Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwann, Theodor: Mikroskopische Untersuchungen über die Uebereinstimmung in der Struktur und dem Wachsthum der Thiere und Pflanzen. Berlin, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

sondern nur gewisse und zwar theils solche, die analog
mit der vorhandenen Substanz der Zelle sind (Assimilation),
theils solche, die chemisch davon verschieden sind. Durch
Assimilation wachsen die einzelnen Schichten, dagegen wird
bei der Bildung einer neuen Schichte Substanz angezogen,
die von der Substanz der vorigen Schichte verschieden
ist; denn Kernkörperchen, Kern und Zellenmembran be-
stehen aus chemisch verschiedenen Substanzen.

Diess sind die Eigenthümlichkeiten der plastischen Kraft
der Zellen, so weit sie sich bis jetzt aus den Beobachtun-
gen herleiten lassen. Die Aeusserungen dieser Kraft setzen
aber in den Zellen noch eine andere Fähigkeit voraus.
Das Cytoblastem, in dem sich Zellen bilden, enthält zwar
die Elemente der Stoffe, aus denen die Zelle zusammen-
gesetzt wird, aber in anderen Kombinationen; es ist keine
blosse Auflösung von Zellensubstanz, sondern enthält nur
bestimmte organische Substanz aufgelöst. Die Zellen zie-
hen daher nicht bloss Stoff aus dem Cytoblastem an, son-
dern sie müssen die Fähigkeit haben, die Bestandtheile
des Cytoblastems chemisch umzuwandeln. Ausserdem kön-
nen alle Theile der Zelle selbst während ihres Vegetations-
prozesses chemisch verändert werden. Die unbekannte
Ursache all dieser Erscheinungen, die wir unter dem Na-
men metabolische Erscheinungen der Zellen zusammenfas-
sen, wollen wir die metabolische Kraft nennen.

Zunächst lässt sich über diese Kraft nachweisen, dass
sie ein Attribut der Zellen selbst ist, und dass das Cyto-
blastem dabei passiv ist. Als Beispiel kann man hier die
Weingährung *) anführen. Ein Dekokt von Malz bleibt

*) Anmerkung: Ich habe es nicht vermeiden mögen, die
Gährung als Beispiel anzuführen, da sie die am genauesten be-
kannte Wirkung der Zellen ist, und am einfachsten den Prozess
darstellt, wie er sich im lebenden Körper an jeder Zelle wieder-
holt. Für diejenigen übrigens, welche die von Cagniard-La-
tour
und von mir aufgestellte Theorie der Gährung noch nicht
anerkennen, kann die Entwicklung aller einfachen Zellen, nament-
lich der Sporen, als Beispiel dienen, und es soll im Text aus
der Gährung kein Schluss gezogen werden, der sich nicht auch

sondern nur gewisse und zwar theils solche, die analog
mit der vorhandenen Substanz der Zelle sind (Assimilation),
theils solche, die chemisch davon verschieden sind. Durch
Assimilation wachsen die einzelnen Schichten, dagegen wird
bei der Bildung einer neuen Schichte Substanz angezogen,
die von der Substanz der vorigen Schichte verschieden
ist; denn Kernkörperchen, Kern und Zellenmembran be-
stehen aus chemisch verschiedenen Substanzen.

Dieſs sind die Eigenthümlichkeiten der plastischen Kraft
der Zellen, so weit sie sich bis jetzt aus den Beobachtun-
gen herleiten lassen. Die Aeuſserungen dieser Kraft setzen
aber in den Zellen noch eine andere Fähigkeit voraus.
Das Cytoblastem, in dem sich Zellen bilden, enthält zwar
die Elemente der Stoffe, aus denen die Zelle zusammen-
gesetzt wird, aber in anderen Kombinationen; es ist keine
bloſse Auflösung von Zellensubstanz, sondern enthält nur
bestimmte organische Substanz aufgelöst. Die Zellen zie-
hen daher nicht bloſs Stoff aus dem Cytoblastem an, son-
dern sie müssen die Fähigkeit haben, die Bestandtheile
des Cytoblastems chemisch umzuwandeln. Auſserdem kön-
nen alle Theile der Zelle selbst während ihres Vegetations-
prozesses chemisch verändert werden. Die unbekannte
Ursache all dieser Erscheinungen, die wir unter dem Na-
men metabolische Erscheinungen der Zellen zusammenfas-
sen, wollen wir die metabolische Kraft nennen.

