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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Gurani und Kermani.
dem bekannten General der kurdischen Irregulären während des
letzten Krieges. Was die räumliche Ausdehnung der Kurden
gegen Westen anbelangt, so reichen sie tief nach Klein-Asien und
Klein-Armenien hinein, hierselbst etwa bis Siwas, ja bis in die
Pontusgegenden, dort thalab des Kyzil-Yrmak (Halys) bis über
Kaisarieh hinaus, ja bis zu den großen Salzseen Centro-Ana-
toliens. Die Nordgrenze der Kurdenverbreitung dürften die
Thäler des westlichen Eufrat und des Araxes sein; ostwärts
greifen sie stark über die persische Grenze hinaus und sind be-
sonders dicht in Ardelan und Tschaldiran. Im äußersten Süden
dürften sie bis zum oberen Diala, der unterhalb Bagdad in den
Tigris mündet, reichen. Der auf diese Art begrenzte Länder-
complex umfaßt mindestens 4000 Quadrat-Meilen, doch sind die
Kurden nur in Central-Kurdistan das dominirende Element, sowie
in Theilen Ost-Kurdistans, in allen übrigen Strichen durchsetzen
sie nur die dortige Population, welche entweder die armenische,
türkische, turkmenische oder persische ist. Die Populationsziffer der
Kurden ist bei den gegebenen Umständen selbstverständlich gänzlich
unbestimmbar, doch werden die türkischen Kurden, welche die Haupt-
masse bilden, auf rund eine Million geschätzt 1. Mit den persischen
und russischen Kurden dürfte ihre Zahl bei 1 1/2 Millionen erreichen.

So weit wäre das Hauptsächlichste über die Kurden in
geographischer Hinsicht erschöpft. Nicht minder interessant dünken
uns aber die religiös-politischen Beziehungen und Divergenzen
zwischen einzelnen größeren Stämmen oder Glaubensgemein-
schaften, denn die Kurden sind beileibe nicht sammt und sonders
Mohammedaner. Zunächst gehört ein ganz respectabler Procent-
satz derselben der im Oriente weit und breit als "Teufelsanbeter"

1 C. Sax, "Wiener Ausstellungsbericht" (Türkei, S. 8). Details
über die Kurdenpopulation innerhalb der türkischen Reichsgrenzen finden
sich in dem Stambuler officiellen Staats-Kalender (Salname), die jedoch
keineswegs verläßlich sind. Der englische Consul Taylor beziffert die in
Armenien wohnenden Kurden auf 544,000, von denen 357,000 Moham-
medaner, der Rest Sectirer sind; im Vilajete Diarbekr belaufen sich, nach
demselben Berichterstatter, die Kurden auf 540,000, wodurch beide Länder
zusammen allein für sich schon die Million überschreiten würden, die übrigen
Kurdenstämme aus den Provinzen Sivas, Angora, Konja, Adana, Aleppo
und Bagdad ungerechnet. (Vgl. Helle, "Die Völker des osmanischen
Reiches", 97 u. 99.)

Gurani und Kermani.
dem bekannten General der kurdiſchen Irregulären während des
letzten Krieges. Was die räumliche Ausdehnung der Kurden
gegen Weſten anbelangt, ſo reichen ſie tief nach Klein-Aſien und
Klein-Armenien hinein, hierſelbſt etwa bis Siwas, ja bis in die
Pontusgegenden, dort thalab des Kyzil-Yrmak (Halys) bis über
Kaiſarieh hinaus, ja bis zu den großen Salzſeen Centro-Ana-
toliens. Die Nordgrenze der Kurdenverbreitung dürften die
Thäler des weſtlichen Eufrat und des Araxes ſein; oſtwärts
greifen ſie ſtark über die perſiſche Grenze hinaus und ſind be-
ſonders dicht in Ardelan und Tſchaldiran. Im äußerſten Süden
dürften ſie bis zum oberen Diala, der unterhalb Bagdad in den
Tigris mündet, reichen. Der auf dieſe Art begrenzte Länder-
complex umfaßt mindeſtens 4000 Quadrat-Meilen, doch ſind die
Kurden nur in Central-Kurdiſtan das dominirende Element, ſowie
in Theilen Oſt-Kurdiſtans, in allen übrigen Strichen durchſetzen
ſie nur die dortige Population, welche entweder die armeniſche,
türkiſche, turkmeniſche oder perſiſche iſt. Die Populationsziffer der
Kurden iſt bei den gegebenen Umſtänden ſelbſtverſtändlich gänzlich
unbeſtimmbar, doch werden die türkiſchen Kurden, welche die Haupt-
maſſe bilden, auf rund eine Million geſchätzt 1. Mit den perſiſchen
und ruſſiſchen Kurden dürfte ihre Zahl bei 1 ½ Millionen erreichen.

