Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.Hellespont und Ilion. sondern etwas südlicher. Bevor man noch dahin gelangt, grüßenvon der asiatischen Uferseite die Häusergruppen des einst be- rühmten Lapsaki herüber, hinter dessen Uferhöhen der Granikus in einsamem Thale nordwärts abfließt. Dicht bei Gallipoli mündet noch ein zweites classisches Flüßchen, der Aegospotamos, an dessen Mündungsstelle einst der Spartaner Lysander durch seinen Seesieg dem peloponnesischen Kriege ein Ende machte. Die asiatische Uferseite wird im Verlaufe der weiteren Fahrt immer malerischer. Wohl hält die Seestraße der Dardanellen nicht im Entferntesten einen Vergleich mit dem Bosporus aus, die stumme Sprache der Geschichte ist aber am Ende ein Genuß, den auf die Dauer selbst die reizendste Landschaft nicht zu bieten vermag. So taucht denn auch bald die düstergraue Silhouette jenes Thurm-Basamentes auf, der die Stätte bezeichnet, wo die erste osmanische Schaar vom asiatischen Festlande herüber- gekommen war, und auf den Zinnen des damaligen Choridokastron die Osmanen-Standarte aufgepflanzt hatte. Wir befinden uns hier dicht vor dem eigentlichen Seepasse, den öde Steilküsten mit Geröllbarren und sandigen Uferstrichen bezeichnen. Auf einer Anhöhe droht eine türkische Strandbatterie -- Nagara Burun -- und einzelne Pinien schatten auf Stein- und Fels- trümmer herab, an deren Stelle wohl einst das liebliche Abydos gestanden haben mag, verklärt von Schillers Liebesballade von "Hero und Leander" und ein Object der intensivsten britischen Neugierde, denn es ist hier jene Stelle des Hellespont, wo Lord Byron seine bedenkliche Schwimmtour zum Besten gab. Wer in der Geschichte ein wenig zurückblättert, dem drängen sich beim Anblicke der ziemlich reizlosen Meeres-Ufer noch zwei andere, viel bedeutsamere und zwar historische Ereignisse auf. Auf der Höhe, wo sich heute die genannte türkische Strandbatterie be- findet, dürfte Xerxes' Prachtzelt gestanden haben, als seine Brückenschläger vergeblich das Riesenwerk zu vollbringen trach- teten. Trotz der dem Meere hiebei gewordenen Züchtigung -- durch peitschen mittelst Ketten -- ist das Element in dritthalb Jahrtausenden nicht zahmer geworden, und mächtig strömt es um das steile Vorgebirge durch die scharf nach Süden abschwen- kende Enge. In diesem Bereiche dürfte auch die Uebergangs- stelle von Alexanders Heer unter Parmenions Führung zu suchen Schweiger-Lerchenfeld, Freih. von, Armenien. 11
Hellespont und Ilion. ſondern etwas ſüdlicher. Bevor man noch dahin gelangt, grüßenvon der aſiatiſchen Uferſeite die Häuſergruppen des einſt be- rühmten Lapſaki herüber, hinter deſſen Uferhöhen der Granikus in einſamem Thale nordwärts abfließt. Dicht bei Gallipoli mündet noch ein zweites claſſiſches Flüßchen, der Aegospotamos, an deſſen Mündungsſtelle einſt der Spartaner Lyſander durch ſeinen Seeſieg dem peloponneſiſchen Kriege ein Ende machte. Die aſiatiſche Uferſeite wird im Verlaufe der weiteren Fahrt immer maleriſcher. Wohl hält die Seeſtraße der Dardanellen nicht im Entfernteſten einen Vergleich mit dem Bosporus aus, die ſtumme Sprache der Geſchichte iſt aber am Ende ein Genuß, den auf die Dauer ſelbſt die reizendſte Landſchaft nicht zu bieten vermag. So taucht denn auch bald die düſtergraue Silhouette jenes Thurm-Baſamentes auf, der die Stätte bezeichnet, wo die erſte osmaniſche Schaar vom aſiatiſchen Feſtlande herüber- gekommen war, und auf den Zinnen des damaligen Choridokaſtron die Osmanen-Standarte aufgepflanzt hatte. Wir befinden uns hier dicht vor dem eigentlichen Seepaſſe, den öde Steilküſten mit Geröllbarren und ſandigen Uferſtrichen bezeichnen. Auf einer Anhöhe