Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Jetzt erst erkannte Dido den Willen des Schicksals
und wünschte sich den Tod; ja, sie mochte den Himmel
über sich nicht mehr sehen. Noch mehr bestärkte sie in
ihrem Entschlusse zu sterben, das schreckliche Zeichen, das
ihr der Himmel beim neuesten Opfer vor Augen stellte,
wo der aus der Schaale gegossene helle Wein sich in
schwarzes Blut verwandelte. Dieses Vorzeichen erzählte
sie Niemand, selbst der Schwester nicht. Seitdem dachte
sie nur darauf, wie sie alle die Ihrigen täuschen und
sich auf die sicherste Weise den Untergang bereiten könnte.
Deßwegen trat sie mit heiterer Miene, Hoffnung in den
Augen und das gräßliche Vorhaben sorgfältig verbergend,
vor die Schwester und sprach: "Preise mich glücklich,
liebe Anna! Ich habe ein Mittel gefunden, das mir den
Treulosen entweder zurückgeben, oder mich von meiner
Liebe befreien muß. Eine Aethioperin, die in den Hes¬
peridengärten des Tempels dieser Göttinnen pflegt, ist
hier und verspricht mir durch ihren Zaubergesang, ent¬
weder das Herz des Geliebten zu gewinnen, oder mein
eigenes der Liebe los und ledig zu machen. Sie hat
aber dazu gewisse Gebräuche vorgeschrieben: nun nehme
ich selbst in einer Sache, die mich so nahe betrifft, nicht
gerne meine Zuflucht zu magischen Künsten, deßwegen
beschwöre ich dich, liebste Schwester, errichte mir, wie
die Zauberin vorgeschrieben, im innern Schloßhofe heim¬
lich einen Scheiterhaufen, lege darauf die Waffen des
ungetreuen Mannes, die er in seinem Gemache zurück¬
gelassen hat, seine Gewande, die Betten seines Lagers.
Alle Ueberbleibsel des Schändlichen möchte ich vertilgen
und überdem ordnet es die Priesterin so an."

Dido sprach und verstummte, indem Todtenblässe

Jetzt erſt erkannte Dido den Willen des Schickſals
und wünſchte ſich den Tod; ja, ſie mochte den Himmel
über ſich nicht mehr ſehen. Noch mehr beſtärkte ſie in
ihrem Entſchluſſe zu ſterben, das ſchreckliche Zeichen, das
ihr der Himmel beim neueſten Opfer vor Augen ſtellte,
wo der aus der Schaale gegoſſene helle Wein ſich in
ſchwarzes Blut verwandelte. Dieſes Vorzeichen erzählte
ſie Niemand, ſelbſt der Schweſter nicht. Seitdem dachte
ſie nur darauf, wie ſie alle die Ihrigen täuſchen und
ſich auf die ſicherſte Weiſe den Untergang bereiten könnte.
Deßwegen trat ſie mit heiterer Miene, Hoffnung in den
Augen und das gräßliche Vorhaben ſorgfältig verbergend,
vor die Schweſter und ſprach: „Preiſe mich glücklich,
liebe Anna! Ich habe ein Mittel gefunden, das mir den
Treuloſen entweder zurückgeben, oder mich von meiner
Liebe befreien muß. Eine Aethioperin, die in den Heſ¬
peridengärten des Tempels dieſer Göttinnen pflegt, iſt
hier und verſpricht mir durch ihren Zaubergeſang, ent¬
weder das Herz des Geliebten zu gewinnen, oder mein
eigenes der Liebe los und ledig zu machen. Sie hat
aber dazu gewiſſe Gebräuche vorgeſchrieben: nun nehme
ich ſelbſt in einer Sache, die mich ſo nahe betrifft, nicht
gerne meine Zuflucht zu magiſchen Künſten, deßwegen
beſchwöre ich dich, liebſte Schweſter, errichte mir, wie
die Zauberin vorgeſchrieben, im innern Schloßhofe heim¬
lich einen Scheiterhaufen, lege darauf die Waffen des
ungetreuen Mannes, die er in ſeinem Gemache zurück¬
gelaſſen hat, ſeine Gewande, die Betten ſeines Lagers.
Alle Ueberbleibſel des Schändlichen möchte ich vertilgen
und überdem ordnet es die Prieſterin ſo an.“

