Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.Troglodyten-Landschaften. bestimmte. Sie alle zeigen große Wohnräume mit Kammernund Nischen, manche besitzen mehrere Etagen, Treppen und Ga- lerien und an den Portalen allerlei Säulenschmuck, der fern an den dorischen Styl erinnert1. Das können keine primitiven Höhlenbewohner gewesen sein, es war vielmehr ein Volk von Baumeistern, die in ihren Werken der Nachwelt ein monumentales Andenken hinterlassen haben, dessen Enträthselung bisher noch nicht gelingen wollte. Wer würde sich aber auch so leicht be- stimmen lassen, nach diesem weltentlegenen Winkel zu pilgern, rings umrahmt von salziger Steppe oder gypsigen Hügeln oder den gestockten großartigen Lava- und Basaltmassen, welche Tag- reisen weit die Basis-Region des Argäus2, des gewaltigsten aller 1 Bei Mondschein zeigt sich hier ein Land wie voll weißer hochauf- steigender Kathedralen mit unzähligen Thurmspitzen; die Schattenkegel er- scheinen hinter einander wie lange Processionen riesiger Mönche durch ein unabsehbares Labyrinth, in dem kein Baum, kein Busch, kein Grashalm wahrzunehmen ist. Der Boden kracht unter dem Tritt der Pferde im Bimsstein, wie im Schnee; und doch herrscht hier ein heller reiner Himmel vor und die blendenden Reflexe verursachen dem Auge des Beobachters empfindlichen Schmerz. Die Grotten zeigen aber überdies, namentlich dort, wo sie an der großen Landstraße gelegen sind, vielfache Zerstörungen durch barbarische Ueberfälle. An der Decke einer der zahlreichen Capellen sieht man noch eine colossale Christusgestalt auf dem Thron sitzend, in einer zweiten die Colossal-Büste des Heilandes, an der Wand die Jung- frau mit dem Christuskinde und andere bildliche Darstellungen, meist sehr primitiv und bizarr ausgeführt. (Nach Texier, a. a. O. bei Ritter, XVIII.) Es hat demnach den Anschein, daß die cappadocischen Christen, bei denen wie wir oben gesehen haben, auch Gregorios Illuminator Schutz fand und seine religiöse Erziehung erhielt, die zweiten Bewohner dieser hoch- interessanten Troglodyten-Landschaften waren, während über die eigent- lichen Schöpfer dieser subterranen Stadt nach wie vor das tiefste Dunkel herrscht. (Ueber die benachbarten Grottendörfer siehe auch Hamilton, II, 254 u. ff.) 2 Nahe dem Dorfe Endirlük, an seinem Fuße befindet sich das Grab
des amerikanischen Arztes und Missionärs Nathan Gridley, welcher am 28. September 1827 durch eine forcirte Ersteigung des Riesenberges sich den Tod zuzog. Auf seine riesige Körperkraft vertrauend, entschloß er sich, direct zu Fuße, wie er stets sich zu bewegen pflegte, als erster Pionnier der Neuzeit die Höhe des Vulkankegels zu erklimmen. Er war Anfangs von vier Griechen begleitet, die bald aus Erschöpfung liegen blieben; ihres warnenden Zurufes ungeachtet, setzte er die Ersteigung fort, bis auch er Troglodyten-Landſchaften. beſtimmte. Sie alle zeigen große Wohnräume mit Kammernund Niſchen, manche beſitzen mehrere Etagen, Treppen und Ga- lerien und an den Portalen allerlei Säulenſchmuck, der fern an den doriſchen Styl erinnert1. Das können keine primitiven Höhlenbewohner geweſen ſein, es war vielmehr ein Volk von Baumeiſtern, die in ihren Werken der Nachwelt ein monumentales Andenken hinterlaſſen haben, deſſen Enträthſelung bisher noch nicht gelingen wollte. Wer würde ſich aber auch ſo leicht be- ſtimmen laſſen, nach dieſem weltentlegenen Winkel zu pilgern, rings umrahmt von ſalziger Steppe oder gypſigen Hügeln oder den geſtockten großartigen Lava- und Baſaltmaſſen, welche Tag- reiſen weit die Baſis-Region des Argäus2, des gewaltigſten aller 1 Bei Mondſchein zeigt ſich hier ein Land wie voll weißer hochauf- ſteigender Kathedralen mit unzähligen Thurmſpitzen; die Schattenkegel er- ſcheinen hinter einander wie lange Proceſſionen rieſiger Mönche durch ein unabſehbares Labyrinth, in dem kein Baum, kein Buſch, kein Grashalm wahrzunehmen iſt. Der Boden kracht unter dem Tritt der Pferde im Bimsſtein, wie im Schnee; und doch herrſcht hier ein heller reiner Himmel vor und die blendenden Reflexe verurſachen dem Auge des Beobachters empfindlichen Schmerz. Die Grotten zeigen aber überdies, namentlich dort, wo ſie an der großen Landſtraße gelegen ſind, vielfache Zerſtörungen durch barbariſche Ueberfälle. An der Decke einer der zahlreichen Capellen ſieht man noch eine coloſſale Chriſtusgeſtalt auf dem Thron ſitzend, in einer zweiten die Coloſſal-Büſte des Heilandes, an der Wand die Jung- frau mit dem Chriſtuskinde und andere bildliche Darſtellungen, meiſt ſehr primitiv und bizarr ausgeführt. (Nach Texier, a. a. O. bei Ritter, XVIII.) Es hat demnach den Anſchein, daß die cappadociſchen Chriſten, bei denen wie wir oben geſehen haben, auch Gregorios Illuminator Schutz fand und ſeine religiöſe Erziehung erhielt, die zweiten Bewohner dieſer hoch- intereſſanten Troglodyten-Landſchaften waren, während über die eigent- lichen Schöpfer dieſer ſubterranen Stadt nach wie vor das tiefſte Dunkel herrſcht. (Ueber die benachbarten Grottendörfer ſiehe auch Hamilton, II, 254 u. ff.) 2 Nahe dem Dorfe Endirlük, an ſeinem Fuße befindet ſich das Grab
