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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

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So gewaffnet wurden sie von allen Edeln, Jüng¬
lingen und Greisen, bis ans Thor begleitet. Bald wa¬
ren sie über die Gräben hinaus, und kamen im Dunkel
der Nacht an die schlafenden Posten der Rutuler. Diese
lagen voll Trunks und Schlafes, zerstreut auf dem Ra¬
sen, zwischen Wagenrädern, Riemen und umherlie¬
genden Waffen. "Die Gelegenheit ruft," sprach Nisus
leise zu seinem jungen Freund, "halte du mir den Rücken
frei, ich will dir aufräumen, und uns eine Gasse machen."
Während er so mit gedämpfter Stimme sprach, hieb er
den ersten Wächter, den Vogelschauer des Königs Tur¬
nus, Rhamnes, der aus voller Kehle schnarchend dalag,
sammt drei sorglosen Knechten nieder; dann den Waffen¬
träger des Remus, den er mitten unter seinen Rossen
überraschte, und ihm den gesenkten Hals abhieb, und
dann den Herrn selbst. Auch Euryalus war nicht müßig;
beide tobten wie Löwen in den Hürden, und richteten
ein furchtbares Gemetzel unter den Wächtern an. Ja,
Euryalus drang schon bis zu den Wachtfeuern des Ru¬
tulerfeldherrn Messapus vor, die im Verglimmen waren,
und dessen angebundene Wagenrosse gemächlich das Gras
abweideten. Aber Nisus rief ihn zurück. "Siehst du
nicht," sprach er warnend, "daß das Morgenlicht schon
anzubrechen droht? Rache ist ja geübt und Bahn ge¬
brochen." So ließen sie auch alle Beute liegen, und
Euryalus nahm nur den Pferdeschmuck des Rhamnes
mit, und schlang sich seinen Schwertgurt um die Schul¬
ter; auch setzte er sich freudig den bebuschten Helm des
Messapus aufs Haupt, den er bei den vordersten Wacht¬
feuern aufgelesen, und der ihm gerade paßte. Darauf
verließen sie das feindliche Lager, und gewannen das Freie.

So gewaffnet wurden ſie von allen Edeln, Jüng¬
lingen und Greiſen, bis ans Thor begleitet. Bald wa¬
ren ſie über die Gräben hinaus, und kamen im Dunkel
der Nacht an die ſchlafenden Poſten der Rutuler. Dieſe
lagen voll Trunks und Schlafes, zerſtreut auf dem Ra¬
ſen, zwiſchen Wagenrädern, Riemen und umherlie¬
genden Waffen. „Die Gelegenheit ruft,“ ſprach Niſus
leiſe zu ſeinem jungen Freund, „halte du mir den Rücken
frei, ich will dir aufräumen, und uns eine Gaſſe machen.“
Während er ſo mit gedämpfter Stimme ſprach, hieb er
den erſten Wächter, den Vogelſchauer des Königs Tur¬
nus, Rhamnes, der aus voller Kehle ſchnarchend dalag,
ſammt drei ſorgloſen Knechten nieder; dann den Waffen¬
träger des Remus, den er mitten unter ſeinen Roſſen
überraſchte, und ihm den geſenkten Hals abhieb, und
dann den Herrn ſelbſt. Auch Euryalus war nicht müßig;
beide tobten wie Löwen in den Hürden, und richteten
ein furchtbares Gemetzel unter den Wächtern an. Ja,
Euryalus drang ſchon bis zu den Wachtfeuern des Ru¬
tulerfeldherrn Meſſapus vor, die im Verglimmen waren,
und deſſen angebundene Wagenroſſe gemächlich das Gras
abweideten. Aber Niſus rief ihn zurück. „Siehſt du
nicht,“ ſprach er warnend, „daß das Morgenlicht ſchon
anzubrechen droht? Rache iſt ja geübt und Bahn ge¬
brochen.“ So ließen ſie auch alle Beute liegen, und
Euryalus nahm nur den Pferdeſchmuck des Rhamnes
mit, und ſchlang ſich ſeinen Schwertgurt um die Schul¬
ter; auch ſetzte er ſich freudig den bebuſchten Helm des
Meſſapus aufs Haupt, den er bei den vorderſten Wacht¬
feuern aufgeleſen, und der ihm gerade paßte. Darauf
verließen ſie das feindliche Lager, und gewannen das Freie.

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[379/0401] So gewaffnet wurden ſie von allen Edeln, Jüng¬ lingen und Greiſen, bis ans Thor begleitet. Bald wa¬ ren ſie über die Gräben hinaus, und kamen im Dunkel der Nacht an die ſchlafenden Poſten der Rutuler. Dieſe lagen voll Trunks und Schlafes, zerſtreut auf dem Ra¬ ſen, zwiſchen Wagenrädern, Riemen und umherlie¬ genden Waffen. „Die Gelegenheit ruft,“ ſprach Niſus leiſe zu ſeinem jungen Freund, „halte du mir den Rücken frei, ich will dir aufräumen, und uns eine Gaſſe machen.“ Während er ſo mit gedämpfter Stimme ſprach, hieb er den erſten Wächter, den Vogelſchauer des Königs Tur¬ nus, Rhamnes, der aus voller Kehle ſchnarchend dalag, ſammt drei ſorgloſen Knechten nieder; dann den Waffen¬ träger des Remus, den er mitten unter ſeinen Roſſen überraſchte, und ihm den geſenkten Hals abhieb, und dann den Herrn ſelbſt. Auch Euryalus war nicht müßig; beide tobten wie Löwen in den Hürden, und richteten ein furchtbares Gemetzel unter den Wächtern an. Ja, Euryalus drang ſchon bis zu den Wachtfeuern des Ru¬ tulerfeldherrn Meſſapus vor, die im Verglimmen waren, und deſſen angebundene Wagenroſſe gemächlich das Gras abweideten. Aber Niſus rief ihn zurück. „Siehſt du nicht,“ ſprach er warnend, „daß das Morgenlicht ſchon anzubrechen droht? Rache iſt ja geübt und Bahn ge¬ brochen.“ So ließen ſie auch alle Beute liegen, und Euryalus nahm nur den Pferdeſchmuck des Rhamnes mit, und ſchlang ſich ſeinen Schwertgurt um die Schul¬ ter; auch ſetzte er ſich freudig den bebuſchten Helm des Meſſapus aufs Haupt, den er bei den vorderſten Wacht¬ feuern aufgeleſen, und der ihm gerade paßte. Darauf verließen ſie das feindliche Lager, und gewannen das Freie.

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/401>, abgerufen am 16.06.2024.