchweren Menge hochgehaltener Traditionen, die ab
und zu in legendaren Kundgebungen verdämmern und ſo den Reiz
des Glaubenshortes nur noch erhöhen, bietet Etſchmiadſin heute
zwar nicht mehr das poetiſche Bild eines den Stürmen der Zeit
und feindlichen Barbaren trotzenden Aſyls, auch nicht das eines
außergewöhnlichen Glanzes, wie noch vor wenigen Decennien,
ſondern es bildet vielmehr den religiös-politiſchen Central- und
Kryſtalliſationspunkt Armeniens. Daß demjenigen, der die Ober-
hoheitsrechte über Etſchmiadſin ausübt, auch die kirchliche Supre-
matie und die politiſche Sympathie in ganz Armenien geſichert
ſei, hat Rußland weit raſcher noch begriffen, als der kluge Schah
Abbas, der den Mönchsſitz bei Eriwan mit allen denkbaren Vor-
rechten ausſtattete und ſogar jeden ſeiner Verfolger, der ſie
künftighin ſchmälern wollte, mit Fluch bedrohte.
Wie der Tempel des heiligen Gregorios heute zu Etſchmiadſin
daſteht, läßt er kaum mehr ſein Alter in architektoniſcher Hin-
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1 St. Martin, a. a. O.
2 Vgl. Parrot, „Reiſen“, I, 82 u. ff.
4 ſaces, als erſte Reſidenz der Arſaciden ihre eigentliche Bedeutung erhalten.
Sie blieb bis unter Arſaces III. (um 354 n. Chr.) Reſidenz der Könige
aus dieſem Hauſe, worauf ſie der Zerſtörungswuth des Saſſaniden Schah-
pur II. zum Opfer fiel.
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