geographischer Beziehung wichtigen Lande, wie Armenien, be- schäftigt, ein Capitel politischen und zeitgeschichtlichen Inhaltes voranzusetzen ...
Mit Rußlands Verlegung seiner Grenzpfähle bis zum Großen Ararat nach den persischen und russisch-türkischen Kriegen 1826 bis 1829, d. h. nach den Friedensschlüssen von Turkmantschai und Adrianopel, schien England des müßgen Zusehens gegenüber den stetig stattfindenden Machtverschiebungen an der Schwelle Irans überdrüssig. Eine politische Pression auf die Verhältnisse schien freilich nicht gut möglich, und so bediente man sich an- fänglich englischerseits anderer Mittel. Der Besuch englischer Missionäre nahm um diese Zeit in Vorder-Asien erheblich zu, namentlich in den östlichen und centralen taurischen Districten, also an der eigentlichen geographischen Schranke zwischen einer allfälligen russischen und englischen Macht- und Interessen-Sphäre. Leider sind über diese Anfänge brittischen Einflusses nur Er- innerungen zurückgeblieben, welche das allerungünstigste Licht auf die englische Proselytenmacherei werfen. So hatten beispiels- weise die Kurden des Nestorianer-Districtes von Hakkiari eine für jene Natursöhne höchst außergewöhnliche Hochachtung vor dem Wirken der amerikanischen Missionsbrüder erlangt, wie es vor einigen Decennien und gerade nach dem ersten siegreichen Feldzuge der Russen in Armenien (1829) blühte. Dagegen wußten die englisch-hochkirchlichen Missionäre nichts besseres zu thun, als die Kurden, welche doch unter Umständen sehr fanatische Mohammedaner zu sein vermögen, gegen die Amerikaner und ihre nestorianischen Schutzbefohlenen aufzuhetzen, und so jenes Blutbad hervorzurufen, das weit erschütternder war als die Maronitenschlächterei im Jahre 1860, wobei die Engländer be- kanntlich gleichfalls ihre Hände im Spiele hatten. Das Haupt der damaligen hochkirchlich-bischöflichen Propagandisten in Hakkiari aber war so naiv, oder übelwollend, daß es nach der entsetzlichen Katastrophe von Aschitah das Handeln des blutdürstigen Bedr Khan noch zu entschuldigen wagte. "Wie mysteriös", ruft Hr. Badger (The Nestorians, I, 301) aus, "waren die Wege des Allmächtigen, indem er zuließ, daß die ungläubigen Kurden so viele Tausend Anhänger Christi schlachteten! Wir dürfen gleich- wohl nicht zweifeln, daß Gott ein erhabenes Ziel bei dieser Zu-
Einleitende Bemerkungen.
geographiſcher Beziehung wichtigen Lande, wie Armenien, be- ſchäftigt, ein Capitel politiſchen und zeitgeſchichtlichen Inhaltes voranzuſetzen …
Mit Rußlands Verlegung ſeiner Grenzpfähle bis zum Großen Ararat nach den perſiſchen und ruſſiſch-türkiſchen Kriegen 1826 bis 1829, d. h. nach den Friedensſchlüſſen von Turkmantſchai und Adrianopel, ſchien England des müßgen Zuſehens gegenüber den ſtetig ſtattfindenden Machtverſchiebungen an der Schwelle Irans überdrüſſig. Eine politiſche Preſſion auf die Verhältniſſe ſchien freilich nicht gut möglich, und ſo bediente man ſich an- fänglich engliſcherſeits anderer Mittel. Der Beſuch engliſcher Miſſionäre nahm um dieſe Zeit in Vorder-Aſien erheblich zu, namentlich in den öſtlichen und centralen tauriſchen Diſtricten, alſo an der eigentlichen geographiſchen Schranke zwiſchen einer allfälligen ruſſiſchen und engliſchen Macht- und Intereſſen-Sphäre. Leider ſind über dieſe Anfänge brittiſchen Einfluſſes nur Er- innerungen zurückgeblieben, welche das allerungünſtigſte Licht auf die engliſche Proſelytenmacherei werfen. So hatten beiſpiels- weiſe die Kurden des Neſtorianer-Diſtrictes von Hakkiari eine für jene Naturſöhne höchſt außergewöhnliche Hochachtung vor dem Wirken der amerikaniſchen Miſſionsbrüder erlangt, wie es vor einigen Decennien und gerade nach dem erſten ſiegreichen Feldzuge der Ruſſen in Armenien (1829) blühte. Dagegen wußten die engliſch-hochkirchlichen Miſſionäre nichts beſſeres zu thun, als die Kurden, welche doch unter Umſtänden ſehr fanatiſche Mohammedaner zu ſein vermögen, gegen die Amerikaner und ihre neſtorianiſchen Schutzbefohlenen aufzuhetzen, und ſo jenes Blutbad hervorzurufen, das weit erſchütternder war als die Maronitenſchlächterei im Jahre 1860, wobei die Engländer be- kanntlich gleichfalls ihre Hände im Spiele hatten. Das Haupt der damaligen hochkirchlich-biſchöflichen Propagandiſten in Hakkiari aber war ſo naiv, oder übelwollend, daß es nach der entſetzlichen Kataſtrophe von Aſchitah das Handeln des blutdürſtigen Bedr Khan noch zu entſchuldigen wagte. „Wie myſteriös“, ruft Hr. Badger (The Nestorians, I, 301) aus, „waren die Wege des Allmächtigen, indem er zuließ, daß die ungläubigen Kurden ſo viele Tauſend Anhänger Chriſti ſchlachteten! Wir dürfen gleich- wohl nicht zweifeln, daß Gott ein erhabenes Ziel bei dieſer Zu-
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[XII/0016]
Einleitende Bemerkungen.
