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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Ueberblick auf Gesammt-Armenien.
gehörigkeit klar zu machen ... Wir haben oben (im zweiten
Abschnitte) der großen Communicationen aus dem Centrum Ar-
meniens (Erzerum) nach Westen und der Paß-Passage von Kara-
kulak (bei der sogenannten "Teufelsschlucht") gedacht, die den
allgemeinen Verkehr zwischen der Ebene Terdjan und den west-
wärts sich dehnenden Gebirgslandschaften vermittelt. Diese selbst
sind nur eine Fortsetzung des mächtigen Kop-Dagh (10,000 Fuß),
der sich zwischen dem obern Eufratthal und dem Quellflusse des
Tschoruk quer vorlegt und von einem uralten Handelswege, dem
pontisch-armenisch-persischen übersetzt wird. Im Anschluß hieran
über Karakulak nach der vulkanischen Erhebungsmasse des Sepuh
oder "heiligen Berges" bei Erzingian einerseits, sowie anderseits
um die Quellregion des Kelkit-Tschai, der westwärts über Niksar
dem Meere zuströmt, indem er sich vorher noch mit dem Iris
vereinigt, breiten sich noch immer Gebirgszüge, kleinere Zwischen-
plateaux, sowie Längenthäler, deren orographischer Zusammenhang
mit den östlichen armenischen Gebirgszügen sich unverkennbar dar-
thut. Erst in der Meridianrichtung von Egin, im Plateaulande
Gerdschanis treten ostwärts relativ niedere Randgebirge heran,
die bereits einen anderen orographischen Typus aufweisen. Es
sind jene ringartig aneinander gruppirten Gebirgseinfassungen
welche den obersten Lauf des Halys im Norden, Osten und
Süden umklammern und gleichzeitig das weitläufige Plateau be-
grenzen, in dessen beiläufiger Mitte die Hochlandsstadt Siwas
gelegen ist.

Dieses Territorium ist so recht die Grenzmark zwischen
Armenien und Anatolien und bevor wir das Totalgemälde des
ersteren vorführen, mag es immerhin am Platze sein, einige Zeit
bei der letzten größeren Stadt der Armenier zu verweilen, die
ihnen ein Hort in der Zeit seldschukidischer Bedrängniß war.
Von Dauer konnte diese Zwischenzeit freilich nicht sein, angesichts
der rapiden Sturmfluth, die, in Gestalt der Reiterschaaren Alp
Arzlans nach ihrem Zerstörungswerk im Osten, unbehindert sich
nach Westen wälzte. Zudem bot das Land, wie auch heute noch,
nur geringe Hilfsquellen und die weiten baumlosen Steppenland-
schaften schienen so ganz geschaffen, barbarischen Horden zum
Tummelplatze zu dienen. Wer demnach heute jene grasigen Ebenen
betritt, begegnet überall nur trostloser Oede und Abgestorbenheit,

Ueberblick auf Geſammt-Armenien.
gehörigkeit klar zu machen … Wir haben oben (im zweiten
Abſchnitte) der großen Communicationen aus dem Centrum Ar-
meniens (Erzerum) nach Weſten und der Paß-Paſſage von Kara-
kulak (bei der ſogenannten „Teufelsſchlucht“) gedacht, die den
allgemeinen Verkehr zwiſchen der Ebene Terdjan und den weſt-
wärts ſich dehnenden Gebirgslandſchaften vermittelt. Dieſe ſelbſt
ſind nur eine Fortſetzung des mächtigen Kop-Dagh (10,000 Fuß),
der ſich zwiſchen dem obern Eufratthal und dem Quellfluſſe des
Tſchoruk quer vorlegt und von einem uralten Handelswege, dem
pontiſch-armeniſch-perſiſchen überſetzt wird. Im Anſchluß hieran
über Karakulak nach der vulkaniſchen Erhebungsmaſſe des Sepuh
oder „heiligen Berges“ bei Erzingian einerſeits, ſowie anderſeits
um die Quellregion des Kelkit-Tſchai, der weſtwärts über Nikſar
dem Meere zuſtrömt, indem er ſich vorher noch mit dem Iris
vereinigt, breiten ſich noch immer Gebirgszüge, kleinere Zwiſchen-
plateaux, ſowie Längenthäler, deren orographiſcher Zuſammenhang
mit den öſtlichen armeniſchen Gebirgszügen ſich unverkennbar dar-
thut. Erſt in der Meridianrichtung von Egin, im Plateaulande
Gerdſchanis treten oſtwärts relativ niedere Randgebirge heran,
die bereits einen anderen orographiſchen Typus aufweiſen. Es
ſind jene ringartig aneinander gruppirten Gebirgseinfaſſungen
welche den oberſten Lauf des Halys im Norden, Oſten und
Süden umklammern und gleichzeitig das weitläufige Plateau be-
grenzen, in deſſen beiläufiger Mitte die Hochlandsſtadt Siwas
gelegen iſt.