des amerikaniſchen Arztes und Miſſionärs Nathan Gridley, welcher am 28. September 1827 durch eine forcirte Erſteigung des Rieſenberges ſich den Tod zuzog. Auf ſeine rieſige Körperkraft vertrauend, entſchloß er ſich, direct zu Fuße, wie er ſtets ſich zu bewegen pflegte, als erſter Pionnier der Neuzeit die Höhe des Vulkankegels zu erklimmen. Er war Anfangs von vier Griechen begleitet, die bald aus Erſchöpfung liegen blieben; ihres warnenden Zurufes ungeachtet, ſetzte er die Erſteigung fort, bis auch er <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0217" n="185"/><fw place="top" type="header">Troglodyten-Landſchaften.</fw><lb/> beſtimmte. Sie alle zeigen große Wohnräume mit Kammern<lb/> und Niſchen, manche beſitzen mehrere Etagen, Treppen und Ga-<lb/> lerien und an den Portalen allerlei Säulenſchmuck, der fern an<lb/> den doriſchen Styl erinnert<note place="foot" n="1">Bei Mondſchein zeigt ſich hier ein Land wie voll weißer hochauf-<lb/> ſteigender Kathedralen mit unzähligen Thurmſpitzen; die Schattenkegel er-<lb/> ſcheinen hinter einander wie lange Proceſſionen rieſiger Mönche durch ein<lb/> unabſehbares Labyrinth, in dem kein Baum, kein Buſch, kein Grashalm<lb/> wahrzunehmen iſt. Der Boden kracht unter dem Tritt der Pferde im<lb/> Bimsſtein, wie im Schnee; und doch herrſcht hier ein heller reiner Himmel<lb/> vor und die blendenden Reflexe verurſachen dem Auge des Beobachters<lb/> empfindlichen Schmerz. Die Grotten zeigen aber überdies, namentlich<lb/> dort, wo ſie an der großen Landſtraße gelegen ſind, vielfache Zerſtörungen<lb/> durch barbariſche Ueberfälle. An der Decke einer der zahlreichen Capellen<lb/> ſieht man noch eine coloſſale Chriſtusgeſtalt auf dem Thron ſitzend, in<lb/> einer zweiten die Coloſſal-Büſte des Heilandes, an der Wand die Jung-<lb/> frau mit dem Chriſtuskinde und andere bildliche Darſtellungen, meiſt<lb/> ſehr primitiv und bizarr ausgeführt. (Nach Texier, a. a. O. bei Ritter, <hi rendition="#aq">XVIII.</hi>)<lb/> Es hat demnach den Anſchein, daß die cappadociſchen Chriſten, bei denen<lb/> wie wir oben geſehen haben, auch Gregorios Illuminator Schutz fand<lb/> und ſeine religiöſe Erziehung erhielt, die zweiten Bewohner dieſer hoch-<lb/> intereſſanten Troglodyten-Landſchaften waren, während über die eigent-<lb/> lichen Schöpfer dieſer ſubterranen Stadt nach wie vor das tiefſte Dunkel<lb/> herrſcht. (Ueber die benachbarten Grottendörfer ſiehe auch Hamilton,<lb/><hi rendition="#aq">II,</hi> 254 u. ff.)</note>. Das können keine primitiven<lb/> Höhlenbewohner geweſen ſein, es war vielmehr ein Volk von<lb/> Baumeiſtern, die in ihren Werken der Nachwelt ein monumentales<lb/> Andenken hinterlaſſen haben, deſſen Enträthſelung bisher noch<lb/> nicht gelingen wollte. Wer würde ſich aber auch ſo leicht be-<lb/> ſtimmen laſſen, nach dieſem weltentlegenen Winkel zu pilgern,<lb/> rings umrahmt von ſalziger Steppe oder gypſigen Hügeln oder<lb/> den geſtockten großartigen Lava- und Baſaltmaſſen, welche Tag-<lb/> reiſen weit die Baſis-Region des Argäus<note xml:id="seg2pn_22_1" next="#seg2pn_22_2" place="foot" n="2">Nahe dem Dorfe Endirlük, an ſeinem Fuße befindet ſich das Grab<lb/> des amerikaniſchen Arztes und Miſſionärs Nathan Gridley, welcher am<lb/> 28. September 1827 durch eine forcirte Erſteigung des Rieſenberges ſich<lb/> den Tod zuzog. Auf ſeine rieſige Körperkraft vertrauend, entſchloß er ſich,<lb/> direct zu Fuße, wie er ſtets ſich zu bewegen pflegte, als erſter Pionnier<lb/> der Neuzeit die Höhe des Vulkankegels zu erklimmen. Er war Anfangs<lb/> von vier Griechen begleitet, die bald aus Erſchöpfung liegen blieben; ihres<lb/> warnenden Zurufes ungeachtet, ſetzte er die Erſteigung fort, bis auch er</note>, des gewaltigſten aller<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [185/0217]
Troglodyten-Landſchaften.
