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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Zur älteren Kurdengeschichte. -- Diarbekr. Selim I.
bekr nennen -- woben nämlich Tradition und Legende Wunder-
bares und Geheimnißvolles in Hülle und Fülle, und obgleich
kurz vorher Merwan die feste Stadt den Arabern weggenommen
hatte, so galt sie dennoch als die widerstandskräftigste des ganzen
mohammedanischen Orients, wenn nicht gar als uneinnehmbar.
Man schrieb ihr ein Alter von 4000 Jahren zu und die confuse
orientalische Geschichtsschreibung hat es glücklich dahin gebracht,
daß wir heute völlig unorientirt über die Zeit der Gründung
sind, da seitdem beharrlich an der gänzlich unverbürgten Sage
festgehalten wurde, wie sie die Perser colportiren, nämlich an der
Gründung durch die Fürstentochter Amid 1. Den Namen Diar-
bekr (Land des Bekr) hat sie erst von den Arabern bekommen 2.
Noch heute ist der Anblick der Stadt imposant, wenngleich nicht
ohne düsteren Eindruck. Die gewaltigen Basaltmauern der
Festung und ihre viereckigen Thürme thronen muthmaßlich seit
ihrer ersten Anlage noch immer unzerstört auf hoher Uferstufe,
an der der pfeilschnelle Tigris vorüberströmt. Die Mauern sind
aus riesigen Quaderblöcken aufgeführt 3. Temur, der auf seinem
Zuge kurz vorher die Wälle von Bagdad in Trümmer gelegt
hatte und dem die Thore Mosuls freiwillig sich öffneten, nahm
auch Diarbekr mit Sturm, indem er die oberste Quaderlage ein-
reißen ließ, was kaum für eine energische Vertheidigung der
Stadt spricht, die damals noch die Turkmenen-Dynastie der Orto-
kiden in Händen hatte. Der häufige Besitzwechsel der Stadt
kann uns indeß nicht weiter beschäftigen, für uns genügt, daß
die Stadt bereits seit dem Jahre 1085 nicht mehr kurdisch war,
daß sie aber 1515 den Persern durch den Eroberer Syriens und
Egyptens, Selim I., den die Geschichte berechtigterweise den

1 Otter, Voy. II, 273.
2 Die Araber theilten ursprünglich Mesopotamien nach drei Stamm-
vätern in ebensoviele Theile oder Landschaften (Diar). Diese drei waren
die beiden Söhne Nesars, die Rebia und Masar hießen, und Bekr, dem
Sohne Wails. Bekr ließ sich im nördlichsten Theile Mesopotamiens nieder,
dem Gebirgslande, das nach ihm den Namen erhielt. (Vgl. Hammer-
Purgstall, "Gesch. d. osm. Reiches", II, 455 u. ff.)
3 Ueber die heutige Stadt Ausführliches in unserer Schrift: "Die
Gebiete des Eufrat und Tigris etc.", Petermanns Mittheilungen, Ergänzhft.
Nr. 45, S. 20, 21.

Zur älteren Kurdengeſchichte. — Diarbekr. Selim I.
bekr nennen — woben nämlich Tradition und Legende Wunder-
bares und Geheimnißvolles in Hülle und Fülle, und obgleich
kurz vorher Merwan die feſte Stadt den Arabern weggenommen
hatte, ſo galt ſie dennoch als die widerſtandskräftigſte des ganzen
mohammedaniſchen Orients, wenn nicht gar als uneinnehmbar.
Man ſchrieb ihr ein Alter von 4000 Jahren zu und die confuſe
orientaliſche Geſchichtsſchreibung hat es glücklich dahin gebracht,
daß wir heute völlig unorientirt über die Zeit der Gründung
ſind, da ſeitdem beharrlich an der gänzlich unverbürgten Sage
feſtgehalten wurde, wie ſie die Perſer colportiren, nämlich an der
Gründung durch die Fürſtentochter Amid 1. Den Namen Diar-
bekr (Land des Bekr) hat ſie erſt von den Arabern bekommen 2.
Noch heute iſt der Anblick der Stadt impoſant, wenngleich nicht
ohne düſteren Eindruck. Die gewaltigen Baſaltmauern der
Feſtung und ihre viereckigen Thürme thronen muthmaßlich ſeit
ihrer erſten Anlage noch immer unzerſtört auf hoher Uferſtufe,
an der der pfeilſchnelle Tigris vorüberſtrömt. Die Mauern ſind
aus rieſigen Quaderblöcken aufgeführt 3. Temur, der auf ſeinem
Zuge kurz vorher die Wälle von Bagdad in Trümmer gelegt
hatte und dem die Thore Moſuls freiwillig ſich öffneten, nahm
auch Diarbekr mit Sturm, indem er die oberſte Quaderlage ein-
reißen ließ, was kaum für eine energiſche Vertheidigung der
Stadt ſpricht, die damals noch die Turkmenen-Dynaſtie der Orto-
kiden in Händen hatte. Der häufige Beſitzwechſel der Stadt
kann uns indeß nicht weiter beſchäftigen, für uns genügt, daß
die Stadt bereits ſeit dem Jahre 1085 nicht mehr kurdiſch war,
daß ſie aber 1515 den Perſern durch den Eroberer Syriens und
Egyptens, Selim I., den die Geſchichte berechtigterweiſe den