Dieſes Territorium iſt ſo recht die Grenzmark zwiſchen
Armenien und Anatolien und bevor wir das Totalgemälde des
erſteren vorführen, mag es immerhin am Platze ſein, einige Zeit
bei der letzten größeren Stadt der Armenier zu verweilen, die
ihnen ein Hort in der Zeit ſeldſchukidiſcher Bedrängniß war.
Von Dauer konnte dieſe Zwiſchenzeit freilich nicht ſein, angeſichts
der rapiden Sturmfluth, die, in Geſtalt der Reiterſchaaren Alp
Arzlans nach ihrem Zerſtörungswerk im Oſten, unbehindert ſich
nach Weſten wälzte. Zudem bot das Land, wie auch heute noch,
nur geringe Hilfsquellen und die weiten baumloſen Steppenland-
ſchaften ſchienen ſo ganz geſchaffen, barbariſchen Horden zum
Tummelplatze zu dienen. Wer demnach heute jene graſigen Ebenen
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[116/0148] Ueberblick auf Geſammt-Armenien. gehörigkeit klar zu machen … Wir haben oben (im zweiten Abſchnitte) der großen Communicationen aus dem Centrum Ar- meniens (Erzerum) nach Weſten und der Paß-Paſſage von Kara- kulak (bei der ſogenannten „Teufelsſchlucht“) gedacht, die den allgemeinen Verkehr zwiſchen der Ebene Terdjan und den weſt- wärts ſich dehnenden Gebirgslandſchaften vermittelt. Dieſe ſelbſt ſind nur eine Fortſetzung des mächtigen Kop-Dagh (10,000 Fuß), der ſich zwiſchen dem obern Eufratthal und dem Quellfluſſe des Tſchoruk quer vorlegt und von einem uralten Handelswege, dem pontiſch-armeniſch-perſiſchen überſetzt wird. Im Anſchluß hieran über Karakulak nach der vulkaniſchen Erhebungsmaſſe des Sepuh oder „heiligen Berges“ bei Erzingian einerſeits, ſowie anderſeits um die Quellregion des Kelkit-Tſchai, der weſtwärts über Nikſar dem Meere zuſtrömt, indem er ſich vorher noch mit dem Iris vereinigt, breiten ſich noch immer Gebirgszüge, kleinere Zwiſchen- plateaux, ſowie Längenthäler, deren orographiſcher Zuſammenhang mit den öſtlichen armeniſchen Gebirgszügen ſich unverkennbar dar- thut. Erſt in der Meridianrichtung von Egin, im Plateaulande Gerdſchanis treten oſtwärts relativ niedere Randgebirge heran, die bereits einen anderen orographiſchen Typus aufweiſen. Es ſind jene ringartig aneinander gruppirten Gebirgseinfaſſungen welche den oberſten Lauf des Halys im Norden, Oſten und Süden umklammern und gleichzeitig das weitläufige Plateau be- grenzen, in deſſen beiläufiger Mitte die Hochlandsſtadt Siwas gelegen iſt. Dieſes Territorium iſt ſo recht die Grenzmark zwiſchen Armenien und Anatolien und bevor wir das Totalgemälde des erſteren vorführen, mag es immerhin am Platze ſein, einige Zeit bei der letzten größeren Stadt der Armenier zu verweilen, die ihnen ein Hort in der Zeit ſeldſchukidiſcher Bedrängniß war. Von Dauer konnte dieſe Zwiſchenzeit freilich nicht ſein, angeſichts der rapiden Sturmfluth, die, in Geſtalt der Reiterſchaaren Alp Arzlans nach ihrem Zerſtörungswerk im Oſten, unbehindert ſich nach Weſten wälzte. Zudem bot das Land, wie auch heute noch, nur geringe Hilfsquellen und die weiten baumloſen Steppenland- ſchaften ſchienen ſo ganz geſchaffen, barbariſchen Horden zum Tummelplatze zu dienen. Wer demnach heute jene graſigen Ebenen betritt, begegnet überall nur troſtloſer Oede und Abgeſtorbenheit,

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/148>, abgerufen am 22.11.2024.