gepflegt worden bin! Jetzt aber haben sie mich frei¬ lich auch verrathen: sie versprachen, mich nach Ithaka zu führen, und haben mich hier in dem fremden Lande ausgesetzt. Vergelte es ihnen Jupiter der Rächer! Ge¬ wiß haben sie mir auch von meinem Gute gestohlen!"
Der Held blickte sich um, sah Dreifüße, Becken, Gold, Kleider, Alles in bester Ordnung umher stehen und liegen, fing an zu mustern und zu zählen: und siehe da, ihm mangelte nichts. Als er nun nachdenklich und die Heimath betrauernd am Strande umherirrte, gesellte sich zu ihm die Göttin Athene in Gestalt eines zarten Jünglings, eines Schafhirten, aber wie ein Königssohn mit feinen Gewanden angethan, schönen Sohlen an den Füßen und einem Spieß in der Hand. Odysseus war froh, einem Menschen zu begegnen, und fragte ihn mit freundlichen Worten, auf welchem Gebiet er sich befinde, ob es ein Festland oder eine Insel sey. "Du mußt aus der Ferne daher kommen," antwortete die Göttin, "wenn du erst nach dem Namen dieses Landes zu fragen brauchst. Ich versichere dich, man kennt es im Westen und im Osten. Zwar ist es gebirgig, und Rosse kann man hier keine tummeln, wie im Argiverlande; arm ist es aber deßwegen nicht; Wein und Getreide gedeiht herrlich. Ziegen und Rinder hat es in Menge, dazu die schönsten Waldungen, und Quellwasser genug. Auch durch seine Bewohner ist es berühmt worden. Frage nur das tro¬ janische Land, das doch ferne genug ist, das wird dir etwas von der Insel Ithaka zu erzählen wissen!"
Wie herzlich froh war Odysseus, als er den Namen seines Vaterlandes nennen hörte! Doch hütete er sich wohl, sich dem vermeintlichen Hirten sogleich zu erkennen
gepflegt worden bin! Jetzt aber haben ſie mich frei¬ lich auch verrathen: ſie verſprachen, mich nach Ithaka zu führen, und haben mich hier in dem fremden Lande ausgeſetzt. Vergelte es ihnen Jupiter der Rächer! Ge¬ wiß haben ſie mir auch von meinem Gute geſtohlen!“
Der Held blickte ſich um, ſah Dreifüße, Becken, Gold, Kleider, Alles in beſter Ordnung umher ſtehen und liegen, fing an zu muſtern und zu zählen: und ſiehe da, ihm mangelte nichts. Als er nun nachdenklich und die Heimath betrauernd am Strande umherirrte, geſellte ſich zu ihm die Göttin Athene in Geſtalt eines zarten Jünglings, eines Schafhirten, aber wie ein Königsſohn mit feinen Gewanden angethan, ſchönen Sohlen an den Füßen und einem Spieß in der Hand. Odyſſeus war froh, einem Menſchen zu begegnen, und fragte ihn mit freundlichen Worten, auf welchem Gebiet er ſich befinde, ob es ein Feſtland oder eine Inſel ſey. „Du mußt aus der Ferne daher kommen,“ antwortete die Göttin, „wenn du erſt nach dem Namen dieſes Landes zu fragen brauchſt. Ich verſichere dich, man kennt es im Weſten und im Oſten. Zwar iſt es gebirgig, und Roſſe kann man hier keine tummeln, wie im Argiverlande; arm iſt es aber deßwegen nicht; Wein und Getreide gedeiht herrlich. Ziegen und Rinder hat es in Menge, dazu die ſchönſten Waldungen, und Quellwaſſer genug. Auch durch ſeine Bewohner iſt es berühmt worden. Frage nur das tro¬ janiſche Land, das doch ferne genug iſt, das wird dir etwas von der Inſel Ithaka zu erzählen wiſſen!“
Wie herzlich froh war Odyſſeus, als er den Namen ſeines Vaterlandes nennen hörte! Doch hütete er ſich wohl, ſich dem vermeintlichen Hirten ſogleich zu erkennen
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gepflegt worden bin! Jetzt aber haben ſie mich frei¬
lich auch verrathen: ſie verſprachen, mich nach Ithaka
zu führen, und haben mich hier in dem fremden Lande
ausgeſetzt. Vergelte es ihnen Jupiter der Rächer! Ge¬
wiß haben ſie mir auch von meinem Gute geſtohlen!“
Der Held blickte ſich um, ſah Dreifüße, Becken,
Gold, Kleider, Alles in beſter Ordnung umher ſtehen
und liegen, fing an zu muſtern und zu zählen: und ſiehe
da, ihm mangelte nichts. Als er nun nachdenklich und
die Heimath betrauernd am Strande umherirrte, geſellte
ſich zu ihm die Göttin Athene in Geſtalt eines zarten
Jünglings, eines Schafhirten, aber wie ein Königsſohn
mit feinen Gewanden angethan, ſchönen Sohlen an den
Füßen und einem Spieß in der Hand. Odyſſeus war
froh, einem Menſchen zu begegnen, und fragte ihn mit
freundlichen Worten, auf welchem Gebiet er ſich befinde,
ob es ein Feſtland oder eine Inſel ſey. „Du mußt aus
der Ferne daher kommen,“ antwortete die Göttin, „wenn
du erſt nach dem Namen dieſes Landes zu fragen brauchſt.
Ich verſichere dich, man kennt es im Weſten und im
Oſten. Zwar iſt es gebirgig, und Roſſe kann man hier
keine tummeln, wie im Argiverlande; arm iſt es aber
deßwegen nicht; Wein und Getreide gedeiht herrlich.
Ziegen und Rinder hat es in Menge, dazu die ſchönſten
Waldungen, und Quellwaſſer genug. Auch durch ſeine
Bewohner iſt es berühmt worden. Frage nur das tro¬
janiſche Land, das doch ferne genug iſt, das wird dir
etwas von der Inſel Ithaka zu erzählen wiſſen!“
Wie herzlich froh war Odyſſeus, als er den Namen
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wohl, ſich dem vermeintlichen Hirten ſogleich zu erkennen
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/200>, abgerufen am 22.11.2024.
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