Zunächst läſst sich über diese Kraft nachweisen, daſs
sie ein Attribut der Zellen selbst ist, und daſs das Cyto-
blastem dabei passiv ist. Als Beispiel kann man hier die
Weingährung *) anführen. Ein Dekokt von Malz bleibt

*) Anmerkung: Ich habe es nicht vermeiden mögen, die
Gährung als Beispiel anzuführen, da sie die am genauesten be-
kannte Wirkung der Zellen ist, und am einfachsten den Prozeſs
darstellt, wie er sich im lebenden Körper an jeder Zelle wieder-
holt. Für diejenigen übrigens, welche die von Cagniard-La-
tour
und von mir aufgestellte Theorie der Gährung noch nicht
anerkennen, kann die Entwicklung aller einfachen Zellen, nament-
lich der Sporen, als Beispiel dienen, und es soll im Text aus
der Gährung kein Schluſs gezogen werden, der sich nicht auch
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0258" n="234"/>
sondern nur gewisse und zwar theils solche, die analog<lb/>
mit der vorhandenen Substanz der Zelle sind (Assimilation),<lb/>
theils solche, die chemisch davon verschieden sind. Durch<lb/>
Assimilation wachsen die einzelnen Schichten, dagegen wird<lb/>
bei der Bildung einer neuen Schichte Substanz angezogen,<lb/>
die von der Substanz der vorigen Schichte verschieden<lb/>
ist; denn Kernkörperchen, Kern und Zellenmembran be-<lb/>
stehen aus chemisch verschiedenen Substanzen.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;s sind die Eigenthümlichkeiten der plastischen Kraft<lb/>
der Zellen, so weit sie sich bis jetzt aus den Beobachtun-<lb/>
gen herleiten lassen. Die Aeu&#x017F;serungen dieser Kraft setzen<lb/>
aber in den Zellen noch eine andere Fähigkeit voraus.<lb/>
Das Cytoblastem, in dem sich Zellen bilden, enthält zwar<lb/>
die Elemente der Stoffe, aus denen die Zelle zusammen-<lb/>
gesetzt wird, aber in anderen Kombinationen; es ist keine<lb/>
blo&#x017F;se Auflösung von Zellensubstanz, sondern enthält nur<lb/>
bestimmte organische Substanz aufgelöst. Die Zellen zie-<lb/>
hen daher nicht blo&#x017F;s Stoff aus dem Cytoblastem an, son-<lb/>
dern sie müssen die Fähigkeit haben, die Bestandtheile<lb/>
des Cytoblastems chemisch umzuwandeln. Au&#x017F;serdem kön-<lb/>
nen alle Theile der Zelle selbst während ihres Vegetations-<lb/>
prozesses chemisch verändert werden. Die unbekannte<lb/>
Ursache all dieser Erscheinungen, die wir unter dem Na-<lb/>
men metabolische Erscheinungen der Zellen zusammenfas-<lb/>
sen, wollen wir die <hi rendition="#g">metabolische Kraft</hi> nennen.</p><lb/>
          <p>Zunächst lä&#x017F;st sich über diese Kraft nachweisen, da&#x017F;s<lb/>
sie ein Attribut der Zellen selbst ist, und da&#x017F;s das Cyto-<lb/>
blastem dabei passiv ist. Als Beispiel kann man hier die<lb/>
Weingährung <note xml:id="seg2pn_3_1" next="#seg2pn_3_2" place="foot" n="*)"><hi rendition="#g">Anmerkung</hi>: Ich habe es nicht vermeiden mögen, die<lb/>
Gährung als Beispiel anzuführen, da sie die am genauesten be-<lb/>
kannte Wirkung der Zellen ist, und am einfachsten den Proze&#x017F;s<lb/>
darstellt, wie er sich im lebenden Körper an jeder Zelle wieder-<lb/>
