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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Konja, die Seldschukidenresidenz.

Die Grabstätten beider heiligen Männer haben bei den
Osmanen ihre alte Anziehungskraft bis auf den Tag behalten.
Sie sind hochgehaltene Wallfahrtsorte und es bleibt in den
Augen der strenggläubigen Türken immer noch ein verdienst-
liches Werk, dahin zu pilgern. In der Regel benützen die, min-
der mit Glückesgütern bedachten Gläubigen ihre Mekka-Wallfahrt
durch einen Theil Klein-Asiens, um wenigstens in der Grab-
moschee Dschelaleddins in Konja vorzusprechen, was freilich nur
von jenen Pilgern gilt, denen die Stadt überhaupt am Wege
liegt ... Und dieser Weg führt über Ismid oder Brussa am
Marmara-Meer, durch jene Landschaften, die wir oben geschildert,
bis Karahissar. Von hier geht es längs der Osthänge wald-
loser Höhen und am Saume der großen inner-anatolischen Salz-
steppe mehrere Tagreisen landeinwärts, bis, bereits ganz in der
baumlosen Plateau-Ebene gelegen, die Stadt Konja auftaucht.
Nur türkischen Pilgern vermag diese elende Anhäufung von
baufälligen Wohnstätten einen besonderen Eindruck zu machen,
einem Europäer kann sie nur die ärgste Enttäuschung bereiten.
Bei ihrem Anblicke aber werden die Pilger lebhafter, eine freudige
Bewegung geht durch ihre Reihen und wer Dschelaleddins Hymnen
nicht kennt, recitirt wenigstens Koransuren, während die mit-
ziehenden Drehderwische sich leichtbegreiflicher Weise dem tollsten
Taumel hingeben. So geht es fort durch das Weichbild der
Stadt und dann durch die engen, winkeligen, von Holz- und
Lehmhäusern gebildeten Gassen zur Grabmoschee des Heiligen,
ein Werk Selim I. Trotz aller Sublimität des Ortes dürfte
indeß die unmittelbar hier anstoßende große Herberge des Der-
wisch-Ordens von nicht geringerer Anziehungskraft sein, wenn-

wanderte Schems Tabrisi, den man lebendig geschunden, mit seiner Haut
in den Händen, unter seinen Genossen weiter. (Malcolm, "Geschichte von
Persien", II.) Unter den türkischen Völkern blieb der Sufismus indeß
von völlig untergeordneter Bedeutung; um so festern Fuß faßte er aber
unter den Schiiten und Arabern, unter welch letzteren ein gewisser Sohra-
vady den bedeutendsten Anhang gewann, schließlich aber durch Inter-
vention der orthodoxen Geistlichkeit, auf Befehl des "freisinnigen" Saladin
zu Aleppo hingerichtet wurde. (Vgl. v. Kremer, "Gesch. d. herrschenden
Ideen d. Islam"; dann über die verwandte Secte der Babis, bei Vam-
bery, "Wanderungen in Persien"; Polak, "Persien" I, u. s. w.)
Konja, die Seldſchukidenreſidenz.

Die Grabſtätten beider heiligen Männer haben bei den
Osmanen ihre alte Anziehungskraft bis auf den Tag behalten.
Sie ſind hochgehaltene Wallfahrtsorte und es bleibt in den
Augen der ſtrenggläubigen Türken immer noch ein verdienſt-
liches Werk, dahin zu pilgern. In der Regel benützen die, min-
der mit Glückesgütern bedachten Gläubigen ihre Mekka-Wallfahrt
durch einen Theil Klein-Aſiens, um wenigſtens in der Grab-
moſchee Dſchelaleddins in Konja vorzuſprechen, was freilich nur
von jenen Pilgern gilt, denen die Stadt überhaupt am Wege
liegt … Und dieſer Weg führt über Ismid oder Bruſſa am
Marmara-Meer, durch jene Landſchaften, die wir oben geſchildert,
bis Karahiſſar. Von hier geht es längs der Oſthänge wald-
loſer Höhen und am Saume der großen inner-anatoliſchen Salz-
ſteppe mehrere Tagreiſen landeinwärts, bis, bereits ganz in der
baumloſen Plateau-Ebene gelegen, die Stadt Konja auftaucht.
Nur türkiſchen Pilgern vermag dieſe elende Anhäufung von
baufälligen Wohnſtätten einen beſonderen Eindruck zu machen,
einem Europäer kann ſie nur die ärgſte Enttäuſchung bereiten.
Bei ihrem Anblicke aber werden die Pilger lebhafter, eine freudige
Bewegung geht durch ihre Reihen und wer Dſchelaleddins Hymnen
nicht kennt, recitirt wenigſtens Koranſuren, während die mit-
ziehenden Drehderwiſche ſich leichtbegreiflicher Weiſe dem tollſten
Taumel hingeben. So geht es fort durch das Weichbild der
Stadt und dann durch die engen, winkeligen, von Holz- und
Lehmhäuſern gebildeten Gaſſen zur Grabmoſchee des Heiligen,
ein Werk Selim I. Trotz aller Sublimität des Ortes dürfte
indeß die unmittelbar hier anſtoßende große Herberge des Der-
wiſch-Ordens von nicht geringerer Anziehungskraft ſein, wenn-

