vom andern vereinzelt und abgeschnitten wurde, fanden sich durch Juno's Veranstaltung die Königin Dido und der Trojanerheld Aeneas zugleich in der nämlichen Grotte zusammen, um vor dem immer tobenderen Ungewitter Schutz zu finden. Mit dem Aufruhre der Natur, beim Leuchten der Blitze und dem Krachen des Donners ent¬ fesselte sich auch die bisher zurückgehaltene Neigung der Königin; sie vergaß aller weiblichen Scheu, und gestand dem Helden ihre glühende Liebe. Da schwanden dem bethörten Aeneas die göttlichen Verheißungen, er erwie¬ derte ihre Zärlichkeit und versiegelte mit einem leichtsin¬ nigen Schwur die Ausbrüche ihrer Leidenschaft.
Aeneas verläßt auf Jupiters Befehl Karthago.
Das Ungewitter war vorüber, die Jagdgesellschaft hatte sich wieder zusammen gefunden, und Aeneas kehrte an Dido's Seite nach der Stadt und in den Palast zu¬ rück. Ein Freudenfest folgte auf das andere, keiner Abfahrt ward gedacht, und der Winter kam heran.
Jetzt machte sich Fama, die Göttin des Gerüchtes, auf und durchflog die Städte Libyens. Diese, ein We¬ sen von seltsam beweglicher Gestalt, ist die Tochter der Mutter Erde, und die jüngste Schwester der Giganten. So oft sie aus ihrer Verborgenheit hervorgeht, ist sie Anfangs ganz klein und schüchtern, aber im Fortschreiten wächst sie an Kräften und Größe, erhebt sich bald in die Lüfte; und während ihre Füße über den Boden
vom andern vereinzelt und abgeſchnitten wurde, fanden ſich durch Juno's Veranſtaltung die Königin Dido und der Trojanerheld Aeneas zugleich in der nämlichen Grotte zuſammen, um vor dem immer tobenderen Ungewitter Schutz zu finden. Mit dem Aufruhre der Natur, beim Leuchten der Blitze und dem Krachen des Donners ent¬ feſſelte ſich auch die bisher zurückgehaltene Neigung der Königin; ſie vergaß aller weiblichen Scheu, und geſtand dem Helden ihre glühende Liebe. Da ſchwanden dem bethörten Aeneas die göttlichen Verheißungen, er erwie¬ derte ihre Zärlichkeit und verſiegelte mit einem leichtſin¬ nigen Schwur die Ausbrüche ihrer Leidenſchaft.
Aeneas verläßt auf Jupiters Befehl Karthago.
Das Ungewitter war vorüber, die Jagdgeſellſchaft hatte ſich wieder zuſammen gefunden, und Aeneas kehrte an Dido's Seite nach der Stadt und in den Palaſt zu¬ rück. Ein Freudenfeſt folgte auf das andere, keiner Abfahrt ward gedacht, und der Winter kam heran.
Jetzt machte ſich Fama, die Göttin des Gerüchtes, auf und durchflog die Städte Libyens. Dieſe, ein We¬ ſen von ſeltſam beweglicher Geſtalt, iſt die Tochter der Mutter Erde, und die jüngſte Schweſter der Giganten. So oft ſie aus ihrer Verborgenheit hervorgeht, iſt ſie Anfangs ganz klein und ſchüchtern, aber im Fortſchreiten wächſt ſie an Kräften und Größe, erhebt ſich bald in die Lüfte; und während ihre Füße über den Boden
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vom andern vereinzelt und abgeſchnitten wurde, fanden
ſich durch Juno's Veranſtaltung die Königin Dido und
der Trojanerheld Aeneas zugleich in der nämlichen Grotte
zuſammen, um vor dem immer tobenderen Ungewitter
Schutz zu finden. Mit dem Aufruhre der Natur, beim
Leuchten der Blitze und dem Krachen des Donners ent¬
feſſelte ſich auch die bisher zurückgehaltene Neigung der
Königin; ſie vergaß aller weiblichen Scheu, und geſtand
dem Helden ihre glühende Liebe. Da ſchwanden dem
bethörten Aeneas die göttlichen Verheißungen, er erwie¬
derte ihre Zärlichkeit und verſiegelte mit einem leichtſin¬
nigen Schwur die Ausbrüche ihrer Leidenſchaft.
Aeneas verläßt auf Jupiters Befehl Karthago.
Das Ungewitter war vorüber, die Jagdgeſellſchaft
hatte ſich wieder zuſammen gefunden, und Aeneas kehrte
an Dido's Seite nach der Stadt und in den Palaſt zu¬
rück. Ein Freudenfeſt folgte auf das andere, keiner
Abfahrt ward gedacht, und der Winter kam heran.
Jetzt machte ſich Fama, die Göttin des Gerüchtes,
auf und durchflog die Städte Libyens. Dieſe, ein We¬
ſen von ſeltſam beweglicher Geſtalt, iſt die Tochter der
Mutter Erde, und die jüngſte Schweſter der Giganten.
So oft ſie aus ihrer Verborgenheit hervorgeht, iſt ſie
Anfangs ganz klein und ſchüchtern, aber im Fortſchreiten
wächſt ſie an Kräften und Größe, erhebt ſich bald in
die Lüfte; und während ihre Füße über den Boden
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/356>, abgerufen am 22.11.2024.
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