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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Van und die Kurden.
"Grausamen" 1 nennt, entrissen ward, wodurch die Kurden
dauernd mit den Türken in Contact geriethen. Das Jahr 1515
bezeichnet den vollkommenen Wendepunkt in der Geschichte der
Kurden 2. Edris, Historiograph am Hofe Selims, selbst Kurde
von Geburt, erzählt sehr umständlich, wie und mit welchen
Mitteln an die Neugestaltung Kurdistans geschritten ward, eine
politische Neugestaltung, die, soweit sie die Territorial-Eintheilung
betrifft, nahezu unverändert bis in unsere Tage hinein gedauert
hat, wie ja die ottomanische Regierung wunderlicherweise noch
heute an der politischen Districts- und Provinzeintheilung Syriens
festhält, die Selim vor mehr als dreihundert Jahren geschaffen.
Die Türken fanden im damaligen Kurdistan nahezu ebensoviele
Herren als Schlösser, deren Besitzthum zum Theile erobert, zum
Theile abgelöst wurde, während verschiedene Gaue mit Erfolg
der Invasion trotzten. In Folge dessen griff eine Art Dreitheilung
im Verhältnisse der Kurden zu der Pforte Platz, indem die be-
zwungenen Gaue dem Gesammtreiche mit türkischer Verwaltung
einverleibt wurden, die abgelösten unter kurdischen Chefs gewisse
Privilegien behielten, während die unbezwungenen Territorien
die Unabhängigkeit in Form eines erblichen Besitzrechtes in der
betreffenden Fürstenfamilie zugesichert erhielten 3. Das Gebiet
der letzteren umfaßte die imposante Hochlandsmasse zwischen den

1 Dieser Sultan kann als Beispiel dienen, wie mit Gottvertrauen und
religiöser Zerknirschungswuth die brutalste Gemüthsverhärtung gegen die
Mitmenschen sich vereinigen kann. Er, der in Klein-Asien 40,000 Schiiten
umbringen oder ins Gefängniß werfen ließ, wagte nicht einen der in der
Moschee zu Damaskus lagernden Heiligen Scheichs zuerst anzureden (Vgl.
Jouannin, "Turquie", 114); er, der zu Cairo alle Mameluken (viele
Hunderte) köpfen ließ, die auf sein Amnestie-Versprechen sich gestellt hatten,
ließ in der Asharmoschee die Teppiche aus Demuth wegnehmen, schlug die
Platten mit seiner Stirne und netzte sie mit Thränen. Am Libanonfelsen,
auf der Küste bei Beirut, wo Ramses-Sesostris und Sanherib sich einge-
schrieben, durfte auch Selim seine Denktafel hinterlassen. (Bei Braun,
"Gem. d. m. Welt", 389).
2 Vgl. Hammer-Purgstall, "Gesch. d. osm. Reiches", II, 416.
3 Unter diesen privilegirten Sandschaks befand sich auch jenes von
Hössn Keif (das Schloß der guten Laune), dessen Erbherr Chalil, der
Ejubide und Schwager Schah Ismails, der letzte Sprosse jenes Kurden-
geschlechtes war, aus dem Sultan Saladin hervorgegangen war. (Hammer-
Purgstall, a. a. O., II, 459.)

Van und die Kurden.
„Grauſamen“ 1 nennt, entriſſen ward, wodurch die Kurden
dauernd mit den Türken in Contact geriethen. Das Jahr 1515
bezeichnet den vollkommenen Wendepunkt in der Geſchichte der
Kurden 2. Edris, Hiſtoriograph am Hofe Selims, ſelbſt Kurde
von Geburt, erzählt ſehr umſtändlich, wie und mit welchen
Mitteln an die Neugeſtaltung Kurdiſtans geſchritten ward, eine
politiſche Neugeſtaltung, die, ſoweit ſie die Territorial-Eintheilung
betrifft, nahezu unverändert bis in unſere Tage hinein gedauert
hat, wie ja die ottomaniſche Regierung wunderlicherweiſe noch
heute an der politiſchen Diſtricts- und Provinzeintheilung Syriens
feſthält, die Selim vor mehr als dreihundert Jahren geſchaffen.
Die Türken fanden im damaligen Kurdiſtan nahezu ebenſoviele
Herren als Schlöſſer, deren Beſitzthum zum Theile erobert, zum
Theile abgelöſt wurde, während verſchiedene Gaue mit Erfolg
der Invaſion trotzten. In Folge deſſen griff eine Art Dreitheilung
im Verhältniſſe der Kurden zu der Pforte Platz, indem die be-
zwungenen Gaue dem Geſammtreiche mit türkiſcher Verwaltung
einverleibt wurden, die abgelöſten unter kurdiſchen Chefs gewiſſe
Privilegien behielten, während die unbezwungenen Territorien
die Unabhängigkeit in Form eines erblichen Beſitzrechtes in der
betreffenden Fürſtenfamilie zugeſichert erhielten 3. Das Gebiet
der letzteren umfaßte die impoſante Hochlandsmaſſe zwiſchen den