1 Otter, Voy. II, 273.
2 Die Araber theilten urſprünglich Meſopotamien nach drei Stamm-
vätern in ebenſoviele Theile oder Landſchaften (Diar). Dieſe drei waren
die beiden Söhne Neſars, die Rebia und Maſar hießen, und Bekr, dem
Sohne Wails. Bekr ließ ſich im nördlichſten Theile Meſopotamiens nieder,
dem Gebirgslande, das nach ihm den Namen erhielt. (Vgl. Hammer-
Purgſtall, „Geſch. d. osm. Reiches“, II, 455 u. ff.)
3 Ueber die heutige Stadt Ausführliches in unſerer Schrift: „Die
Gebiete des Eufrat und Tigris ꝛc.“, Petermanns Mittheilungen, Ergänzhft.
Nr. 45, S. 20, 21.
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[107/0139] Zur älteren Kurdengeſchichte. — Diarbekr. Selim I. bekr nennen — woben nämlich Tradition und Legende Wunder- bares und Geheimnißvolles in Hülle und Fülle, und obgleich kurz vorher Merwan die feſte Stadt den Arabern weggenommen hatte, ſo galt ſie dennoch als die widerſtandskräftigſte des ganzen mohammedaniſchen Orients, wenn nicht gar als uneinnehmbar. Man ſchrieb ihr ein Alter von 4000 Jahren zu und die confuſe orientaliſche Geſchichtsſchreibung hat es glücklich dahin gebracht, daß wir heute völlig unorientirt über die Zeit der Gründung ſind, da ſeitdem beharrlich an der gänzlich unverbürgten Sage feſtgehalten wurde, wie ſie die Perſer colportiren, nämlich an der Gründung durch die Fürſtentochter Amid 1. Den Namen Diar- bekr (Land des Bekr) hat ſie erſt von den Arabern bekommen 2. Noch heute iſt der Anblick der Stadt impoſant, wenngleich nicht ohne düſteren Eindruck. Die gewaltigen Baſaltmauern der Feſtung und ihre viereckigen Thürme thronen muthmaßlich ſeit ihrer erſten Anlage noch immer unzerſtört auf hoher Uferſtufe, an der der pfeilſchnelle Tigris vorüberſtrömt. Die Mauern ſind aus rieſigen Quaderblöcken aufgeführt 3. Temur, der auf ſeinem Zuge kurz vorher die Wälle von Bagdad in Trümmer gelegt hatte und dem die Thore Moſuls freiwillig ſich öffneten, nahm auch Diarbekr mit Sturm, indem er die oberſte Quaderlage ein- reißen ließ, was kaum für eine energiſche Vertheidigung der Stadt ſpricht, die damals noch die Turkmenen-Dynaſtie der Orto- kiden in Händen hatte. Der häufige Beſitzwechſel der Stadt kann uns indeß nicht weiter beſchäftigen, für uns genügt, daß die Stadt bereits ſeit dem Jahre 1085 nicht mehr kurdiſch war, daß ſie aber 1515 den Perſern durch den Eroberer Syriens und Egyptens, Selim I., den die Geſchichte berechtigterweiſe den 1 Otter, Voy. II, 273. 2 Die Araber theilten urſprünglich Meſopotamien nach drei Stamm- vätern in ebenſoviele Theile oder Landſchaften (Diar). Dieſe drei waren die beiden Söhne Neſars, die Rebia und Maſar hießen, und Bekr, dem Sohne Wails. Bekr ließ ſich im nördlichſten Theile Meſopotamiens nieder, dem Gebirgslande, das nach ihm den Namen erhielt. (Vgl. Hammer- Purgſtall, „Geſch. d. osm. Reiches“, II, 455 u. ff.) 3 Ueber die heutige Stadt Ausführliches in unſerer Schrift: „Die Gebiete des Eufrat und Tigris ꝛc.“, Petermanns Mittheilungen, Ergänzhft. Nr. 45, S. 20, 21.

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/139>, abgerufen am 23.11.2024.