Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

Bild:
<< vorherige Seite

Armeniens culturhistorische Stellung.
Eroberer anlockte 1. So fiel alles anatolische Land bis zum
Halys dem Weltreiche zu, Armenien mit einbegriffen, doch ver-
hältnißmäßig weniger durch die folgenden Ereignisse berührt.
Die Lostrennung Mediens von Assyrien berührte selbstverständlich
auch das armenische Hochland und verschaffte ihm eine neue
politische Bedeutung, die freilich nicht von besonderer Dauer sein
konnte, wenn man berücksichtigt, wie rasch aus den Trümmern
des assyrischen Weltreiches das persische emporgewachsen war,
und mit ihm der abermalige Machteinfluß von Osten her. Ar-
menien wurde dadurch wieder auf lange Zeit den unmittelbarsten
asiatischen Einflüssen ausgesetzt, sowie später den neupersischen
und arabischen, also stets in einer Richtung, die entweder von
Süden, aus den mesopotamischen Tiefländern, oder von Osten,
von den herrschenden Völkern Mittel-Asiens kam.

Gegenüber diesen historischen Thatsachen ist es interessant
genug, daß Armenien von den Pontusgestaden, von welchen es
nur durch eine hohe wilde Gebirgsschranke getrennt war, auch
sonst völlig abgeschieden blieb. Man sollte glauben, daß die
Nähe des Meeres, welches bereits in den ältesten Zeiten von
griechischen Schiffern befahren wurde, und auf Grund des sich
hieraus ergebenden Contactes mit den pontisch-skythischen und
pontisch-osteuropäischen Uferländern, am ehesten geeignet gewesen
wäre, von hoher bedeutender Einwirkung auf die Entwickelung
des Hochlandes zu werden. Diese Einwirkungen waren aber
geraume Zeit nicht im Geringsten vorhanden. Während die
anatolische Halbinsel durch ihre dreifache Wassergrenze mit den
osteuropäischen Völkern im Norden, mit den Hellenen im Westen
und schließlich mit der phönikisch-egyptischen Culturwelt im Süden
in unmittelbaren Verkehr schon in ältesten Zeiten gerieth und
dadurch die gesammte künftige Entwickelung des Halbinsellandes
ihr eigenthümliches Gepräge, ihren Culturtypus erhielt, blieb
Armenien unberührt von diesem befruchtenden Einfluß. Die
hellenischen Seefahrer waren wohl wiederholt bis zu den chol-
chischen Küsten vorgedrungen, die eigentlichen großen Handels-
colonien lagen aber viel weiter im Westen, wie zu Heraklea,
Sinope, Amisus und zuletzt wohl auch zu Trapezus, dem eigent-

1 Vgl. Movers, "Die Phönikier", II, a. a. O.

Armeniens culturhiſtoriſche Stellung.
Eroberer anlockte 1. So fiel alles anatoliſche Land bis zum
Halys dem Weltreiche zu, Armenien mit einbegriffen, doch ver-
hältnißmäßig weniger durch die folgenden Ereigniſſe berührt.
Die Lostrennung Mediens von Aſſyrien berührte ſelbſtverſtändlich
auch das armeniſche Hochland und verſchaffte ihm eine neue
politiſche Bedeutung, die freilich nicht von beſonderer Dauer ſein
konnte, wenn man berückſichtigt, wie raſch aus den Trümmern
des aſſyriſchen Weltreiches das perſiſche emporgewachſen war,
und mit ihm der abermalige Machteinfluß von Oſten her. Ar-
menien wurde dadurch wieder auf lange Zeit den unmittelbarſten
aſiatiſchen Einflüſſen ausgeſetzt, ſowie ſpäter den neuperſiſchen
und arabiſchen, alſo ſtets in einer Richtung, die entweder von
Süden, aus den meſopotamiſchen Tiefländern, oder von Oſten,
von den herrſchenden Völkern Mittel-Aſiens kam.