droht eine türkiſche Strandbatterie — Nagara Burun — und einzelne Pinien ſchatten auf Stein- und Fels- trümmer herab, an deren Stelle wohl einſt das liebliche Abydos geſtanden haben mag, verklärt von Schillers Liebesballade von „Hero und Leander“ und ein Object der intenſivſten britiſchen Neugierde, denn es iſt hier jene Stelle des Hellespont, wo Lord Byron ſeine bedenkliche Schwimmtour zum Beſten gab. Wer in der Geſchichte ein wenig zurückblättert, dem drängen ſich beim Anblicke der ziemlich reizloſen Meeres-Ufer noch zwei andere, viel bedeutſamere und zwar hiſtoriſche Ereigniſſe auf. Auf der Höhe, wo ſich heute die genannte türkiſche Strandbatterie be- findet, dürfte Xerxes’ Prachtzelt geſtanden haben, als ſeine Brückenſchläger vergeblich das Rieſenwerk zu vollbringen trach- teten. Trotz der dem Meere hiebei gewordenen Züchtigung — durch peitſchen mittelſt Ketten — iſt das Element in dritthalb Jahrtauſenden nicht zahmer geworden, und mächtig ſtrömt es um das ſteile Vorgebirge durch die ſcharf nach Süden abſchwen- kende Enge. In dieſem Bereiche dürfte auch die Uebergangs- ſtelle von Alexanders Heer unter Parmenions Führung zu ſuchen Schweiger-Lerchenfeld, Freih. von, Armenien. 11
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Hellespont und Ilion.
ſondern etwas ſüdlicher. Bevor man noch dahin gelangt, grüßen
von der aſiatiſchen Uferſeite die Häuſergruppen des einſt be-
rühmten Lapſaki herüber, hinter deſſen Uferhöhen der Granikus
in einſamem Thale nordwärts abfließt. Dicht bei Gallipoli
mündet noch ein zweites claſſiſches Flüßchen, der Aegospotamos,
an deſſen Mündungsſtelle einſt der Spartaner Lyſander durch
ſeinen Seeſieg dem peloponneſiſchen Kriege ein Ende machte.
Die aſiatiſche Uferſeite wird im Verlaufe der weiteren Fahrt
immer maleriſcher. Wohl hält die Seeſtraße der Dardanellen
nicht im Entfernteſten einen Vergleich mit dem Bosporus aus,
die ſtumme Sprache der Geſchichte iſt aber am Ende ein Genuß,
den auf die Dauer ſelbſt die reizendſte Landſchaft nicht zu bieten
vermag. So taucht denn auch bald die düſtergraue Silhouette
jenes Thurm-Baſamentes auf, der die Stätte bezeichnet, wo die
erſte osmaniſche Schaar vom aſiatiſchen Feſtlande herüber-
gekommen war, und auf den Zinnen des damaligen Choridokaſtron
die Osmanen-Standarte aufgepflanzt hatte. Wir befinden uns
hier dicht vor dem eigentlichen Seepaſſe, den öde Steilküſten
mit Geröllbarren und ſandigen Uferſtrichen bezeichnen. Auf
einer Anhöhe droht eine türkiſche Strandbatterie — Nagara
Burun — und einzelne Pinien ſchatten auf Stein- und Fels-
trümmer herab, an deren Stelle wohl einſt das liebliche Abydos
geſtanden haben mag, verklärt von Schillers Liebesballade von
„Hero und Leander“ und ein Object der intenſivſten britiſchen
Neugierde, denn es iſt hier jene Stelle des Hellespont, wo Lord
Byron ſeine bedenkliche Schwimmtour zum Beſten gab. Wer in
der Geſchichte ein wenig zurückblättert, dem drängen ſich beim
Anblicke der ziemlich reizloſen Meeres-Ufer noch zwei andere,
viel bedeutſamere und zwar hiſtoriſche Ereigniſſe auf. Auf der
Höhe, wo ſich heute die genannte türkiſche Strandbatterie be-
findet, dürfte Xerxes’ Prachtzelt geſtanden haben, als ſeine
Brückenſchläger vergeblich das Rieſenwerk zu vollbringen trach-
teten. Trotz der dem Meere hiebei gewordenen Züchtigung —
durch peitſchen mittelſt Ketten — iſt das Element in dritthalb
Jahrtauſenden nicht zahmer geworden, und mächtig ſtrömt es
um das ſteile Vorgebirge durch die ſcharf nach Süden abſchwen-
kende Enge. In dieſem Bereiche dürfte auch die Uebergangs-
ſtelle von Alexanders Heer unter Parmenions Führung zu ſuchen
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