Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

nus und sprach: "An mir soll der Verzug nicht liegen,
wenn nur die feigen Trojaner ihr gegebenes Wort nicht
brechen! Laß' Opferthiere herbeischaffen, Vater, und
schließe den Bund. Entweder schickt mein Arm heute
noch den asiatischen Flüchtling zum Orkus hinunter,
und rächt unsere Schande, oder ich erliege seinem Schwert
und er mag deine Tochter Lavinia als Gattin heimführen!"
Ihm antwortete Latinus mit ruhigem Herzen: "Je mehr
du an trotziger Tapferkeit Alle besiegest, hochherziger
Jüngling, desto mehr ist es meine Pflicht, dich zu be¬
rathen, und Glücksfälle des sorgfältig zu
überlegen! Von Daunus deinem Vater her ist ein
großes Reich dein, und du hast ihm manche Stadt
durch Eroberung hinzugefügt! Gold und Gunst wird dir
durch Latinus zu Theil. Latium hat noch genug andere
Bräute, die auch nicht unedlen Stammes sind. Laß
mich dir die ganze Wahrheit sagen, so schmerzlich sie
dir auch seyn mag. Einem von den vorigen Freiern
meine Tochter zu geben, verhinderte mich der Warnungs¬
spruch von Göttern und Menschen, dir zu Lieb aber,
getrieben durch die Verwandtschaft, durch die Thränen
meiner Gemahlin, überwand ich alle Zweifel, nahm
dich zum Eidam an, und habe mich in diesen ungeseg¬
neten Krieg eingelassen. Unser Schicksal siehest du. Du
allein stehest dem Frieden im Wege. Entsage meiner
Tochter und verlange nicht von mir, das erst auf den
zweifelhaften Ausgang eines Zweikampfes ankommen zu
lassen, was du mir sogleich als Gewißheit zu gewähren
vermagst! Denk' an das ungetreue Kriegsglück! Erbarme
dich auch deines bejahrten Vaters, den der Gram um
dich in deiner Vaterstadt Ardea verzehrt."

nus und ſprach: „An mir ſoll der Verzug nicht liegen,
wenn nur die feigen Trojaner ihr gegebenes Wort nicht
brechen! Laß' Opferthiere herbeiſchaffen, Vater, und
ſchließe den Bund. Entweder ſchickt mein Arm heute
noch den aſiatiſchen Flüchtling zum Orkus hinunter,
und rächt unſere Schande, oder ich erliege ſeinem Schwert
und er mag deine Tochter Lavinia als Gattin heimführen!“
Ihm antwortete Latinus mit ruhigem Herzen: „Je mehr
du an trotziger Tapferkeit Alle beſiegeſt, hochherziger
Jüngling, deſto mehr iſt es meine Pflicht, dich zu be¬
rathen, und Glücksfälle des ſorgfältig zu
überlegen! Von Daunus deinem Vater her iſt ein
großes Reich dein, und du haſt ihm manche Stadt
durch Eroberung hinzugefügt! Gold und Gunſt wird dir
durch Latinus zu Theil. Latium hat noch genug andere
Bräute, die auch nicht unedlen Stammes ſind. Laß
mich dir die ganze Wahrheit ſagen, ſo ſchmerzlich ſie
dir auch ſeyn mag. Einem von den vorigen Freiern
meine Tochter zu geben, verhinderte mich der Warnungs¬
ſpruch von Göttern und Menſchen, dir zu Lieb aber,
getrieben durch die Verwandtſchaft, durch die Thränen
meiner Gemahlin, überwand ich alle Zweifel, nahm
dich zum Eidam an, und habe mich in dieſen ungeſeg¬
neten Krieg eingelaſſen. Unſer Schickſal ſieheſt du. Du
allein ſteheſt dem Frieden im Wege. Entſage meiner
Tochter und verlange nicht von mir, das erſt auf den
zweifelhaften Ausgang eines Zweikampfes ankommen zu
laſſen, was du mir ſogleich als Gewißheit zu gewähren
vermagſt! Denk' an das ungetreue Kriegsglück! Erbarme
dich auch deines bejahrten Vaters, den der Gram um
dich in deiner Vaterſtadt Ardea verzehrt.“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0443" n="421"/>
nus und &#x017F;prach: &#x201E;An mir &#x017F;oll der Verzug nicht liegen,<lb/>
wenn nur die feigen Trojaner ihr gegebenes Wort nicht<lb/>
brechen! Laß' Opferthiere herbei&#x017F;chaffen, Vater, und<lb/>
&#x017F;chließe den Bund. Entweder &#x017F;chickt mein Arm heute<lb/>
noch den a&#x017F;iati&#x017F;chen Flüchtling zum Orkus hinunter,<lb/>
