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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Sinope, ein Culturbild.
es aber noch Schlimmeres, als die schiefen Thürme. Bekanntlich
haben die Russen am 30. November 1853 mit überlegenen,
meist aus großen Linienschiffen bestehendem Flottenmaterial das
hier ankernde türkische Geschwader angegriffen und gänzlich ver-
nichtet. Noch ragen hin und wieder die Mastspitzen der gesunkenen
Wracks aus der Meerfluth. Bei diesem Seekampfe kam aber
auch die Stadt selbst übel weg und die westlichere Hälfte sank
nahezu ganz in Trümmer1. Man hat an diesen Ruinen, wie
es in der Türkei ja üblich ist, bisher nicht gerührt, wahrscheinlich
in der Erwartung, daß auf Zauberwort irgend eines anderen
Ferhad aus ihnen neue Paläste erstehen würden, eine Hoffnung,
die allerdings einen problematischeren Werth hat, als ihn etwa
selbst die schlechteste türkische Bau-Commission bieten würde. Ja,
noch mehr, der Hafen von Sinope ist nach jenem von Balaclava
in der Krim der beste des Schwarzen Meeres; gleichwohl hat
man die seit Jahrhunderten eingestürzten Moli im Süden der
Stadt, deren Linie nur wenige Meter unter dem Wasserspiegel noch
zu verfolgen ist, bis auf den Tag nicht entfernt, so daß Schiffe
von größerem Tiefgange sich der Stadt gar nicht nähern können.
Es war somit begreiflich, daß der Handel, der bei allen gege-
benen natürlichen Bedingungen gegen derlei Thatsachen nicht
anzukämpfen vermochte, am Ende gezwungen war, andere Linien
zu nehmen, und so blühte seit dem Bestehen der Dampfschiffahrt
auf dem Pontus das benachbarte Samsun2 rasch und sichtlich

als der Prophet erschien, und richte sich seitdem aus -- Ehrfurcht nicht wieder
auf. Daß Mohammed niemals in Mosul gewesen, braucht wohl nicht be-
sonders bemerkt zu werden.
1 Ueber dieses Ereigniß ist alles Mögliche gesagt worden, nur nicht
die Wahrheit, und zwar mit gutem Grunde; denn das Unglück der tür-
ktschen Flotte ist von Niemandem mehr verschuldet worden, als von den
angeblichen Busenfreunden der Pforte, und während man in den russischen
Kirchen das Tedeum anstimmte, hatte Niemand mehr Ursache sich zu freuen,
als eben Rußlands Gegner, die darüber scheinbar jammerten. In der
That lag es ganz im Geiste Palmerston'scher Alliancepolitik, sich von Ruß-
land den Dienst erweisen zu lassen, die brauchbarsten Schiffe der Türken
und deren beste Seeleute in die Luft zu sprengen, wobei man wohl nur
bedauerte, daß die russische Flotte nicht auch Löcher in den Leib bekommen
hatte. (Vgl. J. Heller, "Memoiren des Baron Bruck", 139.)
2 Samsun, mit seinem malerisch situirten armenischen Stadtviertel
oberhalb des winkeligen Türkenquartiers, mit seinem alten Castell und

Sinope, ein Culturbild.
es aber noch Schlimmeres, als die ſchiefen Thürme. Bekanntlich
haben die Ruſſen am 30. November 1853 mit überlegenen,
meiſt aus großen Linienſchiffen beſtehendem Flottenmaterial das
hier ankernde türkiſche Geſchwader angegriffen und gänzlich ver-
nichtet. Noch ragen hin und wieder die Maſtſpitzen der geſunkenen
Wracks aus der Meerfluth. Bei dieſem Seekampfe kam aber
auch die Stadt ſelbſt übel weg und die weſtlichere Hälfte ſank
nahezu ganz in Trümmer1. Man hat an dieſen Ruinen, wie
es in der Türkei ja üblich iſt, bisher nicht gerührt, wahrſcheinlich
in der Erwartung, daß auf Zauberwort irgend eines anderen
Ferhad aus ihnen neue Paläſte erſtehen würden, eine Hoffnung,
die allerdings einen problematiſcheren Werth hat, als ihn etwa
ſelbſt die ſchlechteſte türkiſche Bau-Commiſſion bieten würde. Ja,
noch mehr, der Hafen von Sinope iſt nach jenem von Balaclava
in der Krim der beſte des Schwarzen Meeres; gleichwohl hat
man die ſeit Jahrhunderten eingeſtürzten Moli im Süden der
Stadt, deren Linie nur wenige Meter unter dem Waſſerſpiegel noch
zu verfolgen iſt, bis auf den Tag nicht entfernt, ſo daß Schiffe
von größerem Tiefgange ſich der Stadt gar nicht nähern können.
Es war ſomit begreiflich, daß der Handel, der bei allen gege-
benen natürlichen Bedingungen gegen derlei Thatſachen nicht
anzukämpfen vermochte, am Ende gezwungen war, andere Linien
zu nehmen, und ſo blühte ſeit dem Beſtehen der Dampfſchiffahrt
auf dem Pontus das benachbarte Samſun2 raſch und ſichtlich