holt. Für diejenigen übrigens, welche die von <hi rendition="#g">Cagniard-La-<lb/>
tour</hi> und von mir aufgestellte Theorie der Gährung noch nicht<lb/>
anerkennen, kann die Entwicklung aller einfachen Zellen, nament-<lb/>
lich der Sporen, als Beispiel dienen, und es soll im Text aus<lb/>
der Gährung kein Schlu&#x017F;s gezogen werden, der sich nicht auch</note> anführen. Ein Dekokt von Malz bleibt<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[234/0258] sondern nur gewisse und zwar theils solche, die analog mit der vorhandenen Substanz der Zelle sind (Assimilation), theils solche, die chemisch davon verschieden sind. Durch Assimilation wachsen die einzelnen Schichten, dagegen wird bei der Bildung einer neuen Schichte Substanz angezogen, die von der Substanz der vorigen Schichte verschieden ist; denn Kernkörperchen, Kern und Zellenmembran be- stehen aus chemisch verschiedenen Substanzen. Dieſs sind die Eigenthümlichkeiten der plastischen Kraft der Zellen, so weit sie sich bis jetzt aus den Beobachtun- gen herleiten lassen. Die Aeuſserungen dieser Kraft setzen aber in den Zellen noch eine andere Fähigkeit voraus. Das Cytoblastem, in dem sich Zellen bilden, enthält zwar die Elemente der Stoffe, aus denen die Zelle zusammen- gesetzt wird, aber in anderen Kombinationen; es ist keine bloſse Auflösung von Zellensubstanz, sondern enthält nur bestimmte organische Substanz aufgelöst. Die Zellen zie- hen daher nicht bloſs Stoff aus dem Cytoblastem an, son- dern sie müssen die Fähigkeit haben, die Bestandtheile des Cytoblastems chemisch umzuwandeln. Auſserdem kön- nen alle Theile der Zelle selbst während ihres Vegetations- prozesses chemisch verändert werden. Die unbekannte Ursache all dieser Erscheinungen, die wir unter dem Na- men metabolische Erscheinungen der Zellen zusammenfas- sen, wollen wir die metabolische Kraft nennen. Zunächst läſst sich über diese Kraft nachweisen, daſs sie ein Attribut der Zellen selbst ist, und daſs das Cyto- blastem dabei passiv ist. Als Beispiel kann man hier die Weingährung *) anführen. Ein Dekokt von Malz bleibt *) Anmerkung: Ich habe es nicht vermeiden mögen, die Gährung als Beispiel anzuführen, da sie die am genauesten be- kannte Wirkung der Zellen ist, und am einfachsten den Prozeſs darstellt, wie er sich im lebenden Körper an jeder Zelle wieder- holt. Für diejenigen übrigens, welche die von Cagniard-La- tour und von mir aufgestellte Theorie der Gährung noch nicht anerkennen, kann die Entwicklung aller einfachen Zellen, nament- lich der Sporen, als Beispiel dienen, und es soll im Text aus der Gährung kein Schluſs gezogen werden, der sich nicht auch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwann_mikroskopische_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwann_mikroskopische_1839/258
Zitationshilfe: Schwann, Theodor: Mikroskopische Untersuchungen über die Uebereinstimmung in der Struktur und dem Wachsthum der Thiere und Pflanzen. Berlin, 1839, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwann_mikroskopische_1839/258>, abgerufen am 24.11.2024.