Gegenüber dieſen hiſtoriſchen Thatſachen iſt es intereſſant
genug, daß Armenien von den Pontusgeſtaden, von welchen es
nur durch eine hohe wilde Gebirgsſchranke getrennt war, auch
ſonſt völlig abgeſchieden blieb. Man ſollte glauben, daß die
Nähe des Meeres, welches bereits in den älteſten Zeiten von
griechiſchen Schiffern befahren wurde, und auf Grund des ſich
hieraus ergebenden Contactes mit den pontiſch-ſkythiſchen und
pontiſch-oſteuropäiſchen Uferländern, am eheſten geeignet geweſen
wäre, von hoher bedeutender Einwirkung auf die Entwickelung
des Hochlandes zu werden. Dieſe Einwirkungen waren aber
geraume Zeit nicht im Geringſten vorhanden. Während die
anatoliſche Halbinſel durch ihre dreifache Waſſergrenze mit den
oſteuropäiſchen Völkern im Norden, mit den Hellenen im Weſten
und ſchließlich mit der phönikiſch-egyptiſchen Culturwelt im Süden
in unmittelbaren Verkehr ſchon in älteſten Zeiten gerieth und
dadurch die geſammte künftige Entwickelung des Halbinſellandes
ihr eigenthümliches Gepräge, ihren Culturtypus erhielt, blieb
Armenien unberührt von dieſem befruchtenden Einfluß. Die
helleniſchen Seefahrer waren wohl wiederholt bis zu den chol-
chiſchen Küſten vorgedrungen, die eigentlichen großen Handels-
colonien lagen aber viel weiter im Weſten, wie zu Heraklea,
Sinope, Amiſus und zuletzt wohl auch zu Trapezus, dem eigent-

