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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Ueberblick auf Gesammt-Armenien.
Gefüge des Massengebirges nach und nach eine nahezu nord-
östliche Direction angenommen hat, die freilich bald wieder in
eine südwestliche ändert. Erwähnenswerth ist dieser Punkt auch
deshalb noch, weil von hier nur wenige Stunden landeinwärts
und zwar gegen Nordosten der kleine Hochlandssee liegt, aus dem
der westliche Tigris entströmt. Der Eufrat hat bis hierher, an
der Geburtsstelle seines Zwillingsbruders, bereits eine Ent-
wickelung (von Erzerum ab) von mehr als achtzig Meilen erreicht.
Während aber dieser südwestwärts abfließt, zieht jener in nahezu
östlicher Richtung, und die wenigen Stunden Landes, das Tigris
und Eufrat im Defile der Katarakte von einander trennt, ver-
hindern es nicht, daß beide Ströme erst dann, nachdem sie ganz
Kurdistan und Mesopotamien umströmt haben, erst zehn Meilen
oberhalb des Persischen Golfes ihre Vereinigung bewirken.

Die Kataraktenstrecke des Eufrat ist, wie selbstverständlich,
unschiffbar. Während der letzten großen Kurdenkriege zu Ende
der dreißiger Jahre, mit denen auch Hafis Paschas Feldzüge
gegen Ibrahim von Egypten verbunden waren, wurde im türki-
schen Hauptquartier zu Malatia die Beschiffung der Strecke an-
geregt, und zwar zunächst auf Grund der dringenden Noth-
wendigkeit, die Bedürfnisse der Operationsarmee rascher als auf dem
langwierigen Landwege zu befördern. Niemand wollte sich zu
der gefährlichen Probefahrt finden und so entschloß sich der
damalige preußische Hauptmann v. Moltke, der, wie schon oben
erwähnt, dem Hauptquartier zugetheilt war, zu diesem Wagniß
und ihm erst verdanken wir die genauere Kenntniß der groß-
artigen Strompartie 1. Die Fahrt, welche das erste Mal bei
Niederwasser durchgeführt wurde, ging nur schlecht von Statten.
Mancher Katarakt konnte nicht anders passirt werden, als durch
den Landtransport des zerlegten Schlauchflosses. Nicht viel besser
ging es das zweite Mal, als der Strom in Folge starker Regen-
güsse hoch angeschwollen war. Die Annahme, daß bei hohem
Wasserstande die Felsbarren leichter zu passiren sein würden,
sollte sich nicht realisiren, denn nun waren die Katarakte wahre
Wasserfälle und mehr als einmal versank das unsichere Floß in
den Sturzwellen oder unter den kreisenden Wogen der verderb-

1 v. Moltke, "Briefe etc.", 293 u. ff.

Ueberblick auf Geſammt-Armenien.
Gefüge des Maſſengebirges nach und nach eine nahezu nord-
öſtliche Direction angenommen hat, die freilich bald wieder in
eine ſüdweſtliche ändert. Erwähnenswerth iſt dieſer Punkt auch
deshalb noch, weil von hier nur wenige Stunden landeinwärts
und zwar gegen Nordoſten der kleine Hochlandsſee liegt, aus dem
der weſtliche Tigris entſtrömt. Der Eufrat hat bis hierher, an
der Geburtsſtelle ſeines Zwillingsbruders, bereits eine Ent-
wickelung (von Erzerum ab) von mehr als achtzig Meilen erreicht.
Während aber dieſer ſüdweſtwärts abfließt, zieht jener in nahezu
öſtlicher Richtung, und die wenigen Stunden Landes, das Tigris
und Eufrat im Defilé der Katarakte von einander trennt, ver-
hindern es nicht, daß beide Ströme erſt dann, nachdem ſie ganz
Kurdiſtan und Meſopotamien umſtrömt haben, erſt zehn Meilen
oberhalb des Perſiſchen Golfes ihre Vereinigung bewirken.

