Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Wohnung eingekehrt bist, so hoffe ich, du werdest nicht
mehr vom rechten Wege in die Heimath abirren und bald
im Hause deiner Väter alles Elend, das du erduldet hast,
vergessen! Höret nun auch ihr, lieben Freunde und be¬
ständige Gäste meines Palastes! In einer schönen Lade
liegen bereits herrliche Kleidungsstücke für unsern edeln
Gast bereit, dazu künstlich gearbeitetes Gold, und man¬
ches andre Geschenk, das ich und die Fürsten unter
euch ihm bestimmt haben. Hierzu füge ein jeder von
uns noch einen großen Dreifuß und ein Becken. Die
Volksversammlung wird uns für diese großen Geschenke,
die freilich dem Einzelnen schwer fallen würden, genü¬
gend entschädigen!"

Allen gefiel diese Rede, und die Versammlung der
Gäste wurde aufgehoben. Am andern Morgen brachten
die Phäaken sämtliche Erz-Geschenke auf das Schiff,
und Alcinous selbst stellte Alles sorgfältig unter die Bänke,
damit die Ruderer nicht dadurch gehindert würden.
Hierauf kehrten Alle mit einander in den Palast des
Königes zurück und dort wurde das Abschiedsmahl gerü¬
stet. Nach dem Opfer, das Jupitern von dem geschlach¬
teten Rinde dargebracht wurde, begann der Festschmaus,
und der von allem Volk hochgeehrte blinde Sänger De¬
modokus sang herrliche Lieder dazu.

Odysseus aber war mit seiner Seele nicht gegen¬
wärtig. Oft schaute er durch die Fenster des Saales
nach dem Stand der Sonne und wünschte sehnlich ihren
Untergang, so sehnlich wie einen Bauern, der den ganzen
Tag über den Pflug über seinen Acker gelenkt hat,
nach der Abendkost verlangt. Und endlich sprach er ohne
Scheu zu seinen königlichen Wirth: "Gepriesener Held

Wohnung eingekehrt biſt, ſo hoffe ich, du werdeſt nicht
mehr vom rechten Wege in die Heimath abirren und bald
im Hauſe deiner Väter alles Elend, das du erduldet haſt,
vergeſſen! Höret nun auch ihr, lieben Freunde und be¬
ſtändige Gäſte meines Palaſtes! In einer ſchönen Lade
liegen bereits herrliche Kleidungsſtücke für unſern edeln
Gaſt bereit, dazu künſtlich gearbeitetes Gold, und man¬
ches andre Geſchenk, das ich und die Fürſten unter
euch ihm beſtimmt haben. Hierzu füge ein jeder von
uns noch einen großen Dreifuß und ein Becken. Die
Volksverſammlung wird uns für dieſe großen Geſchenke,
die freilich dem Einzelnen ſchwer fallen würden, genü¬
gend entſchädigen!“

Allen gefiel dieſe Rede, und die Verſammlung der
Gäſte wurde aufgehoben. Am andern Morgen brachten
die Phäaken ſämtliche Erz-Geſchenke auf das Schiff,
und Alcinous ſelbſt ſtellte Alles ſorgfältig unter die Bänke‚
damit die Ruderer nicht dadurch gehindert würden.
Hierauf kehrten Alle mit einander in den Palaſt des
Königes zurück und dort wurde das Abſchiedsmahl gerü¬
ſtet. Nach dem Opfer, das Jupitern von dem geſchlach¬
teten Rinde dargebracht wurde, begann der Feſtſchmaus,
und der von allem Volk hochgeehrte blinde Sänger De¬
modokus ſang herrliche Lieder dazu.

Odyſſeus aber war mit ſeiner Seele nicht gegen¬
wärtig. Oft ſchaute er durch die Fenſter des Saales
nach dem Stand der Sonne und wünſchte ſehnlich ihren
Untergang, ſo ſehnlich wie einen Bauern, der den ganzen
Tag über den Pflug über ſeinen Acker gelenkt hat,
nach der Abendkoſt verlangt. Und endlich ſprach er ohne
Scheu zu ſeinen königlichen Wirth: „Geprieſener Held