geographiſcher Beziehung wichtigen Lande, wie Armenien, be-
ſchäftigt, ein Capitel politiſchen und zeitgeſchichtlichen Inhaltes
voranzuſetzen …
Mit Rußlands Verlegung ſeiner Grenzpfähle bis zum Großen
Ararat nach den perſiſchen und ruſſiſch-türkiſchen Kriegen 1826
bis 1829, d. h. nach den Friedensſchlüſſen von Turkmantſchai
und Adrianopel, ſchien England des müßgen Zuſehens gegenüber
den ſtetig ſtattfindenden Machtverſchiebungen an der Schwelle
Irans überdrüſſig. Eine politiſche Preſſion auf die Verhältniſſe
ſchien freilich nicht gut möglich, und ſo bediente man ſich an-
fänglich engliſcherſeits anderer Mittel. Der Beſuch engliſcher
Miſſionäre nahm um dieſe Zeit in Vorder-Aſien erheblich zu,
namentlich in den öſtlichen und centralen tauriſchen Diſtricten,
alſo an der eigentlichen geographiſchen Schranke zwiſchen einer
allfälligen ruſſiſchen und engliſchen Macht- und Intereſſen-Sphäre.
Leider ſind über dieſe Anfänge brittiſchen Einfluſſes nur Er-
innerungen zurückgeblieben, welche das allerungünſtigſte Licht
auf die engliſche Proſelytenmacherei werfen. So hatten beiſpiels-
weiſe die Kurden des Neſtorianer-Diſtrictes von Hakkiari eine
für jene Naturſöhne höchſt außergewöhnliche Hochachtung vor
dem Wirken der amerikaniſchen Miſſionsbrüder erlangt, wie es
vor einigen Decennien und gerade nach dem erſten ſiegreichen
Feldzuge der Ruſſen in Armenien (1829) blühte. Dagegen
wußten die engliſch-hochkirchlichen Miſſionäre nichts beſſeres zu
thun, als die Kurden, welche doch unter Umſtänden ſehr fanatiſche
Mohammedaner zu ſein vermögen, gegen die Amerikaner und
ihre neſtorianiſchen Schutzbefohlenen aufzuhetzen, und ſo jenes
Blutbad hervorzurufen, das weit erſchütternder war als die
Maronitenſchlächterei im Jahre 1860, wobei die Engländer be-
kanntlich gleichfalls ihre Hände im Spiele hatten. Das Haupt
der damaligen hochkirchlich-biſchöflichen Propagandiſten in Hakkiari
aber war ſo naiv, oder übelwollend, daß es nach der entſetzlichen
Kataſtrophe von Aſchitah das Handeln des blutdürſtigen Bedr
Khan noch zu entſchuldigen wagte. „Wie myſteriös“, ruft Hr.
Badger (The Nestorians, I, 301) aus, „waren die Wege des
Allmächtigen, indem er zuließ, daß die ungläubigen Kurden ſo
viele Tauſend Anhänger Chriſti ſchlachteten! Wir dürfen gleich-
wohl nicht zweifeln, daß Gott ein erhabenes Ziel bei dieſer Zu-
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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. XII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/16>, abgerufen am 16.02.2025.
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