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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Van und die Kurden.
abrang. Was dann noch erübrigte, das zerstampften die Araber
der nord-mesopotamischen Wanderstämme, die, gleich der Meerfluth,
soweit nordwärts vordringen, als ebenes Land sich ihnen dar-
bietet. So sind die kurdischen Thal-Colonisten wieder in ihre
Berge getrieben worden und wo die rentable Arbeit nicht ge-
deihen will, da ersetzt das Raubhandwerk die mangelnden Existenz-
mittel ... So liegen beispielsweise an der Südgrenze Kurdi-
stans die letzten Kurdendörfer noch immer auf steilen Berghängen.
Da hinauf wagt sich der Beduine nicht, während in der Ebene
der Kurde des Nomaden flinkes Roß fürchtet.

Die geographische Ausbreitung der Kurden ist wiederholt
eingehend untersucht worden, doch ist man zur Ueberzeugung
gekommen, daß die Kurden und Kurdistan geographisch nicht
einen und denselben Begriff decken, indem man unter dem letzteren
das Gebirgsterritorium zwischen den Quell-Läufen des Eufrat
und Tigris, des Aras, der beiden Zarb-Flüsse und des persischen
Kyzil-Uzen versteht, während Kurdenstämme sehr weitläufige
Länderstriche innehaben, die außerhalb obiger Umgrenzung liegen.
Im Allgemeinen werden sie in östliche und westliche Kurden ein-
getheilt; das Gebiet der ersteren, zu beiden Seiten der türkisch-
persischen Grenze gilt als die Urheimat der Kurden überhaupt 1.
und thatsächlich hat das Volk dortselbst nicht nur seine typischen,
sondern auch seine socialen Eigenthümlichkeiten conservirt, von
denen die Clan-Organisation und das Kastenwesen die interessan-
testen sind. Die nationale Sprache ist freilich auch hier vollends
in ein türkisch-kurdisch-persisches Kauderwelsch aufgegangen.
Das hohe, rauhe Ardelan wird gemeinhin als der eigentliche
Ursitz der Kurden angesehen. In Senna, der Hauptstadt der
genannten persischen Grenzprovinz, ist der Sitz der "Guran" oder
Bauernkaste, in dem türkischen Suleimanjeh jener der "Kermani",
oder der herrschenden Kriegerkaste (des Adels). Nur diese nennen
sich Kurd oder Karduch; der Bauer, sei er nun seßhaft oder
Nomade, hat kein Anrecht auf diese Benennung, die somit ein
Titel ist. Man trifft deshalb auch häufig, daß türkische Würden-
träger, welche geborene Kurden sind, dem officiellen Titel ihren
nationalen vorsetzen, wie beispielsweise Ismael Kurd Pascha,

1 Von Rawlinson "Koordistan proper" genannt. (Bei Ritter, "Erd-
kunde", XI, 141.)

Van und die Kurden.
abrang. Was dann noch erübrigte, das zerſtampften die Araber
der nord-meſopotamiſchen Wanderſtämme, die, gleich der Meerfluth,
ſoweit nordwärts vordringen, als ebenes Land ſich ihnen dar-
bietet. So ſind die kurdiſchen Thal-Coloniſten wieder in ihre
Berge getrieben worden und wo die rentable Arbeit nicht ge-
deihen will, da erſetzt das Raubhandwerk die mangelnden Exiſtenz-
mittel … So liegen beiſpielsweiſe an der Südgrenze Kurdi-
ſtans die letzten Kurdendörfer noch immer auf ſteilen Berghängen.
Da hinauf wagt ſich der Beduine nicht, während in der Ebene
der Kurde des Nomaden flinkes Roß fürchtet.

