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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

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geworfen, sende, sagt man, den Flammenhauch des Riesen
aus seinem Schlund empor; so oft jener, unter der
drückenden Last ermattet, seine Seite wechselt, bebt die
ganze Insel von dumpfer Erschütterung, und ein Rauch
hüllt den Himmel in seinen Schleier.

Aeneas und seine Genossen waren bei Nacht an die
Insel verschlagen worden, und der Berg war ihnen noch
dazu von Wäldern verdeckt. Auch umzog den verfinster¬
ten Himmel ein dickes Gewölk, und hinter seinen Schich¬
ten verbargen sich der Mond und die Sterne. So hörten
sie die ganze Nacht hindurch nur das fürchterliche Tosen,
ohne die Ursache desselben errathen zu können. Als der
Morgenstern am Himmel stand, und Aurora die Schat¬
ten vertrieb, sahen die Flüchtlinge, die sich am Strande
gelagert, einen fremden seltsamen Mann, ganz in Lum¬
pen gehüllt, ein rechtes Jammerbild des Elendes, plötz¬
lich aus den Wäldern hervortreten, und die Hände flehend
nach ihnen zu dem Ufer ausstrecken. Abscheulicher Schmutz
entstellte ihn, die Fetzen seines Gewandes waren mit
Dornen zusammengeheftet, sein langes verwirrtes Bart¬
haar flog im Winde. Uebrigens erkannte man auch in
diesem jämmerlichen Aufzuge noch den Griechen, der einst
vor Troja gekämpft hatte. Als dieser in der Ferne tro¬
janische Rüstungen sah, stutzte er einen Augenblick und
hemmte schüchtern seine Schritte. Bald aber rannte er
entschlossen wieder vorwärts zum Ufer, und flehte wei¬
nend zu den Ankömmlingen hinüber: "Bei den Gestirnen,
bei den Göttern, beim Himmelslichte beschwöre ich euch,
Trojaner, nehmet mich fort mit euch, wohin es auch
gehen mag! Ich weiß wohl, ich bin einer vom Danaer¬
heer, ich habe eure Stadt befehdet, habe sie zerstören

geworfen, ſende, ſagt man, den Flammenhauch des Rieſen
aus ſeinem Schlund empor; ſo oft jener, unter der
drückenden Laſt ermattet, ſeine Seite wechſelt, bebt die
ganze Inſel von dumpfer Erſchütterung, und ein Rauch
hüllt den Himmel in ſeinen Schleier.

Aeneas und ſeine Genoſſen waren bei Nacht an die
Inſel verſchlagen worden, und der Berg war ihnen noch
dazu von Wäldern verdeckt. Auch umzog den verfinſter¬
ten Himmel ein dickes Gewölk, und hinter ſeinen Schich¬
ten verbargen ſich der Mond und die Sterne. So hörten
ſie die ganze Nacht hindurch nur das fürchterliche Toſen,
ohne die Urſache deſſelben errathen zu können. Als der
Morgenſtern am Himmel ſtand, und Aurora die Schat¬
ten vertrieb, ſahen die Flüchtlinge, die ſich am Strande
gelagert, einen fremden ſeltſamen Mann, ganz in Lum¬
pen gehüllt, ein rechtes Jammerbild des Elendes, plötz¬
lich aus den Wäldern hervortreten, und die Hände flehend
nach ihnen zu dem Ufer ausſtrecken. Abſcheulicher Schmutz
entſtellte ihn, die Fetzen ſeines Gewandes waren mit
Dornen zuſammengeheftet, ſein langes verwirrtes Bart¬
haar flog im Winde. Uebrigens erkannte man auch in
dieſem jämmerlichen Aufzuge noch den Griechen, der einſt
vor Troja gekämpft hatte. Als dieſer in der Ferne tro¬
janiſche Rüſtungen ſah, ſtutzte er einen Augenblick und
hemmte ſchüchtern ſeine Schritte. Bald aber rannte er
entſchloſſen wieder vorwärts zum Ufer, und flehte wei¬
nend zu den Ankömmlingen hinüber: „Bei den Geſtirnen,
bei den Göttern, beim Himmelslichte beſchwöre ich euch,
Trojaner, nehmet mich fort mit euch, wohin es auch
gehen mag! Ich weiß wohl, ich bin einer vom Danaer¬
heer, ich habe eure Stadt befehdet, habe ſie zerſtören

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[308/0330] geworfen, ſende, ſagt man, den Flammenhauch des Rieſen aus ſeinem Schlund empor; ſo oft jener, unter der drückenden Laſt ermattet, ſeine Seite wechſelt, bebt die ganze Inſel von dumpfer Erſchütterung, und ein Rauch hüllt den Himmel in ſeinen Schleier. Aeneas und ſeine Genoſſen waren bei Nacht an die Inſel verſchlagen worden, und der Berg war ihnen noch dazu von Wäldern verdeckt. Auch umzog den verfinſter¬ ten Himmel ein dickes Gewölk, und hinter ſeinen Schich¬ ten verbargen ſich der Mond und die Sterne. So hörten ſie die ganze Nacht hindurch nur das fürchterliche Toſen, ohne die Urſache deſſelben errathen zu können. Als der Morgenſtern am Himmel ſtand, und Aurora die Schat¬ ten vertrieb, ſahen die Flüchtlinge, die ſich am Strande gelagert, einen fremden ſeltſamen Mann, ganz in Lum¬ pen gehüllt, ein rechtes Jammerbild des Elendes, plötz¬ lich aus den Wäldern hervortreten, und die Hände flehend nach ihnen zu dem Ufer ausſtrecken. Abſcheulicher Schmutz entſtellte ihn, die Fetzen ſeines Gewandes waren mit Dornen zuſammengeheftet, ſein langes verwirrtes Bart¬ haar flog im Winde. Uebrigens erkannte man auch in dieſem jämmerlichen Aufzuge noch den Griechen, der einſt vor Troja gekämpft hatte. Als dieſer in der Ferne tro¬ janiſche Rüſtungen ſah, ſtutzte er einen Augenblick und hemmte ſchüchtern ſeine Schritte. Bald aber rannte er entſchloſſen wieder vorwärts zum Ufer, und flehte wei¬ nend zu den Ankömmlingen hinüber: „Bei den Geſtirnen, bei den Göttern, beim Himmelslichte beſchwöre ich euch, Trojaner, nehmet mich fort mit euch, wohin es auch gehen mag! Ich weiß wohl, ich bin einer vom Danaer¬ heer, ich habe eure Stadt befehdet, habe ſie zerſtören

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/330>, abgerufen am 22.11.2024.