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0193" n="171"/>
Wohnung eingekehrt bi&#x017F;t, &#x017F;o hoffe ich, du werde&#x017F;t nicht<lb/>
mehr vom rechten Wege in die Heimath abirren und bald<lb/>
im Hau&#x017F;e deiner Väter alles Elend, das du erduldet ha&#x017F;t,<lb/>
verge&#x017F;&#x017F;en! Höret nun auch ihr, lieben Freunde und be¬<lb/>
&#x017F;tändige Gä&#x017F;te meines Pala&#x017F;tes! In einer &#x017F;chönen Lade<lb/>
liegen bereits herrliche Kleidungs&#x017F;tücke für un&#x017F;ern edeln<lb/>
Ga&#x017F;t bereit, dazu kün&#x017F;tlich gearbeitetes Gold, und man¬<lb/>
ches andre Ge&#x017F;chenk, das ich und die Für&#x017F;ten unter<lb/>
euch ihm be&#x017F;timmt haben. Hierzu füge ein jeder von<lb/>
uns noch einen großen Dreifuß und ein Becken. Die<lb/>
Volksver&#x017F;ammlung wird uns für die&#x017F;e großen Ge&#x017F;chenke,<lb/>
die freilich dem Einzelnen &#x017F;chwer fallen würden, genü¬<lb/>
gend ent&#x017F;chädigen!&#x201C;</p><lb/>
            <p>Allen gefiel die&#x017F;e Rede, und die Ver&#x017F;ammlung der<lb/>&#x017F;te wurde aufgehoben. Am andern Morgen brachten<lb/>
die Phäaken &#x017F;ämtliche Erz-Ge&#x017F;chenke auf das Schiff,<lb/>
und Alcinous &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;tellte Alles &#x017F;orgfältig unter die Bänke&#x201A;<lb/>
damit die Ruderer nicht dadurch gehindert würden.<lb/>
Hierauf kehrten Alle mit einander in den Pala&#x017F;t des<lb/>
Königes zurück und dort wurde das Ab&#x017F;chiedsmahl gerü¬<lb/>
&#x017F;tet. Nach dem Opfer, das Jupitern von dem ge&#x017F;chlach¬<lb/>
teten Rinde dargebracht wurde, begann der Fe&#x017F;t&#x017F;chmaus,<lb/>
und der von allem Volk hochgeehrte blinde Sänger De¬<lb/>
modokus &#x017F;ang herrliche Lieder dazu.</p><lb/>
            <p>Ody&#x017F;&#x017F;eus aber war mit &#x017F;einer Seele nicht gegen¬<lb/>
wärtig. Oft &#x017F;chaute er durch die Fen&#x017F;ter des Saales<lb/>
nach dem Stand der Sonne und wün&#x017F;chte &#x017F;ehnlich ihren<lb/>
Untergang, &#x017F;o &#x017F;ehnlich wie einen Bauern, der den ganzen<lb/>
Tag über den Pflug über &#x017F;einen Acker gelenkt hat,<lb/>
nach der Abendko&#x017F;t verlangt. Und endlich &#x017F;prach er ohne<lb/>
Scheu zu &#x017F;einen königlichen Wirth: &#x201E;Geprie&#x017F;ener Held<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[171/0193] Wohnung eingekehrt biſt, ſo hoffe ich, du werdeſt nicht mehr vom rechten Wege in die Heimath abirren und bald im Hauſe deiner Väter alles Elend, das du erduldet haſt, vergeſſen! Höret nun auch ihr, lieben Freunde und be¬ ſtändige Gäſte meines Palaſtes! In einer ſchönen Lade liegen bereits herrliche Kleidungsſtücke für unſern edeln Gaſt bereit, dazu künſtlich gearbeitetes Gold, und man¬ ches andre Geſchenk, das ich und die Fürſten unter euch ihm beſtimmt haben. Hierzu füge ein jeder von uns noch einen großen Dreifuß und ein Becken. Die Volksverſammlung wird uns für dieſe großen Geſchenke, die freilich dem Einzelnen ſchwer fallen würden, genü¬ gend entſchädigen!“ Allen gefiel dieſe Rede, und die Verſammlung der Gäſte wurde aufgehoben. Am andern Morgen brachten die Phäaken ſämtliche Erz-Geſchenke auf das Schiff, und Alcinous ſelbſt ſtellte Alles ſorgfältig unter die Bänke‚ damit die Ruderer nicht dadurch gehindert würden. Hierauf kehrten Alle mit einander in den Palaſt des Königes zurück und dort wurde das Abſchiedsmahl gerü¬ ſtet. Nach dem Opfer, das Jupitern von dem geſchlach¬ teten Rinde dargebracht wurde, begann der Feſtſchmaus, und der von allem Volk hochgeehrte blinde Sänger De¬ modokus ſang herrliche Lieder dazu. Odyſſeus aber war mit ſeiner Seele nicht gegen¬ wärtig. Oft ſchaute er durch die Fenſter des Saales nach dem Stand der Sonne und wünſchte ſehnlich ihren Untergang, ſo ſehnlich wie einen Bauern, der den ganzen Tag über den Pflug über ſeinen Acker gelenkt hat, nach der Abendkoſt verlangt. Und endlich ſprach er ohne Scheu zu ſeinen königlichen Wirth: „Geprieſener Held

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/193
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/193>, abgerufen am 22.11.2024.