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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

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Wellen schaudernd vom Meere zurück. Nur der tollkühne
Turnus ließ die Hoffnung noch nicht fahren. "Merket
ihr nicht, Freunde!" sprach er, "daß dieses Wunder
allein gegen die Trojaner gerichtet ist? Jupiter selbst hat
ihnen ihre Hülfe entrissen, alle Hoffnung zur Heimkehr
ist ihnen mit der Verwandlung ihrer Schiffe abgeschnitten,
und die Rutuler brauchen keine Feuerbrände mehr! Das
Land aber ist in unsern Händen. Tausende in ganz
Italien waffnen sich für uns. Mich ängstigen keine
Göttersprüche und Verheißungen, deren sie sich rühmen.
Auch mir ist mein Schicksal bestimmt, und es lautet auf
Vertilgung dieses verruchten Geschlechtes mit dem
Schwerte!"

Auch mit der That blieb Turnus so unverdrossen,
wie mit dem Worte. Dem Messapus wurde das Ge¬
schäft übertragen, die Thore mit Kriegern zu umstellen,
und die Wälle rings mit Feuern zu umzingeln, und
unter ihm versahen unter vierzehn auserlesenen Haupt¬
leuten je hundert Jünglinge, schimmernd von Gold und
mit rothbebuschten Helmen, den Dienst. Diese machten
einander ablösend die Runde und die Feiernden lagerten
sich ins Gras und thaten sich beim Weinkruge gütlich.
Die Trojaner von ihren Wällen herab schauten dieses
und hielten die Zinnen auf's vorsichtigste mit Bewaff¬
neten besetzt. Nicht ohne Besorgniß umwandelten sie die
Thore, versahen die Bollwerke mit Brücken, und brach¬
ten den nöthigen Vorrath von Geschoßen herbei. Das
Ganze leitete Mnestheus und Serestus, welche Aeneas
vor seiner Abfahrt über das Lager gesetzt hatte. Und so
wachte denn das ganze Heer innerhalb der Lagermauern.


Wellen ſchaudernd vom Meere zurück. Nur der tollkühne
Turnus ließ die Hoffnung noch nicht fahren. „Merket
ihr nicht, Freunde!“ ſprach er, „daß dieſes Wunder
allein gegen die Trojaner gerichtet iſt? Jupiter ſelbſt hat
ihnen ihre Hülfe entriſſen, alle Hoffnung zur Heimkehr
iſt ihnen mit der Verwandlung ihrer Schiffe abgeſchnitten,
und die Rutuler brauchen keine Feuerbrände mehr! Das
Land aber iſt in unſern Händen. Tauſende in ganz
Italien waffnen ſich für uns. Mich ängſtigen keine
Götterſprüche und Verheißungen, deren ſie ſich rühmen.
Auch mir iſt mein Schickſal beſtimmt, und es lautet auf
Vertilgung dieſes verruchten Geſchlechtes mit dem
Schwerte!“

Auch mit der That blieb Turnus ſo unverdroſſen,
wie mit dem Worte. Dem Meſſapus wurde das Ge¬
ſchäft übertragen, die Thore mit Kriegern zu umſtellen,
und die Wälle rings mit Feuern zu umzingeln, und
unter ihm verſahen unter vierzehn auserleſenen Haupt¬
leuten je hundert Jünglinge, ſchimmernd von Gold und
mit rothbebuſchten Helmen, den Dienſt. Dieſe machten
einander ablöſend die Runde und die Feiernden lagerten
ſich ins Gras und thaten ſich beim Weinkruge gütlich.
Die Trojaner von ihren Wällen herab ſchauten dieſes
und hielten die Zinnen auf's vorſichtigſte mit Bewaff¬
neten beſetzt. Nicht ohne Beſorgniß umwandelten ſie die
Thore, verſahen die Bollwerke mit Brücken, und brach¬
ten den nöthigen Vorrath von Geſchoßen herbei. Das
Ganze leitete Mneſtheus und Sereſtus, welche Aeneas
vor ſeiner Abfahrt über das Lager geſetzt hatte. Und ſo
wachte denn das ganze Heer innerhalb der Lagermauern.


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[374/0396] Wellen ſchaudernd vom Meere zurück. Nur der tollkühne Turnus ließ die Hoffnung noch nicht fahren. „Merket ihr nicht, Freunde!“ ſprach er, „daß dieſes Wunder allein gegen die Trojaner gerichtet iſt? Jupiter ſelbſt hat ihnen ihre Hülfe entriſſen, alle Hoffnung zur Heimkehr iſt ihnen mit der Verwandlung ihrer Schiffe abgeſchnitten, und die Rutuler brauchen keine Feuerbrände mehr! Das Land aber iſt in unſern Händen. Tauſende in ganz Italien waffnen ſich für uns. Mich ängſtigen keine Götterſprüche und Verheißungen, deren ſie ſich rühmen. Auch mir iſt mein Schickſal beſtimmt, und es lautet auf Vertilgung dieſes verruchten Geſchlechtes mit dem Schwerte!“ Auch mit der That blieb Turnus ſo unverdroſſen, wie mit dem Worte. Dem Meſſapus wurde das Ge¬ ſchäft übertragen, die Thore mit Kriegern zu umſtellen, und die Wälle rings mit Feuern zu umzingeln, und unter ihm verſahen unter vierzehn auserleſenen Haupt¬ leuten je hundert Jünglinge, ſchimmernd von Gold und mit rothbebuſchten Helmen, den Dienſt. Dieſe machten einander ablöſend die Runde und die Feiernden lagerten ſich ins Gras und thaten ſich beim Weinkruge gütlich. Die Trojaner von ihren Wällen herab ſchauten dieſes und hielten die Zinnen auf's vorſichtigſte mit Bewaff¬ neten beſetzt. Nicht ohne Beſorgniß umwandelten ſie die Thore, verſahen die Bollwerke mit Brücken, und brach¬ ten den nöthigen Vorrath von Geſchoßen herbei. Das Ganze leitete Mneſtheus und Sereſtus, welche Aeneas vor ſeiner Abfahrt über das Lager geſetzt hatte. Und ſo wachte denn das ganze Heer innerhalb der Lagermauern.

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/396>, abgerufen am 22.11.2024.