Dido ſprach und verſtummte, indem Todtenbläſſe

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0363" n="341"/>
            <p>Jetzt er&#x017F;t erkannte Dido den Willen des Schick&#x017F;als<lb/>
und wün&#x017F;chte &#x017F;ich den Tod; ja, &#x017F;ie mochte den Himmel<lb/>
über &#x017F;ich nicht mehr &#x017F;ehen. Noch mehr be&#x017F;tärkte &#x017F;ie in<lb/>
ihrem Ent&#x017F;chlu&#x017F;&#x017F;e zu &#x017F;terben, das &#x017F;chreckliche Zeichen, das<lb/>
ihr der Himmel beim neue&#x017F;ten Opfer vor Augen &#x017F;tellte,<lb/>
wo der aus der Schaale gego&#x017F;&#x017F;ene helle Wein &#x017F;ich in<lb/>
&#x017F;chwarzes Blut verwandelte. Die&#x017F;es Vorzeichen erzählte<lb/>
&#x017F;ie Niemand, &#x017F;elb&#x017F;t der Schwe&#x017F;ter nicht. Seitdem dachte<lb/>
&#x017F;ie nur darauf, wie &#x017F;ie alle die Ihrigen täu&#x017F;chen und<lb/>
&#x017F;ich auf die &#x017F;icher&#x017F;te Wei&#x017F;e den Untergang bereiten könnte.<lb/>
Deßwegen trat &#x017F;ie mit heiterer Miene, Hoffnung in den<lb/>
Augen und das gräßliche Vorhaben &#x017F;orgfältig verbergend,<lb/>
vor die Schwe&#x017F;ter und &#x017F;prach: &#x201E;Prei&#x017F;e mich glücklich,<lb/>
liebe Anna! Ich habe ein Mittel gefunden, das mir den<lb/>
Treulo&#x017F;en entweder zurückgeben, oder mich von meiner<lb/>
Liebe befreien muß. Eine Aethioperin, die in den He&#x017F;¬<lb/>
peridengärten des Tempels die&#x017F;er Göttinnen pflegt, i&#x017F;t<lb/>
hier und ver&#x017F;pricht mir durch ihren Zauberge&#x017F;ang, ent¬<lb/>
weder das Herz des Geliebten zu gewinnen, oder mein<lb/>
eigenes der Liebe los und ledig zu machen. Sie hat<lb/>
aber dazu gewi&#x017F;&#x017F;e Gebräuche vorge&#x017F;chrieben: nun nehme<lb/>
ich &#x017F;elb&#x017F;t in einer Sache, die mich &#x017F;o nahe betrifft, nicht<lb/>
gerne meine Zuflucht zu magi&#x017F;chen Kün&#x017F;ten, deßwegen<lb/>
be&#x017F;chwöre ich dich, lieb&#x017F;te Schwe&#x017F;ter, errichte mir, wie<lb/>
die Zauberin vorge&#x017F;chrieben, im innern Schloßhofe heim¬<lb/>
lich einen Scheiterhaufen, lege darauf die Waffen des<lb/>
ungetreuen Mannes, die er in &#x017F;einem Gemache zurück¬<lb/>
gela&#x017F;&#x017F;en hat, &#x017F;eine Gewande, die Betten &#x017F;eines Lagers.<lb/>
Alle Ueberbleib&#x017F;el des Schändlichen möchte ich vertilgen<lb/>
und überdem ordnet es die Prie&#x017F;terin &#x017F;o an.&#x201C;</p><lb/>
            <p>Dido &#x017F;prach und ver&#x017F;tummte, indem Todtenblä&#x017F;&#x017F;e<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[341/0363] Jetzt erſt erkannte Dido den Willen des Schickſals und wünſchte ſich den Tod; ja, ſie mochte den Himmel über ſich nicht mehr ſehen. Noch mehr beſtärkte ſie in ihrem Entſchluſſe zu ſterben, das ſchreckliche Zeichen, das ihr der Himmel beim neueſten Opfer vor Augen ſtellte, wo der aus der Schaale gegoſſene helle Wein ſich in ſchwarzes Blut verwandelte. Dieſes Vorzeichen erzählte ſie Niemand, ſelbſt der Schweſter nicht. Seitdem dachte ſie nur darauf, wie ſie alle die Ihrigen täuſchen und ſich auf die ſicherſte Weiſe den Untergang bereiten könnte. Deßwegen trat ſie mit heiterer Miene, Hoffnung in den Augen und das gräßliche Vorhaben ſorgfältig verbergend, vor die Schweſter und ſprach: „Preiſe mich glücklich, liebe Anna! Ich habe ein Mittel gefunden, das mir den Treuloſen entweder zurückgeben, oder mich von meiner Liebe befreien muß. Eine Aethioperin, die in den Heſ¬ peridengärten des Tempels dieſer Göttinnen pflegt, iſt hier und verſpricht mir durch ihren Zaubergeſang, ent¬ weder das Herz des Geliebten zu gewinnen, oder mein eigenes der Liebe los und ledig zu machen. Sie hat aber dazu gewiſſe Gebräuche vorgeſchrieben: nun nehme ich ſelbſt in einer Sache, die mich ſo nahe betrifft, nicht gerne meine Zuflucht zu magiſchen Künſten, deßwegen beſchwöre ich dich, liebſte Schweſter, errichte mir, wie die Zauberin vorgeſchrieben, im innern Schloßhofe heim¬ lich einen Scheiterhaufen, lege darauf die Waffen des ungetreuen Mannes, die er in ſeinem Gemache zurück¬ gelaſſen hat, ſeine Gewande, die Betten ſeines Lagers. Alle Ueberbleibſel des Schändlichen möchte ich vertilgen und überdem ordnet es die Prieſterin ſo an.“ Dido ſprach und verſtummte, indem Todtenbläſſe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/363
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/363>, abgerufen am 22.11.2024.