1 Vgl. Movers, „Die Phönikier“, II, a. a. O.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0167" n="135"/><fw place="top" type="header">Armeniens culturhi&#x017F;tori&#x017F;che Stellung.</fw><lb/>
Eroberer anlockte <note place="foot" n="1">Vgl. Movers, &#x201E;Die Phönikier&#x201C;, <hi rendition="#aq">II</hi>, a. a. O.</note>. So fiel alles anatoli&#x017F;che Land bis zum<lb/>
Halys dem Weltreiche zu, Armenien mit einbegriffen, doch ver-<lb/>
hältnißmäßig weniger durch die folgenden Ereigni&#x017F;&#x017F;e berührt.<lb/>
Die Lostrennung Mediens von A&#x017F;&#x017F;yrien berührte &#x017F;elb&#x017F;tver&#x017F;tändlich<lb/>
auch das armeni&#x017F;che Hochland und ver&#x017F;chaffte ihm eine neue<lb/>
politi&#x017F;che Bedeutung, die freilich nicht von be&#x017F;onderer Dauer &#x017F;ein<lb/>
konnte, wenn man berück&#x017F;ichtigt, wie ra&#x017F;ch aus den Trümmern<lb/>
des a&#x017F;&#x017F;yri&#x017F;chen Weltreiches das per&#x017F;i&#x017F;che emporgewach&#x017F;en war,<lb/>
und mit ihm der abermalige Machteinfluß von O&#x017F;ten her. Ar-<lb/>
menien wurde dadurch wieder auf lange Zeit den unmittelbar&#x017F;ten<lb/>
a&#x017F;iati&#x017F;chen Einflü&#x017F;&#x017F;en ausge&#x017F;etzt, &#x017F;owie &#x017F;päter den neuper&#x017F;i&#x017F;chen<lb/>
und arabi&#x017F;chen, al&#x017F;o &#x017F;tets in einer Richtung, die entweder von<lb/>
Süden, aus den me&#x017F;opotami&#x017F;chen Tiefländern, oder von O&#x017F;ten,<lb/>
von den herr&#x017F;chenden Völkern Mittel-A&#x017F;iens kam.</p><lb/>
        <p>Gegenüber die&#x017F;en hi&#x017F;tori&#x017F;chen That&#x017F;achen i&#x017F;t es intere&#x017F;&#x017F;ant<lb/>
genug, daß Armenien von den Pontusge&#x017F;taden, von welchen es<lb/>
nur durch eine hohe wilde Gebirgs&#x017F;chranke getrennt war, auch<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t völlig abge&#x017F;chieden blieb. Man &#x017F;ollte glauben, daß die<lb/>
Nähe des Meeres, welches bereits in den älte&#x017F;ten Zeiten von<lb/>
griechi&#x017F;chen Schiffern befahren wurde, und auf Grund des &#x017F;ich<lb/>
hieraus ergebenden Contactes mit den ponti&#x017F;ch-&#x017F;kythi&#x017F;chen und<lb/>
ponti&#x017F;ch-o&#x017F;teuropäi&#x017F;chen Uferländern, am ehe&#x017F;ten geeignet gewe&#x017F;en<lb/>
wäre, von hoher bedeutender Einwirkung auf die Entwickelung<lb/>
des Hochlandes zu werden. Die&#x017F;e Einwirkungen waren aber<lb/>
geraume Zeit nicht im Gering&#x017F;ten vorhanden. Während die<lb/>
anatoli&#x017F;che Halbin&#x017F;el durch ihre dreifache Wa&#x017F;&#x017F;ergrenze mit den<lb/>
o&#x017F;teuropäi&#x017F;chen Völkern im Norden, mit den Hellenen im We&#x017F;ten<lb/>
und &#x017F;chließlich mit der phöniki&#x017F;ch-egypti&#x017F;chen Culturwelt im Süden<lb/>
in unmittelbaren Verkehr &#x017F;chon in älte&#x017F;ten Zeiten gerieth und<lb/>
dadurch die ge&#x017F;ammte künftige Entwickelung des Halbin&#x017F;ellandes<lb/>
ihr eigenthümliches Gepräge, ihren Culturtypus erhielt, blieb<lb/>
Armenien unberührt von die&#x017F;em befruchtenden Einfluß. Die<lb/>
helleni&#x017F;chen Seefahrer waren wohl wiederholt bis zu den chol-<lb/>
chi&#x017F;chen Kü&#x017F;ten vorgedrungen, die eigentlichen großen Handels-<lb/>
colonien lagen aber viel weiter im We&#x017F;ten, wie zu Heraklea,<lb/>
Sinope, Ami&#x017F;us und zuletzt wohl auch zu Trapezus, dem eigent-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[135/0167] Armeniens culturhiſtoriſche Stellung. Eroberer anlockte 1. So fiel alles anatoliſche Land bis zum Halys dem Weltreiche zu, Armenien mit einbegriffen, doch ver- hältnißmäßig weniger durch die folgenden Ereigniſſe berührt. Die Lostrennung Mediens von Aſſyrien berührte ſelbſtverſtändlich auch das armeniſche Hochland und verſchaffte ihm eine neue politiſche Bedeutung, die freilich nicht von beſonderer Dauer ſein konnte, wenn man berückſichtigt, wie raſch aus den Trümmern des aſſyriſchen Weltreiches das perſiſche emporgewachſen war, und mit ihm der abermalige Machteinfluß von Oſten her. Ar- menien wurde dadurch wieder auf lange Zeit den unmittelbarſten aſiatiſchen Einflüſſen ausgeſetzt, ſowie ſpäter den neuperſiſchen und arabiſchen, alſo ſtets in einer Richtung, die entweder von Süden, aus den meſopotamiſchen Tiefländern, oder von Oſten, von den herrſchenden Völkern Mittel-Aſiens kam. Gegenüber dieſen hiſtoriſchen Thatſachen iſt es intereſſant genug, daß Armenien von den Pontusgeſtaden, von welchen es nur durch eine hohe wilde Gebirgsſchranke getrennt war, auch ſonſt völlig abgeſchieden blieb. Man ſollte glauben, daß die Nähe des Meeres, welches bereits in den älteſten Zeiten von griechiſchen Schiffern befahren wurde, und auf Grund des ſich hieraus ergebenden Contactes mit den pontiſch-ſkythiſchen und pontiſch-oſteuropäiſchen Uferländern, am eheſten geeignet geweſen wäre, von hoher bedeutender Einwirkung auf die Entwickelung des Hochlandes zu werden. Dieſe Einwirkungen waren aber geraume Zeit nicht im Geringſten vorhanden. Während die anatoliſche Halbinſel durch ihre dreifache Waſſergrenze mit den oſteuropäiſchen Völkern im Norden, mit den Hellenen im Weſten und ſchließlich mit der phönikiſch-egyptiſchen Culturwelt im Süden in unmittelbaren Verkehr ſchon in älteſten Zeiten gerieth und dadurch die geſammte künftige Entwickelung des Halbinſellandes ihr eigenthümliches Gepräge, ihren Culturtypus erhielt, blieb Armenien unberührt von dieſem befruchtenden Einfluß. Die helleniſchen Seefahrer waren wohl wiederholt bis zu den chol- chiſchen Küſten vorgedrungen, die eigentlichen großen Handels- colonien lagen aber viel weiter im Weſten, wie zu Heraklea, Sinope, Amiſus und zuletzt wohl auch zu Trapezus, dem eigent- 1 Vgl. Movers, „Die Phönikier“, II, a. a. O.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/167
Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/167>, abgerufen am 03.05.2024.