1 Dieſer Sultan kann als Beiſpiel dienen, wie mit Gottvertrauen und
religiöſer Zerknirſchungswuth die brutalſte Gemüthsverhärtung gegen die
Mitmenſchen ſich vereinigen kann. Er, der in Klein-Aſien 40,000 Schiiten
umbringen oder ins Gefängniß werfen ließ, wagte nicht einen der in der
Moſchee zu Damaskus lagernden Heiligen Scheichs zuerſt anzureden (Vgl.
Jouannin, „Turquie“, 114); er, der zu Cairo alle Mameluken (viele
Hunderte) köpfen ließ, die auf ſein Amneſtie-Verſprechen ſich geſtellt hatten,
ließ in der Asharmoſchee die Teppiche aus Demuth wegnehmen, ſchlug die
Platten mit ſeiner Stirne und netzte ſie mit Thränen. Am Libanonfelſen,
auf der Küſte bei Beirut, wo Ramſes-Seſoſtris und Sanherib ſich einge-
ſchrieben, durfte auch Selim ſeine Denktafel hinterlaſſen. (Bei Braun,
„Gem. d. m. Welt“, 389).
2 Vgl. Hammer-Purgſtall, „Geſch. d. osm. Reiches“, II, 416.
3 Unter dieſen privilegirten Sandſchaks befand ſich auch jenes von
Höſſn Keif (das Schloß der guten Laune), deſſen Erbherr Chalil, der
Ejubide und Schwager Schah Ismails, der letzte Sproſſe jenes Kurden-
geſchlechtes war, aus dem Sultan Saladin hervorgegangen war. (Hammer-
Purgſtall, a. a. O., II, 459.)
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[108/0140] Van und die Kurden. „Grauſamen“ 1 nennt, entriſſen ward, wodurch die Kurden dauernd mit den Türken in Contact geriethen. Das Jahr 1515 bezeichnet den vollkommenen Wendepunkt in der Geſchichte der Kurden 2. Edris, Hiſtoriograph am Hofe Selims, ſelbſt Kurde von Geburt, erzählt ſehr umſtändlich, wie und mit welchen Mitteln an die Neugeſtaltung Kurdiſtans geſchritten ward, eine politiſche Neugeſtaltung, die, ſoweit ſie die Territorial-Eintheilung betrifft, nahezu unverändert bis in unſere Tage hinein gedauert hat, wie ja die ottomaniſche Regierung wunderlicherweiſe noch heute an der politiſchen Diſtricts- und Provinzeintheilung Syriens feſthält, die Selim vor mehr als dreihundert Jahren geſchaffen. Die Türken fanden im damaligen Kurdiſtan nahezu ebenſoviele Herren als Schlöſſer, deren Beſitzthum zum Theile erobert, zum Theile abgelöſt wurde, während verſchiedene Gaue mit Erfolg der Invaſion trotzten. In Folge deſſen griff eine Art Dreitheilung im Verhältniſſe der Kurden zu der Pforte Platz, indem die be- zwungenen Gaue dem Geſammtreiche mit türkiſcher Verwaltung einverleibt wurden, die abgelöſten unter kurdiſchen Chefs gewiſſe Privilegien behielten, während die unbezwungenen Territorien die Unabhängigkeit in Form eines erblichen Beſitzrechtes in der betreffenden Fürſtenfamilie zugeſichert erhielten 3. Das Gebiet der letzteren umfaßte die impoſante Hochlandsmaſſe zwiſchen den 1 Dieſer Sultan kann als Beiſpiel dienen, wie mit Gottvertrauen und religiöſer Zerknirſchungswuth die brutalſte Gemüthsverhärtung gegen die Mitmenſchen ſich vereinigen kann. Er, der in Klein-Aſien 40,000 Schiiten umbringen oder ins Gefängniß werfen ließ, wagte nicht einen der in der Moſchee zu Damaskus lagernden Heiligen Scheichs zuerſt anzureden (Vgl. Jouannin, „Turquie“, 114); er, der zu Cairo alle Mameluken (viele Hunderte) köpfen ließ, die auf ſein Amneſtie-Verſprechen ſich geſtellt hatten, ließ in der Asharmoſchee die Teppiche aus Demuth wegnehmen, ſchlug die Platten mit ſeiner Stirne und netzte ſie mit Thränen. Am Libanonfelſen, auf der Küſte bei Beirut, wo Ramſes-Seſoſtris und Sanherib ſich einge- ſchrieben, durfte auch Selim ſeine Denktafel hinterlaſſen. (Bei Braun, „Gem. d. m. Welt“, 389). 2 Vgl. Hammer-Purgſtall, „Geſch. d. osm. Reiches“, II, 416. 3 Unter dieſen privilegirten Sandſchaks befand ſich auch jenes von Höſſn Keif (das Schloß der guten Laune), deſſen Erbherr Chalil, der Ejubide und Schwager Schah Ismails, der letzte Sproſſe jenes Kurden- geſchlechtes war, aus dem Sultan Saladin hervorgegangen war. (Hammer- Purgſtall, a. a. O., II, 459.)

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/140>, abgerufen am 23.11.2024.