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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Anhang. Anatolische Fragmente.
hin einige Zeit bestehen konnte, beweist, wie es ja auch durch
Chroniken1 erwiesen ist, wie lebhaft selbst in dieser Zeit des
Niederganges die Handelsbewegung, zumal die Schiffahrt von
und zu dem Seestapelplatze gewesen sein mußte, um den Piraten-
Emiren zu ihrer Wohlhabenheit zu verhelfen. Selbst Temurs
Hof-Historiographen konnten noch die östliche Halbinsel, jenes
Vorgebirge, auf dessen Grashöhen heute Kameele und Pferde
weiden -- bei den Türken Boz-Tepe -- eine "Insel der Seligen"
nennen, und ihre Federn in üppigen Beschreibungen von Garten-
pracht und Wildreichthum schwelgen lassen2.

Seitdem die seldschukidischen Nomaden das anatolische Land
occupirt hatten, wurde Sinopes Pulsschlag matter3. Die ver-
einzelten Kunst-Anläufe einiger Seldschukiden genügten nicht, um
ihnen allgemeine Bedeutung zu geben. Als nun gar an Stelle
der alten Marmorpaläste das luftige Zelt des osmanischen

diese Zustände zu verbessern im Hinblick auf die Nähe des schönen Gjök-
Thales mit seinen netten Dörfern und zahlreichen Gartenanlagen. (Vgl.
W. Ainsworth, "Trav. and Res.", I, 48.
1 Bei Ibn Batuta etc.
2 Bei Fallmerayer, "Gesch. d. Kais. Trap.", 304.
Es gab also zur Zeit der Timuriden, sowie auch vor dem Falle Con-
stantinopels, an Stelle der heutigen Oede noch immer einen prächtigen
Park, der bis auf den letzten Cypressenzweig verschwunden ist. Nur in
der Nähe der Stadtmauern ragen noch einige altehrwürdige Exemplare
in die Höhe. Für den Charakter des unter der Osmanenherrschaft statt-
gefundenen Wechsels ist es übrigens bezeichnend, wenn der Wander-Ge-
lehrte Ewlia Effendi (Hammer-Purgstall'sche englische Uebersetzung, II,
a. a. O.) gelegentlich seines Besuches der Stadt (1648) an ihr hauptsächlich
nur zu rühmen weiß, daß sie an zwei Tausend Mädchen und Knaben
besäße, die -- den Koran auswendig herzusagen vermögen. Das Schwer-
gewicht scheint bei diesem frommen Manne, der sich auf seiner Tour durch
das türkische Reich hauptsächlich mit der Constatirung der jugendlichen
Gedächtnißkräfte in Sachen teologisch-literarifcher Reception beschäftigt zu
haben scheint, weit mehr in Koran-Exegesis und dogmatischer Grübelei
gelegen zu sein, als in der Nachahmung früherer Gelehrsamkeit, als deren
eine Pflanzstätte am Pontus Sinope war. Das Herplappern der mehr
oder minder an innerer Logik krankenden Suren des heiligen Buches
bildete aber gewiß einen nur schwachen Ersatz für die einstigen Beziehungen
der syrischen und milesischen Sinoper zu den großen Culturstätten des
Ostens.
3 Vgl. Hammer-Purgstall, "Gesch. d. osm. Reich.", IV, 470.

Anhang. Anatoliſche Fragmente.
hin einige Zeit beſtehen konnte, beweiſt, wie es ja auch durch
Chroniken1 erwieſen iſt, wie lebhaft ſelbſt in dieſer Zeit des
Niederganges die Handelsbewegung, zumal die Schiffahrt von
und zu dem Seeſtapelplatze geweſen ſein mußte, um den Piraten-
Emiren zu ihrer Wohlhabenheit zu verhelfen. Selbſt Temurs
Hof-Hiſtoriographen konnten noch die öſtliche Halbinſel, jenes
Vorgebirge, auf deſſen Grashöhen heute Kameele und Pferde
weiden — bei den Türken Boz-Tepe — eine „Inſel der Seligen“
nennen, und ihre Federn in üppigen Beſchreibungen von Garten-
pracht und Wildreichthum ſchwelgen laſſen2.

Seitdem die ſeldſchukidiſchen Nomaden das anatoliſche Land
occupirt hatten, wurde Sinopes Pulsſchlag matter3. Die ver-
einzelten Kunſt-Anläufe einiger Seldſchukiden genügten nicht, um
ihnen allgemeine Bedeutung zu geben. Als nun gar an Stelle
der alten Marmorpaläſte das luftige Zelt des osmaniſchen

