trat, blickte sein Sohn Odisseus verwundert an ihm empor und sprach: "Vater, sicherlich hat einer der un¬ sterblichen Götter dir Gestalt und Wuchs verherrlicht!" "Ja, bei allen Göttern," sagte Laertes, "wäre ich, wie ich mich heute verjüngt und kräftig fühle, gestern bei dir im Saale gestanden und hätte an deiner Seite ge¬ kämpft: fürwahr, es wäre mancher Freier sterbend vor mir ins Kniee gesunken!"
So wechselten sie miteinander freudige Gespräche, und setzten sich endlich Alle ums Mahl. Jetzt kam auch der alte Meier Dolius sammt seinen Söhnen, müde von der Feldarbeit, zurück. Ueber die Schwelle getreten, sahen sie den König Odysseus dasitzen, erkannten ihn und standen staunend, wie in den Boden gewurzelt. Odysseus aber redete ihnen freundlich zu: "Geschwind Alter, setze dich mit deinen Söhnen zu uns ans Mahl, wir harren schon lang auf euch! nehmt euch ein ander¬ mal Zeit zum Staunen." Da eilte Dolius mit ausge¬ breiteten Armen auf den Helden zu, ergriff seine Hand und bedeckte sie mit Küssen. "Lieber Herr, Heil dir und Segen," rief er, "nachdem du unser Aller Wunsch er¬ füllt hast, und endlich heimgekommen bist! Sage mir, weiß es Penelope schon, oder sollen wir ihr Botschaft zukommen lassen?" "Sie weiß Alles," antwortete Odysseus, "du darfst dich nicht bemühen." Da setzte sich Dolius zum Mahle; seine Söhne drängten sich um Odysseus, drückten ihm die Hände und hießen ihn will¬ kommen; dann nahmen auch sie an der Seite ihres Vaters Platz, und Alles schmauste fröhlich zusammen.
trat, blickte ſein Sohn Odiſſeus verwundert an ihm empor und ſprach: „Vater, ſicherlich hat einer der un¬ ſterblichen Götter dir Geſtalt und Wuchs verherrlicht!“ „Ja, bei allen Göttern,“ ſagte Laertes, „wäre ich, wie ich mich heute verjüngt und kräftig fühle, geſtern bei dir im Saale geſtanden und hätte an deiner Seite ge¬ kämpft: fürwahr, es wäre mancher Freier ſterbend vor mir ins Kniee geſunken!“
So wechſelten ſie miteinander freudige Geſpräche, und ſetzten ſich endlich Alle ums Mahl. Jetzt kam auch der alte Meier Dolius ſammt ſeinen Söhnen, müde von der Feldarbeit, zurück. Ueber die Schwelle getreten, ſahen ſie den König Odyſſeus daſitzen, erkannten ihn und ſtanden ſtaunend, wie in den Boden gewurzelt. Odyſſeus aber redete ihnen freundlich zu: „Geſchwind Alter, ſetze dich mit deinen Söhnen zu uns ans Mahl, wir harren ſchon lang auf euch! nehmt euch ein ander¬ mal Zeit zum Staunen.“ Da eilte Dolius mit ausge¬ breiteten Armen auf den Helden zu, ergriff ſeine Hand und bedeckte ſie mit Küſſen. „Lieber Herr, Heil dir und Segen,“ rief er, „nachdem du unſer Aller Wunſch er¬ füllt haſt, und endlich heimgekommen biſt! Sage mir, weiß es Penelope ſchon, oder ſollen wir ihr Botſchaft zukommen laſſen?“ „Sie weiß Alles,“ antwortete Odyſſeus, „du darfſt dich nicht bemühen.“ Da ſetzte ſich Dolius zum Mahle; ſeine Söhne drängten ſich um Odyſſeus, drückten ihm die Hände und hießen ihn will¬ kommen; dann nahmen auch ſie an der Seite ihres Vaters Platz, und Alles ſchmauſte fröhlich zuſammen.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0304"n="282"/>
trat, blickte ſein Sohn Odiſſeus verwundert an ihm<lb/>