beſtimmte. Sie alle zeigen große Wohnräume mit Kammern
und Niſchen, manche beſitzen mehrere Etagen, Treppen und Ga-
lerien und an den Portalen allerlei Säulenſchmuck, der fern an
den doriſchen Styl erinnert 1. Das können keine primitiven
Höhlenbewohner geweſen ſein, es war vielmehr ein Volk von
Baumeiſtern, die in ihren Werken der Nachwelt ein monumentales
Andenken hinterlaſſen haben, deſſen Enträthſelung bisher noch
nicht gelingen wollte. Wer würde ſich aber auch ſo leicht be-
ſtimmen laſſen, nach dieſem weltentlegenen Winkel zu pilgern,
rings umrahmt von ſalziger Steppe oder gypſigen Hügeln oder
den geſtockten großartigen Lava- und Baſaltmaſſen, welche Tag-
reiſen weit die Baſis-Region des Argäus 2, des gewaltigſten aller
1 Bei Mondſchein zeigt ſich hier ein Land wie voll weißer hochauf-
ſteigender Kathedralen mit unzähligen Thurmſpitzen; die Schattenkegel er-
ſcheinen hinter einander wie lange Proceſſionen rieſiger Mönche durch ein
unabſehbares Labyrinth, in dem kein Baum, kein Buſch, kein Grashalm
wahrzunehmen iſt. Der Boden kracht unter dem Tritt der Pferde im
Bimsſtein, wie im Schnee; und doch herrſcht hier ein heller reiner Himmel
vor und die blendenden Reflexe verurſachen dem Auge des Beobachters
empfindlichen Schmerz. Die Grotten zeigen aber überdies, namentlich
dort, wo ſie an der großen Landſtraße gelegen ſind, vielfache Zerſtörungen
durch barbariſche Ueberfälle. An der Decke einer der zahlreichen Capellen
ſieht man noch eine coloſſale Chriſtusgeſtalt auf dem Thron ſitzend, in
einer zweiten die Coloſſal-Büſte des Heilandes, an der Wand die Jung-
frau mit dem Chriſtuskinde und andere bildliche Darſtellungen, meiſt
ſehr primitiv und bizarr ausgeführt. (Nach Texier, a. a. O. bei Ritter, XVIII.)
Es hat demnach den Anſchein, daß die cappadociſchen Chriſten, bei denen
wie wir oben geſehen haben, auch Gregorios Illuminator Schutz fand
und ſeine religiöſe Erziehung erhielt, die zweiten Bewohner dieſer hoch-
intereſſanten Troglodyten-Landſchaften waren, während über die eigent-
lichen Schöpfer dieſer ſubterranen Stadt nach wie vor das tiefſte Dunkel
herrſcht. (Ueber die benachbarten Grottendörfer ſiehe auch Hamilton,
II, 254 u. ff.)
2 Nahe dem Dorfe Endirlük, an ſeinem Fuße befindet ſich das Grab
des amerikaniſchen Arztes und Miſſionärs Nathan Gridley, welcher am
28. September 1827 durch eine forcirte Erſteigung des Rieſenberges ſich
den Tod zuzog. Auf ſeine rieſige Körperkraft vertrauend, entſchloß er ſich,
direct zu Fuße, wie er ſtets ſich zu bewegen pflegte, als erſter Pionnier
der Neuzeit die Höhe des Vulkankegels zu erklimmen. Er war Anfangs
von vier Griechen begleitet, die bald aus Erſchöpfung liegen blieben; ihres
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