und rächt un&#x017F;ere Schande, oder ich erliege &#x017F;einem Schwert<lb/>
und er mag deine Tochter Lavinia als Gattin heimführen!&#x201C;<lb/>
Ihm antwortete Latinus mit ruhigem Herzen: &#x201E;Je mehr<lb/>
du an trotziger Tapferkeit Alle be&#x017F;iege&#x017F;t, hochherziger<lb/>
Jüngling, de&#x017F;to mehr i&#x017F;t es meine Pflicht, dich zu be¬<lb/>
rathen, und Glücksfälle des &#x017F;orgfältig zu<lb/>
überlegen! Von Daunus deinem Vater her i&#x017F;t ein<lb/>
großes Reich dein, und du ha&#x017F;t ihm manche Stadt<lb/>
durch Eroberung hinzugefügt! Gold und Gun&#x017F;t wird dir<lb/>
durch Latinus zu Theil. Latium hat noch genug andere<lb/>
Bräute, die auch nicht unedlen Stammes &#x017F;ind. Laß<lb/>
mich dir die ganze Wahrheit &#x017F;agen, &#x017F;o &#x017F;chmerzlich &#x017F;ie<lb/>
dir auch &#x017F;eyn mag. Einem von den vorigen Freiern<lb/>
meine Tochter zu geben, verhinderte mich der Warnungs¬<lb/>
&#x017F;pruch von Göttern und Men&#x017F;chen, dir zu Lieb aber,<lb/>
getrieben durch die Verwandt&#x017F;chaft, durch die Thränen<lb/>
meiner Gemahlin, überwand ich alle Zweifel, nahm<lb/>
dich zum Eidam an, und habe mich in die&#x017F;en unge&#x017F;eg¬<lb/>
neten Krieg eingela&#x017F;&#x017F;en. Un&#x017F;er Schick&#x017F;al &#x017F;iehe&#x017F;t du. Du<lb/>
allein &#x017F;tehe&#x017F;t dem Frieden im Wege. Ent&#x017F;age meiner<lb/>
Tochter und verlange nicht von mir, das er&#x017F;t auf den<lb/>
zweifelhaften Ausgang eines Zweikampfes ankommen zu<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en, was du mir &#x017F;ogleich als Gewißheit zu gewähren<lb/>
vermag&#x017F;t! Denk' an das ungetreue Kriegsglück! Erbarme<lb/>
dich auch deines bejahrten Vaters, den der Gram um<lb/>
dich in deiner Vater&#x017F;tadt Ardea verzehrt.&#x201C;<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[421/0443] nus und ſprach: „An mir ſoll der Verzug nicht liegen, wenn nur die feigen Trojaner ihr gegebenes Wort nicht brechen! Laß' Opferthiere herbeiſchaffen, Vater, und ſchließe den Bund. Entweder ſchickt mein Arm heute noch den aſiatiſchen Flüchtling zum Orkus hinunter, und rächt unſere Schande, oder ich erliege ſeinem Schwert und er mag deine Tochter Lavinia als Gattin heimführen!“ Ihm antwortete Latinus mit ruhigem Herzen: „Je mehr du an trotziger Tapferkeit Alle beſiegeſt, hochherziger Jüngling, deſto mehr iſt es meine Pflicht, dich zu be¬ rathen, und Glücksfälle des ſorgfältig zu überlegen! Von Daunus deinem Vater her iſt ein großes Reich dein, und du haſt ihm manche Stadt durch Eroberung hinzugefügt! Gold und Gunſt wird dir durch Latinus zu Theil. Latium hat noch genug andere Bräute, die auch nicht unedlen Stammes ſind. Laß mich dir die ganze Wahrheit ſagen, ſo ſchmerzlich ſie dir auch ſeyn mag. Einem von den vorigen Freiern meine Tochter zu geben, verhinderte mich der Warnungs¬ ſpruch von Göttern und Menſchen, dir zu Lieb aber, getrieben durch die Verwandtſchaft, durch die Thränen meiner Gemahlin, überwand ich alle Zweifel, nahm dich zum Eidam an, und habe mich in dieſen ungeſeg¬ neten Krieg eingelaſſen. Unſer Schickſal ſieheſt du. Du allein ſteheſt dem Frieden im Wege. Entſage meiner Tochter und verlange nicht von mir, das erſt auf den zweifelhaften Ausgang eines Zweikampfes ankommen zu laſſen, was du mir ſogleich als Gewißheit zu gewähren vermagſt! Denk' an das ungetreue Kriegsglück! Erbarme dich auch deines bejahrten Vaters, den der Gram um dich in deiner Vaterſtadt Ardea verzehrt.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/443
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 421. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/443>, abgerufen am 22.11.2024.