empor und ſprach: „Vater, ſicherlich hat einer der un¬<lb/>ſterblichen Götter dir Geſtalt und Wuchs verherrlicht!“<lb/>„Ja, bei allen Göttern,“ſagte Laertes, „wäre ich, wie<lb/>
ich mich heute verjüngt und kräftig fühle, geſtern bei<lb/>
dir im Saale geſtanden und hätte an deiner Seite ge¬<lb/>
kämpft: fürwahr, es wäre mancher Freier ſterbend vor<lb/>
mir ins Kniee geſunken!“</p><lb/><p>So wechſelten ſie miteinander freudige Geſpräche,<lb/>
und ſetzten ſich endlich Alle ums Mahl. Jetzt kam auch<lb/>
der alte Meier Dolius ſammt ſeinen Söhnen, müde von<lb/>
der Feldarbeit, zurück. Ueber die Schwelle getreten,<lb/>ſahen ſie den König Odyſſeus daſitzen, erkannten ihn<lb/>
und ſtanden ſtaunend, wie in den Boden gewurzelt.<lb/>
Odyſſeus aber redete ihnen freundlich zu: „Geſchwind<lb/>
Alter, ſetze dich mit deinen Söhnen zu uns ans Mahl,<lb/>
wir harren ſchon lang auf euch! nehmt euch ein ander¬<lb/>
mal Zeit zum Staunen.“ Da eilte Dolius mit ausge¬<lb/>
breiteten Armen auf den Helden zu, ergriff ſeine Hand<lb/>
und bedeckte ſie mit Küſſen. „Lieber Herr, Heil dir und<lb/>
Segen,“ rief er, „nachdem du unſer Aller Wunſch er¬<lb/>
füllt haſt, und endlich heimgekommen biſt! Sage mir,<lb/>
weiß es Penelope ſchon, oder ſollen wir ihr Botſchaft<lb/>
zukommen laſſen?“„Sie weiß Alles,“ antwortete<lb/>
Odyſſeus, „du darfſt dich nicht bemühen.“ Da ſetzte<lb/>ſich Dolius zum Mahle; ſeine Söhne drängten ſich um<lb/>
Odyſſeus, drückten ihm die Hände und hießen ihn will¬<lb/>
kommen; dann nahmen auch ſie an der Seite ihres<lb/>
Vaters Platz, und Alles ſchmauſte fröhlich zuſammen.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div></div></div></body></text></TEI>
[282/0304]
trat, blickte ſein Sohn Odiſſeus verwundert an ihm
empor und ſprach: „Vater, ſicherlich hat einer der un¬
ſterblichen Götter dir Geſtalt und Wuchs verherrlicht!“
„Ja, bei allen Göttern,“ ſagte Laertes, „wäre ich, wie
ich mich heute verjüngt und kräftig fühle, geſtern bei
dir im Saale geſtanden und hätte an deiner Seite ge¬
kämpft: fürwahr, es wäre mancher Freier ſterbend vor
mir ins Kniee geſunken!“
So wechſelten ſie miteinander freudige Geſpräche,
und ſetzten ſich endlich Alle ums Mahl. Jetzt kam auch
der alte Meier Dolius ſammt ſeinen Söhnen, müde von
der Feldarbeit, zurück. Ueber die Schwelle getreten,
ſahen ſie den König Odyſſeus daſitzen, erkannten ihn
und ſtanden ſtaunend, wie in den Boden gewurzelt.
Odyſſeus aber redete ihnen freundlich zu: „Geſchwind
Alter, ſetze dich mit deinen Söhnen zu uns ans Mahl,
wir harren ſchon lang auf euch! nehmt euch ein ander¬
mal Zeit zum Staunen.“ Da eilte Dolius mit ausge¬
breiteten Armen auf den Helden zu, ergriff ſeine Hand
und bedeckte ſie mit Küſſen. „Lieber Herr, Heil dir und
Segen,“ rief er, „nachdem du unſer Aller Wunſch er¬
füllt haſt, und endlich heimgekommen biſt! Sage mir,
weiß es Penelope ſchon, oder ſollen wir ihr Botſchaft
zukommen laſſen?“ „Sie weiß Alles,“ antwortete
Odyſſeus, „du darfſt dich nicht bemühen.“ Da ſetzte
ſich Dolius zum Mahle; ſeine Söhne drängten ſich um
Odyſſeus, drückten ihm die Hände und hießen ihn will¬
kommen; dann nahmen auch ſie an der Seite ihres
Vaters Platz, und Alles ſchmauſte fröhlich zuſammen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/304>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.