So weit wäre das Hauptſächlichſte über die Kurden in
geographiſcher Hinſicht erſchöpft. Nicht minder intereſſant dünken
uns aber die religiös-politiſchen Beziehungen und Divergenzen
zwiſchen einzelnen größeren Stämmen oder Glaubensgemein-
ſchaften, denn die Kurden ſind beileibe nicht ſammt und ſonders
Mohammedaner. Zunächſt gehört ein ganz reſpectabler Procent-
ſatz derſelben der im Oriente weit und breit als „Teufelsanbeter“

1 C. Sax, „Wiener Ausſtellungsbericht“ (Türkei, S. 8). Details
über die Kurdenpopulation innerhalb der türkiſchen Reichsgrenzen finden
ſich in dem Stambuler officiellen Staats-Kalender (Salnamé), die jedoch
keineswegs verläßlich ſind. Der engliſche Conſul Taylor beziffert die in
Armenien wohnenden Kurden auf 544,000, von denen 357,000 Moham-
medaner, der Reſt Sectirer ſind; im Vilajete Diarbekr belaufen ſich, nach
demſelben Berichterſtatter, die Kurden auf 540,000, wodurch beide Länder
zuſammen allein für ſich ſchon die Million überſchreiten würden, die übrigen
Kurdenſtämme aus den Provinzen Sivas, Angora, Konja, Adana, Aleppo
und Bagdad ungerechnet. (Vgl. Helle, „Die Völker des osmaniſchen
Reiches“, 97 u. 99.)
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[111/0143] Gurani und Kermani. dem bekannten General der kurdiſchen Irregulären während des letzten Krieges. Was die räumliche Ausdehnung der Kurden gegen Weſten anbelangt, ſo reichen ſie tief nach Klein-Aſien und Klein-Armenien hinein, hierſelbſt etwa bis Siwas, ja bis in die Pontusgegenden, dort thalab des Kyzil-Yrmak (Halys) bis über Kaiſarieh hinaus, ja bis zu den großen Salzſeen Centro-Ana- toliens. Die Nordgrenze der Kurdenverbreitung dürften die Thäler des weſtlichen Eufrat und des Araxes ſein; oſtwärts greifen ſie ſtark über die perſiſche Grenze hinaus und ſind be- ſonders dicht in Ardelan und Tſchaldiran. Im äußerſten Süden dürften ſie bis zum oberen Diala, der unterhalb Bagdad in den Tigris mündet, reichen. Der auf dieſe Art begrenzte Länder- complex umfaßt mindeſtens 4000 Quadrat-Meilen, doch ſind die Kurden nur in Central-Kurdiſtan das dominirende Element, ſowie in Theilen Oſt-Kurdiſtans, in allen übrigen Strichen durchſetzen ſie nur die dortige Population, welche entweder die armeniſche, türkiſche, turkmeniſche oder perſiſche iſt. Die Populationsziffer der Kurden iſt bei den gegebenen Umſtänden ſelbſtverſtändlich gänzlich unbeſtimmbar, doch werden die türkiſchen Kurden, welche die Haupt- maſſe bilden, auf rund eine Million geſchätzt 1. Mit den perſiſchen und ruſſiſchen Kurden dürfte ihre Zahl bei 1 ½ Millionen erreichen. So weit wäre das Hauptſächlichſte über die Kurden in geographiſcher Hinſicht erſchöpft. Nicht minder intereſſant dünken uns aber die religiös-politiſchen Beziehungen und Divergenzen zwiſchen einzelnen größeren Stämmen oder Glaubensgemein- ſchaften, denn die Kurden ſind beileibe nicht ſammt und ſonders Mohammedaner. Zunächſt gehört ein ganz reſpectabler Procent- ſatz derſelben der im Oriente weit und breit als „Teufelsanbeter“ 1 C. Sax, „Wiener Ausſtellungsbericht“ (Türkei, S. 8). Details über die Kurdenpopulation innerhalb der türkiſchen Reichsgrenzen finden ſich in dem Stambuler officiellen Staats-Kalender (Salnamé), die jedoch keineswegs verläßlich ſind. Der engliſche Conſul Taylor beziffert die in Armenien wohnenden Kurden auf 544,000, von denen 357,000 Moham- medaner, der Reſt Sectirer ſind; im Vilajete Diarbekr belaufen ſich, nach demſelben Berichterſtatter, die Kurden auf 540,000, wodurch beide Länder zuſammen allein für ſich ſchon die Million überſchreiten würden, die übrigen Kurdenſtämme aus den Provinzen Sivas, Angora, Konja, Adana, Aleppo und Bagdad ungerechnet. (Vgl. Helle, „Die Völker des osmaniſchen Reiches“, 97 u. 99.)

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/143>, abgerufen am 22.11.2024.