Die Kataraktenſtrecke des Eufrat iſt, wie ſelbſtverſtändlich,
unſchiffbar. Während der letzten großen Kurdenkriege zu Ende
der dreißiger Jahre, mit denen auch Hafis Paſchas Feldzüge
gegen Ibrahim von Egypten verbunden waren, wurde im türki-
ſchen Hauptquartier zu Malatia die Beſchiffung der Strecke an-
geregt, und zwar zunächſt auf Grund der dringenden Noth-
wendigkeit, die Bedürfniſſe der Operationsarmee raſcher als auf dem
langwierigen Landwege zu befördern. Niemand wollte ſich zu
der gefährlichen Probefahrt finden und ſo entſchloß ſich der
damalige preußiſche Hauptmann v. Moltke, der, wie ſchon oben
erwähnt, dem Hauptquartier zugetheilt war, zu dieſem Wagniß
und ihm erſt verdanken wir die genauere Kenntniß der groß-
artigen Strompartie 1. Die Fahrt, welche das erſte Mal bei
Niederwaſſer durchgeführt wurde, ging nur ſchlecht von Statten.
Mancher Katarakt konnte nicht anders paſſirt werden, als durch
den Landtransport des zerlegten Schlauchfloſſes. Nicht viel beſſer
ging es das zweite Mal, als der Strom in Folge ſtarker Regen-
güſſe hoch angeſchwollen war. Die Annahme, daß bei hohem
Waſſerſtande die Felsbarren leichter zu paſſiren ſein würden,
ſollte ſich nicht realiſiren, denn nun waren die Katarakte wahre
Waſſerfälle und mehr als einmal verſank das unſichere Floß in
den Sturzwellen oder unter den kreiſenden Wogen der verderb-

1 v. Moltke, „Briefe ꝛc.“, 293 u. ff.
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[128/0160] Ueberblick auf Geſammt-Armenien. Gefüge des Maſſengebirges nach und nach eine nahezu nord- öſtliche Direction angenommen hat, die freilich bald wieder in eine ſüdweſtliche ändert. Erwähnenswerth iſt dieſer Punkt auch deshalb noch, weil von hier nur wenige Stunden landeinwärts und zwar gegen Nordoſten der kleine Hochlandsſee liegt, aus dem der weſtliche Tigris entſtrömt. Der Eufrat hat bis hierher, an der Geburtsſtelle ſeines Zwillingsbruders, bereits eine Ent- wickelung (von Erzerum ab) von mehr als achtzig Meilen erreicht. Während aber dieſer ſüdweſtwärts abfließt, zieht jener in nahezu öſtlicher Richtung, und die wenigen Stunden Landes, das Tigris und Eufrat im Defilé der Katarakte von einander trennt, ver- hindern es nicht, daß beide Ströme erſt dann, nachdem ſie ganz Kurdiſtan und Meſopotamien umſtrömt haben, erſt zehn Meilen oberhalb des Perſiſchen Golfes ihre Vereinigung bewirken. Die Kataraktenſtrecke des Eufrat iſt, wie ſelbſtverſtändlich, unſchiffbar. Während der letzten großen Kurdenkriege zu Ende der dreißiger Jahre, mit denen auch Hafis Paſchas Feldzüge gegen Ibrahim von Egypten verbunden waren, wurde im türki- ſchen Hauptquartier zu Malatia die Beſchiffung der Strecke an- geregt, und zwar zunächſt auf Grund der dringenden Noth- wendigkeit, die Bedürfniſſe der Operationsarmee raſcher als auf dem langwierigen Landwege zu befördern. Niemand wollte ſich zu der gefährlichen Probefahrt finden und ſo entſchloß ſich der damalige preußiſche Hauptmann v. Moltke, der, wie ſchon oben erwähnt, dem Hauptquartier zugetheilt war, zu dieſem Wagniß und ihm erſt verdanken wir die genauere Kenntniß der groß- artigen Strompartie 1. Die Fahrt, welche das erſte Mal bei Niederwaſſer durchgeführt wurde, ging nur ſchlecht von Statten. Mancher Katarakt konnte nicht anders paſſirt werden, als durch den Landtransport des zerlegten Schlauchfloſſes. Nicht viel beſſer ging es das zweite Mal, als der Strom in Folge ſtarker Regen- güſſe hoch angeſchwollen war. Die Annahme, daß bei hohem Waſſerſtande die Felsbarren leichter zu paſſiren ſein würden, ſollte ſich nicht realiſiren, denn nun waren die Katarakte wahre Waſſerfälle und mehr als einmal verſank das unſichere Floß in den Sturzwellen oder unter den kreiſenden Wogen der verderb- 1 v. Moltke, „Briefe ꝛc.“, 293 u. ff.

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/160>, abgerufen am 22.11.2024.