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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

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Aber um dieselbe Zeit zogen aus der Latinerstraße
dreihundert Reiter mit Schilden unter ihrem Führer
Volscens, welche dem Fürsten Turnus Botschaft vom
Könige zu bringen hatten, dieser Straße. Sie waren
schon ganz nahe am Lagerwall, als sie von ferne die
beiden eilenden Gestalten bemerkten, und im dämmernden
Frührothe den unbesorgten Euryalus der erbeutete Helm
mit seinem tückischen Schimmer verrieth. "Bewaffnete
Männer," schrie Volscens bei diesem Anblicke, "wo
eilet ihr hin?" Jene antworteten nicht, sondern flüch¬
teten sich in den Wald, und vertrauten auf die Däm¬
merung. Aber die Reiter, der Nebenwege kundig, warfen
sich in das Gehölz, und versperrten alle Ausgänge mit
Wachen. Der Wald war mit dichten Eichen und wil¬
den Gesträuchen bewachsen, und kaum sichtbar schimmerte
der Fußpfad durch das Dickicht. Den Euryalus hemmte
die Beute, und die Furcht täuschte ihn über die Rich¬
tung des Weges. Nisus aber entkam glücklich aus dem
Wald, und eilte schon sorglos auf die Seen zu, die
später den Namen Albanersee erhielten. Jetzt erst stand
er stille, und sah sich vergebens nach dem fehlenden
Freunde um. "Euryalus," rief er wehklagend, "wo
bist du, Armer, wo find' ich dich?" und nun warf er
sich aufs Neue in den verworrenen Wald. Dort ver¬
nahm er bald Rossegestampf, Lärm, und die Trompeten
der Nachhut, und es währte nicht lange, so ward er
das ganze Reitergeschwader ansichtig, das den über¬
mannten Euryalus mit sich fortschleppte. Was sollte er
thun? welche Hoffnung war, den armen Jüngling zu
befreien? sollte er sie aufgeben, und sich den Tod in den
starrenden Schwertern suchen? Er hielt inne, dann drehte

Aber um dieſelbe Zeit zogen aus der Latinerſtraße
dreihundert Reiter mit Schilden unter ihrem Führer
Volſcens, welche dem Fürſten Turnus Botſchaft vom
Könige zu bringen hatten, dieſer Straße. Sie waren
ſchon ganz nahe am Lagerwall, als ſie von ferne die
beiden eilenden Geſtalten bemerkten, und im dämmernden
Frührothe den unbeſorgten Euryalus der erbeutete Helm
mit ſeinem tückiſchen Schimmer verrieth. „Bewaffnete
Männer,“ ſchrie Volſcens bei dieſem Anblicke, „wo
eilet ihr hin?“ Jene antworteten nicht, ſondern flüch¬
teten ſich in den Wald, und vertrauten auf die Däm¬
merung. Aber die Reiter, der Nebenwege kundig, warfen
ſich in das Gehölz, und verſperrten alle Ausgänge mit
Wachen. Der Wald war mit dichten Eichen und wil¬
den Geſträuchen bewachſen, und kaum ſichtbar ſchimmerte
der Fußpfad durch das Dickicht. Den Euryalus hemmte
die Beute, und die Furcht täuſchte ihn über die Rich¬
tung des Weges. Niſus aber entkam glücklich aus dem
Wald, und eilte ſchon ſorglos auf die Seen zu, die
ſpäter den Namen Albanerſee erhielten. Jetzt erſt ſtand
er ſtille, und ſah ſich vergebens nach dem fehlenden
Freunde um. „Euryalus,“ rief er wehklagend, „wo
biſt du, Armer, wo find' ich dich?“ und nun warf er
ſich aufs Neue in den verworrenen Wald. Dort ver¬
nahm er bald Roſſegeſtampf, Lärm, und die Trompeten
der Nachhut, und es währte nicht lange, ſo ward er
das ganze Reitergeſchwader anſichtig, das den über¬
mannten Euryalus mit ſich fortſchleppte. Was ſollte er
thun? welche Hoffnung war, den armen Jüngling zu
befreien? ſollte er ſie aufgeben, und ſich den Tod in den
ſtarrenden Schwertern ſuchen? Er hielt inne, dann drehte

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[380/0402] Aber um dieſelbe Zeit zogen aus der Latinerſtraße dreihundert Reiter mit Schilden unter ihrem Führer Volſcens, welche dem Fürſten Turnus Botſchaft vom Könige zu bringen hatten, dieſer Straße. Sie waren ſchon ganz nahe am Lagerwall, als ſie von ferne die beiden eilenden Geſtalten bemerkten, und im dämmernden Frührothe den unbeſorgten Euryalus der erbeutete Helm mit ſeinem tückiſchen Schimmer verrieth. „Bewaffnete Männer,“ ſchrie Volſcens bei dieſem Anblicke, „wo eilet ihr hin?“ Jene antworteten nicht, ſondern flüch¬ teten ſich in den Wald, und vertrauten auf die Däm¬ merung. Aber die Reiter, der Nebenwege kundig, warfen ſich in das Gehölz, und verſperrten alle Ausgänge mit Wachen. Der Wald war mit dichten Eichen und wil¬ den Geſträuchen bewachſen, und kaum ſichtbar ſchimmerte der Fußpfad durch das Dickicht. Den Euryalus hemmte die Beute, und die Furcht täuſchte ihn über die Rich¬ tung des Weges. Niſus aber entkam glücklich aus dem Wald, und eilte ſchon ſorglos auf die Seen zu, die ſpäter den Namen Albanerſee erhielten. Jetzt erſt ſtand er ſtille, und ſah ſich vergebens nach dem fehlenden Freunde um. „Euryalus,“ rief er wehklagend, „wo biſt du, Armer, wo find' ich dich?“ und nun warf er ſich aufs Neue in den verworrenen Wald. Dort ver¬ nahm er bald Roſſegeſtampf, Lärm, und die Trompeten der Nachhut, und es währte nicht lange, ſo ward er das ganze Reitergeſchwader anſichtig, das den über¬ mannten Euryalus mit ſich fortſchleppte. Was ſollte er thun? welche Hoffnung war, den armen Jüngling zu befreien? ſollte er ſie aufgeben, und ſich den Tod in den ſtarrenden Schwertern ſuchen? Er hielt inne, dann drehte

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/402>, abgerufen am 22.11.2024.