als der Prophet erſchien, und richte ſich ſeitdem aus — Ehrfurcht nicht wieder
auf. Daß Mohammed niemals in Moſul geweſen, braucht wohl nicht be-
ſonders bemerkt zu werden.
1 Ueber dieſes Ereigniß iſt alles Mögliche geſagt worden, nur nicht
die Wahrheit, und zwar mit gutem Grunde; denn das Unglück der tür-
ktſchen Flotte iſt von Niemandem mehr verſchuldet worden, als von den
angeblichen Buſenfreunden der Pforte, und während man in den ruſſiſchen
Kirchen das Tedeum anſtimmte, hatte Niemand mehr Urſache ſich zu freuen,
als eben Rußlands Gegner, die darüber ſcheinbar jammerten. In der
That lag es ganz im Geiſte Palmerſton’ſcher Alliancepolitik, ſich von Ruß-
land den Dienſt erweiſen zu laſſen, die brauchbarſten Schiffe der Türken
und deren beſte Seeleute in die Luft zu ſprengen, wobei man wohl nur
bedauerte, daß die ruſſiſche Flotte nicht auch Löcher in den Leib bekommen
hatte. (Vgl. J. Heller, „Memoiren des Baron Bruck“, 139.)
2 Samſun, mit ſeinem maleriſch ſituirten armeniſchen Stadtviertel
oberhalb des winkeligen Türkenquartiers, mit ſeinem alten Caſtell und
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[201/0233] Sinope, ein Culturbild. es aber noch Schlimmeres, als die ſchiefen Thürme. Bekanntlich haben die Ruſſen am 30. November 1853 mit überlegenen, meiſt aus großen Linienſchiffen beſtehendem Flottenmaterial das hier ankernde türkiſche Geſchwader angegriffen und gänzlich ver- nichtet. Noch ragen hin und wieder die Maſtſpitzen der geſunkenen Wracks aus der Meerfluth. Bei dieſem Seekampfe kam aber auch die Stadt ſelbſt übel weg und die weſtlichere Hälfte ſank nahezu ganz in Trümmer 1. Man hat an dieſen Ruinen, wie es in der Türkei ja üblich iſt, bisher nicht gerührt, wahrſcheinlich in der Erwartung, daß auf Zauberwort irgend eines anderen Ferhad aus ihnen neue Paläſte erſtehen würden, eine Hoffnung, die allerdings einen problematiſcheren Werth hat, als ihn etwa ſelbſt die ſchlechteſte türkiſche Bau-Commiſſion bieten würde. Ja, noch mehr, der Hafen von Sinope iſt nach jenem von Balaclava in der Krim der beſte des Schwarzen Meeres; gleichwohl hat man die ſeit Jahrhunderten eingeſtürzten Moli im Süden der Stadt, deren Linie nur wenige Meter unter dem Waſſerſpiegel noch zu verfolgen iſt, bis auf den Tag nicht entfernt, ſo daß Schiffe von größerem Tiefgange ſich der Stadt gar nicht nähern können. Es war ſomit begreiflich, daß der Handel, der bei allen gege- benen natürlichen Bedingungen gegen derlei Thatſachen nicht anzukämpfen vermochte, am Ende gezwungen war, andere Linien zu nehmen, und ſo blühte ſeit dem Beſtehen der Dampfſchiffahrt auf dem Pontus das benachbarte Samſun 2 raſch und ſichtlich 2 1 Ueber dieſes Ereigniß iſt alles Mögliche geſagt worden, nur nicht die Wahrheit, und zwar mit gutem Grunde; denn das Unglück der tür- ktſchen Flotte iſt von Niemandem mehr verſchuldet worden, als von den angeblichen Buſenfreunden der Pforte, und während man in den ruſſiſchen Kirchen das Tedeum anſtimmte, hatte Niemand mehr Urſache ſich zu freuen, als eben Rußlands Gegner, die darüber ſcheinbar jammerten. In der That lag es ganz im Geiſte Palmerſton’ſcher Alliancepolitik, ſich von Ruß- land den Dienſt erweiſen zu laſſen, die brauchbarſten Schiffe der Türken und deren beſte Seeleute in die Luft zu ſprengen, wobei man wohl nur bedauerte, daß die ruſſiſche Flotte nicht auch Löcher in den Leib bekommen hatte. (Vgl. J. Heller, „Memoiren des Baron Bruck“, 139.) 2 Samſun, mit ſeinem maleriſch ſituirten armeniſchen Stadtviertel oberhalb des winkeligen Türkenquartiers, mit ſeinem alten Caſtell und 2 als der Prophet erſchien, und richte ſich ſeitdem aus — Ehrfurcht nicht wieder auf. Daß Mohammed niemals in Moſul geweſen, braucht wohl nicht be- ſonders bemerkt zu werden.

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/233>, abgerufen am 28.04.2024.