Die geographiſche Ausbreitung der Kurden iſt wiederholt
eingehend unterſucht worden, doch iſt man zur Ueberzeugung
gekommen, daß die Kurden und Kurdiſtan geographiſch nicht
einen und denſelben Begriff decken, indem man unter dem letzteren
das Gebirgsterritorium zwiſchen den Quell-Läufen des Eufrat
und Tigris, des Aras, der beiden Zarb-Flüſſe und des perſiſchen
Kyzil-Uzen verſteht, während Kurdenſtämme ſehr weitläufige
Länderſtriche innehaben, die außerhalb obiger Umgrenzung liegen.
Im Allgemeinen werden ſie in öſtliche und weſtliche Kurden ein-
getheilt; das Gebiet der erſteren, zu beiden Seiten der türkiſch-
perſiſchen Grenze gilt als die Urheimat der Kurden überhaupt 1.
und thatſächlich hat das Volk dortſelbſt nicht nur ſeine typiſchen,
ſondern auch ſeine ſocialen Eigenthümlichkeiten conſervirt, von
denen die Clan-Organiſation und das Kaſtenweſen die intereſſan-
teſten ſind. Die nationale Sprache iſt freilich auch hier vollends
in ein türkiſch-kurdiſch-perſiſches Kauderwelſch aufgegangen.
Das hohe, rauhe Ardelan wird gemeinhin als der eigentliche
Urſitz der Kurden angeſehen. In Senna, der Hauptſtadt der
genannten perſiſchen Grenzprovinz, iſt der Sitz der „Guran“ oder
Bauernkaſte, in dem türkiſchen Suleimanjeh jener der „Kermani“,
oder der herrſchenden Kriegerkaſte (des Adels). Nur dieſe nennen
ſich Kurd oder Karduch; der Bauer, ſei er nun ſeßhaft oder
Nomade, hat kein Anrecht auf dieſe Benennung, die ſomit ein
Titel iſt. Man trifft deshalb auch häufig, daß türkiſche Würden-
träger, welche geborene Kurden ſind, dem officiellen Titel ihren
nationalen vorſetzen, wie beiſpielsweiſe Ismael Kurd Paſcha,

1 Von Rawlinſon „Koordistan proper“ genannt. (Bei Ritter, „Erd-
kunde“, XI, 141.)
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[110/0142] Van und die Kurden. abrang. Was dann noch erübrigte, das zerſtampften die Araber der nord-meſopotamiſchen Wanderſtämme, die, gleich der Meerfluth, ſoweit nordwärts vordringen, als ebenes Land ſich ihnen dar- bietet. So ſind die kurdiſchen Thal-Coloniſten wieder in ihre Berge getrieben worden und wo die rentable Arbeit nicht ge- deihen will, da erſetzt das Raubhandwerk die mangelnden Exiſtenz- mittel … So liegen beiſpielsweiſe an der Südgrenze Kurdi- ſtans die letzten Kurdendörfer noch immer auf ſteilen Berghängen. Da hinauf wagt ſich der Beduine nicht, während in der Ebene der Kurde des Nomaden flinkes Roß fürchtet. Die geographiſche Ausbreitung der Kurden iſt wiederholt eingehend unterſucht worden, doch iſt man zur Ueberzeugung gekommen, daß die Kurden und Kurdiſtan geographiſch nicht einen und denſelben Begriff decken, indem man unter dem letzteren das Gebirgsterritorium zwiſchen den Quell-Läufen des Eufrat und Tigris, des Aras, der beiden Zarb-Flüſſe und des perſiſchen Kyzil-Uzen verſteht, während Kurdenſtämme ſehr weitläufige Länderſtriche innehaben, die außerhalb obiger Umgrenzung liegen. Im Allgemeinen werden ſie in öſtliche und weſtliche Kurden ein- getheilt; das Gebiet der erſteren, zu beiden Seiten der türkiſch- perſiſchen Grenze gilt als die Urheimat der Kurden überhaupt 1. und thatſächlich hat das Volk dortſelbſt nicht nur ſeine typiſchen, ſondern auch ſeine ſocialen Eigenthümlichkeiten conſervirt, von denen die Clan-Organiſation und das Kaſtenweſen die intereſſan- teſten ſind. Die nationale Sprache iſt freilich auch hier vollends in ein türkiſch-kurdiſch-perſiſches Kauderwelſch aufgegangen. Das hohe, rauhe Ardelan wird gemeinhin als der eigentliche Urſitz der Kurden angeſehen. In Senna, der Hauptſtadt der genannten perſiſchen Grenzprovinz, iſt der Sitz der „Guran“ oder Bauernkaſte, in dem türkiſchen Suleimanjeh jener der „Kermani“, oder der herrſchenden Kriegerkaſte (des Adels). Nur dieſe nennen ſich Kurd oder Karduch; der Bauer, ſei er nun ſeßhaft oder Nomade, hat kein Anrecht auf dieſe Benennung, die ſomit ein Titel iſt. Man trifft deshalb auch häufig, daß türkiſche Würden- träger, welche geborene Kurden ſind, dem officiellen Titel ihren nationalen vorſetzen, wie beiſpielsweiſe Ismael Kurd Paſcha, 1 Von Rawlinſon „Koordistan proper“ genannt. (Bei Ritter, „Erd- kunde“, XI, 141.)

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/142>, abgerufen am 22.11.2024.