dieſe Zuſtände zu verbeſſern im Hinblick auf die Nähe des ſchönen Gjök-
Thales mit ſeinen netten Dörfern und zahlreichen Gartenanlagen. (Vgl.
W. Ainsworth, „Trav. and Res.“, I, 48.
1 Bei Ibn Batuta ꝛc.
2 Bei Fallmerayer, „Geſch. d. Kaiſ. Trap.“, 304.
Es gab alſo zur Zeit der Timuriden, ſowie auch vor dem Falle Con-
ſtantinopels, an Stelle der heutigen Oede noch immer einen prächtigen
Park, der bis auf den letzten Cypreſſenzweig verſchwunden iſt. Nur in
der Nähe der Stadtmauern ragen noch einige altehrwürdige Exemplare
in die Höhe. Für den Charakter des unter der Osmanenherrſchaft ſtatt-
gefundenen Wechſels iſt es übrigens bezeichnend, wenn der Wander-Ge-
lehrte Ewlia Effendi (Hammer-Purgſtall’ſche engliſche Ueberſetzung, II,
a. a. O.) gelegentlich ſeines Beſuches der Stadt (1648) an ihr hauptſächlich
nur zu rühmen weiß, daß ſie an zwei Tauſend Mädchen und Knaben
beſäße, die — den Koran auswendig herzuſagen vermögen. Das Schwer-
gewicht ſcheint bei dieſem frommen Manne, der ſich auf ſeiner Tour durch
das türkiſche Reich hauptſächlich mit der Conſtatirung der jugendlichen
Gedächtnißkräfte in Sachen teologiſch-literarifcher Reception beſchäftigt zu
haben ſcheint, weit mehr in Koran-Exegeſis und dogmatiſcher Grübelei
gelegen zu ſein, als in der Nachahmung früherer Gelehrſamkeit, als deren
eine Pflanzſtätte am Pontus Sinope war. Das Herplappern der mehr
oder minder an innerer Logik krankenden Suren des heiligen Buches
bildete aber gewiß einen nur ſchwachen Erſatz für die einſtigen Beziehungen
der ſyriſchen und mileſiſchen Sinoper zu den großen Culturſtätten des
Oſtens.
3 Vgl. Hammer-Purgſtall, „Geſch. d. osm. Reich.“, IV, 470.
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[204/0236] Anhang. Anatoliſche Fragmente. hin einige Zeit beſtehen konnte, beweiſt, wie es ja auch durch Chroniken 1 erwieſen iſt, wie lebhaft ſelbſt in dieſer Zeit des Niederganges die Handelsbewegung, zumal die Schiffahrt von und zu dem Seeſtapelplatze geweſen ſein mußte, um den Piraten- Emiren zu ihrer Wohlhabenheit zu verhelfen. Selbſt Temurs Hof-Hiſtoriographen konnten noch die öſtliche Halbinſel, jenes Vorgebirge, auf deſſen Grashöhen heute Kameele und Pferde weiden — bei den Türken Boz-Tepe — eine „Inſel der Seligen“ nennen, und ihre Federn in üppigen Beſchreibungen von Garten- pracht und Wildreichthum ſchwelgen laſſen 2. Seitdem die ſeldſchukidiſchen Nomaden das anatoliſche Land occupirt hatten, wurde Sinopes Pulsſchlag matter 3. Die ver- einzelten Kunſt-Anläufe einiger Seldſchukiden genügten nicht, um ihnen allgemeine Bedeutung zu geben. Als nun gar an Stelle der alten Marmorpaläſte das luftige Zelt des osmaniſchen 2 1 Bei Ibn Batuta ꝛc. 2 Bei Fallmerayer, „Geſch. d. Kaiſ. Trap.“, 304. Es gab alſo zur Zeit der Timuriden, ſowie auch vor dem Falle Con- ſtantinopels, an Stelle der heutigen Oede noch immer einen prächtigen Park, der bis auf den letzten Cypreſſenzweig verſchwunden iſt. Nur in der Nähe der Stadtmauern ragen noch einige altehrwürdige Exemplare in die Höhe. Für den Charakter des unter der Osmanenherrſchaft ſtatt- gefundenen Wechſels iſt es übrigens bezeichnend, wenn der Wander-Ge- lehrte Ewlia Effendi (Hammer-Purgſtall’ſche engliſche Ueberſetzung, II, a. a. O.) gelegentlich ſeines Beſuches der Stadt (1648) an ihr hauptſächlich nur zu rühmen weiß, daß ſie an zwei Tauſend Mädchen und Knaben beſäße, die — den Koran auswendig herzuſagen vermögen. Das Schwer- gewicht ſcheint bei dieſem frommen Manne, der ſich auf ſeiner Tour durch das türkiſche Reich hauptſächlich mit der Conſtatirung der jugendlichen Gedächtnißkräfte in Sachen teologiſch-literarifcher Reception beſchäftigt zu haben ſcheint, weit mehr in Koran-Exegeſis und dogmatiſcher Grübelei gelegen zu ſein, als in der Nachahmung früherer Gelehrſamkeit, als deren eine Pflanzſtätte am Pontus Sinope war. Das Herplappern der mehr oder minder an innerer Logik krankenden Suren des heiligen Buches bildete aber gewiß einen nur ſchwachen Erſatz für die einſtigen Beziehungen der ſyriſchen und mileſiſchen Sinoper zu den großen Culturſtätten des Oſtens. 3 Vgl. Hammer-Purgſtall, „Geſch. d. osm. Reich.“, IV, 470. 2 dieſe Zuſtände zu verbeſſern im Hinblick auf die Nähe des ſchönen Gjök- Thales mit ſeinen netten Dörfern und zahlreichen Gartenanlagen. (Vgl. W. Ainsworth, „Trav. and Res.“, I, 48.

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/236>, abgerufen am 27.04.2024.