wanderte Schems Tabriſi, den man lebendig geſchunden, mit ſeiner Haut
in den Händen, unter ſeinen Genoſſen weiter. (Malcolm, „Geſchichte von
Perſien“, II.) Unter den türkiſchen Völkern blieb der Sufismus indeß
von völlig untergeordneter Bedeutung; um ſo feſtern Fuß faßte er aber
unter den Schiiten und Arabern, unter welch letzteren ein gewiſſer Sohra-
vady den bedeutendſten Anhang gewann, ſchließlich aber durch Inter-
vention der orthodoxen Geiſtlichkeit, auf Befehl des „freiſinnigen“ Saladin
zu Aleppo hingerichtet wurde. (Vgl. v. Kremer, „Geſch. d. herrſchenden
Ideen d. Islam“; dann über die verwandte Secte der Babis, bei Vám-
béry, „Wanderungen in Perſien“; Polak, „Perſien“ I, u. ſ. w.)
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[181/0213] Konja, die Seldſchukidenreſidenz. Die Grabſtätten beider heiligen Männer haben bei den Osmanen ihre alte Anziehungskraft bis auf den Tag behalten. Sie ſind hochgehaltene Wallfahrtsorte und es bleibt in den Augen der ſtrenggläubigen Türken immer noch ein verdienſt- liches Werk, dahin zu pilgern. In der Regel benützen die, min- der mit Glückesgütern bedachten Gläubigen ihre Mekka-Wallfahrt durch einen Theil Klein-Aſiens, um wenigſtens in der Grab- moſchee Dſchelaleddins in Konja vorzuſprechen, was freilich nur von jenen Pilgern gilt, denen die Stadt überhaupt am Wege liegt … Und dieſer Weg führt über Ismid oder Bruſſa am Marmara-Meer, durch jene Landſchaften, die wir oben geſchildert, bis Karahiſſar. Von hier geht es längs der Oſthänge wald- loſer Höhen und am Saume der großen inner-anatoliſchen Salz- ſteppe mehrere Tagreiſen landeinwärts, bis, bereits ganz in der baumloſen Plateau-Ebene gelegen, die Stadt Konja auftaucht. Nur türkiſchen Pilgern vermag dieſe elende Anhäufung von baufälligen Wohnſtätten einen beſonderen Eindruck zu machen, einem Europäer kann ſie nur die ärgſte Enttäuſchung bereiten. Bei ihrem Anblicke aber werden die Pilger lebhafter, eine freudige Bewegung geht durch ihre Reihen und wer Dſchelaleddins Hymnen nicht kennt, recitirt wenigſtens Koranſuren, während die mit- ziehenden Drehderwiſche ſich leichtbegreiflicher Weiſe dem tollſten Taumel hingeben. So geht es fort durch das Weichbild der Stadt und dann durch die engen, winkeligen, von Holz- und Lehmhäuſern gebildeten Gaſſen zur Grabmoſchee des Heiligen, ein Werk Selim I. Trotz aller Sublimität des Ortes dürfte indeß die unmittelbar hier anſtoßende große Herberge des Der- wiſch-Ordens von nicht geringerer Anziehungskraft ſein, wenn- 1 1 wanderte Schems Tabriſi, den man lebendig geſchunden, mit ſeiner Haut in den Händen, unter ſeinen Genoſſen weiter. (Malcolm, „Geſchichte von Perſien“, II.) Unter den türkiſchen Völkern blieb der Sufismus indeß von völlig untergeordneter Bedeutung; um ſo feſtern Fuß faßte er aber unter den Schiiten und Arabern, unter welch letzteren ein gewiſſer Sohra- vady den bedeutendſten Anhang gewann, ſchließlich aber durch Inter- vention der orthodoxen Geiſtlichkeit, auf Befehl des „freiſinnigen“ Saladin zu Aleppo hingerichtet wurde. (Vgl. v. Kremer, „Geſch. d. herrſchenden Ideen d. Islam“; dann über die verwandte Secte der Babis, bei Vám- béry, „Wanderungen in Perſien“; Polak, „Perſien“ I, u. ſ. w.)

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/213>, abgerufen am 28.04.2024.