dieselbe in Thränen fand, "starb denn dir allein der Vater? hat denn kein Sterblicher zu trauern als du? Möchtest du doch in deinem thörichten Jammer schmählich vergehen!" Zuweilen ward ihr böses Gewissen durch ein eitles Gerücht aufgeschreckt, als sey Orestes aus der Fremde im Anzug; dann wüthete sie am rückhaltlosesten gegen die unglückliche Tochter. "Nun, wäre es nicht deine Schuld," rief sie ihr zu, "wenn er käme? Bist nicht du es, die ihn aus meiner Hand hinweggestohlen und heimlich davongeschickt hat? Doch wirst du dich deiner Anschläge nicht freuen; der verdiente Lohn ereilt dich, ehe du es denkst!" In solchen Scheltworten stand ihr dann der verworfene Gatte Aegisthus bei, und vor beider Flüchen verbarg sich Elektra in die dunkelste Kammer des Hauses.
Jahre waren so dahingeschwunden, während welcher sie unaufhörlich auf die Erscheinung ihres Bruders Orestes harrte, denn dieser hatte bei seiner Flucht, so jung er war, doch der Schwester das Versprechen hinterlassen, zur rechten Zeit, wenn er Manneskraft in seinem Arme mitbringen könnte, da zu seyn. Jetzt aber zögerte der längst herangereifte Jüngling so lange, und die nahen wie die fernen Hoffnungen erloschen allmählig in dem trostlosen Herzen der trauernden Jungfrau.
Bei ihrer jüngeren Schwester Chrysothemis, die nun auch längst herangewachsen war, aber nicht das männliche Gemüth Elektra's besaß, fand die treue Toch¬ ter Agamemnons keine Unterstützung ihrer Plane, und wenig Trost in ihrem Schmerz. Doch geschah dieß nicht aus Gefühllosigkeit, sondern nur aus Schwäche des weiblichen Herzens. Chrysothemis gehorchte der
dieſelbe in Thränen fand, „ſtarb denn dir allein der Vater? hat denn kein Sterblicher zu trauern als du? Möchteſt du doch in deinem thörichten Jammer ſchmählich vergehen!“ Zuweilen ward ihr böſes Gewiſſen durch ein eitles Gerücht aufgeſchreckt, als ſey Oreſtes aus der Fremde im Anzug; dann wüthete ſie am rückhaltloſeſten gegen die unglückliche Tochter. „Nun, wäre es nicht deine Schuld,“ rief ſie ihr zu, „wenn er käme? Biſt nicht du es, die ihn aus meiner Hand hinweggeſtohlen und heimlich davongeſchickt hat? Doch wirſt du dich deiner Anſchläge nicht freuen; der verdiente Lohn ereilt dich, ehe du es denkſt!“ In ſolchen Scheltworten ſtand ihr dann der verworfene Gatte Aegiſthus bei, und vor beider Flüchen verbarg ſich Elektra in die dunkelſte Kammer des Hauſes.
Jahre waren ſo dahingeſchwunden, während welcher ſie unaufhörlich auf die Erſcheinung ihres Bruders Oreſtes harrte, denn dieſer hatte bei ſeiner Flucht, ſo jung er war, doch der Schweſter das Verſprechen hinterlaſſen, zur rechten Zeit, wenn er Manneskraft in ſeinem Arme mitbringen könnte, da zu ſeyn. Jetzt aber zögerte der längſt herangereifte Jüngling ſo lange, und die nahen wie die fernen Hoffnungen erloſchen allmählig in dem troſtloſen Herzen der trauernden Jungfrau.
Bei ihrer jüngeren Schweſter Chryſothemis, die nun auch längſt herangewachſen war, aber nicht das männliche Gemüth Elektra's beſaß, fand die treue Toch¬ ter Agamemnons keine Unterſtützung ihrer Plane, und wenig Troſt in ihrem Schmerz. Doch geſchah dieß nicht aus Gefühlloſigkeit, ſondern nur aus Schwäche des weiblichen Herzens. Chryſothemis gehorchte der
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dieſelbe in Thränen fand, „ſtarb denn dir allein der
Vater? hat denn kein Sterblicher zu trauern als du?
Möchteſt du doch in deinem thörichten Jammer ſchmählich
vergehen!“ Zuweilen ward ihr böſes Gewiſſen durch ein
eitles Gerücht aufgeſchreckt, als ſey Oreſtes aus der
Fremde im Anzug; dann wüthete ſie am rückhaltloſeſten
gegen die unglückliche Tochter. „Nun, wäre es nicht
deine Schuld,“ rief ſie ihr zu, „wenn er käme? Biſt
nicht du es, die ihn aus meiner Hand hinweggeſtohlen
und heimlich davongeſchickt hat? Doch wirſt du dich deiner
Anſchläge nicht freuen; der verdiente Lohn ereilt dich,
ehe du es denkſt!“ In ſolchen Scheltworten ſtand ihr
dann der verworfene Gatte Aegiſthus bei, und vor beider
Flüchen verbarg ſich Elektra in die dunkelſte Kammer
des Hauſes.
Jahre waren ſo dahingeſchwunden, während welcher
ſie unaufhörlich auf die Erſcheinung ihres Bruders Oreſtes
harrte, denn dieſer hatte bei ſeiner Flucht, ſo jung er
war, doch der Schweſter das Verſprechen hinterlaſſen,
zur rechten Zeit, wenn er Manneskraft in ſeinem Arme
mitbringen könnte, da zu ſeyn. Jetzt aber zögerte der
längſt herangereifte Jüngling ſo lange, und die nahen
wie die fernen Hoffnungen erloſchen allmählig in dem
troſtloſen Herzen der trauernden Jungfrau.
Bei ihrer jüngeren Schweſter Chryſothemis, die
nun auch längſt herangewachſen war, aber nicht das
männliche Gemüth Elektra's beſaß, fand die treue Toch¬
ter Agamemnons keine Unterſtützung ihrer Plane, und
wenig Troſt in ihrem Schmerz. Doch geſchah dieß
nicht aus Gefühlloſigkeit, ſondern nur aus Schwäche
des weiblichen Herzens. Chryſothemis gehorchte der
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/37>, abgerufen am 23.11.2024.
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