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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

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mir Moly,) "so vermag ihr Betrug nicht dir zu schaden.
Sie wird dir nämlich ein süßes Weinmuß bereiten, und
ihre Zaubersäfte darein mengen. Dieses Kraut aber wird
sie verhindern, dich in ein Vieh zu verwandeln. Wenn
sie dich dann mit ihrem langen Zauberstabe berührt, so
reiß du dir nur dein scharfes Schwert von der Hüfte,
und renn' auf sie los, als wolltest du sie ermorden. Dann
zwingst du ihr leicht einen heiligen Eid ab, daß sie kei¬
nerlei Tücke an dir üben wolle. Du magst alsdann
ohne Gefahr bei ihr wohnen und ihr in Allem zu Willen
seyn, und wenn ihr vertraut geworden seyd, wird sie
dir auch deine Bitte nicht abschlagen und dir deine Freunde
zurückgeben!"

So sprach Hermes und verließ mich, in den Olymp
zurückkehrend. Ich selbst eilte unruhig und nachdenklich
dem Palaste der Zauberin entgegen. Auf meinen Ruf
öffnete sie die Pforte und hieß mich freundlich herein¬
treten, was ich, obwohl mit einem Herzen voll Ingrimm,
auch that. Nun führte sie mich zu einem herrlichen
Thronsessel, rückte mir einen Schemel unter die Füße,
und mengte sofort in goldener Schale wirklich ihr Wein¬
muß. Sie konnte kaum erwarten, bis ich es ausgeleert,
und ohne im mindesten an meiner Verwandlung, die
auf der Stelle eintreten würde, zu zweifeln, berührte sie
mich mit ihrem Stabe, und sprach: "fort mit dir in
den Schweinestall, zu deinen Freunden!" Ich aber riß
das Schwert von der Seite und rannte wie mordbegierig
auf die Zauberin ein. Nun schrie sie laut auf, warf
sich zu Boden und umfaßte meine Kniee, indem sie mir
jammernd entgegenrief: "Wehe mir! Wer bist du, Ge¬
waltiger, den mein Trank nicht zu verwandeln vermag?

mir Moly,) „ſo vermag ihr Betrug nicht dir zu ſchaden.
Sie wird dir nämlich ein ſüßes Weinmuß bereiten, und
ihre Zauberſäfte darein mengen. Dieſes Kraut aber wird
ſie verhindern, dich in ein Vieh zu verwandeln. Wenn
ſie dich dann mit ihrem langen Zauberſtabe berührt, ſo
reiß du dir nur dein ſcharfes Schwert von der Hüfte,
und renn' auf ſie los, als wollteſt du ſie ermorden. Dann
zwingſt du ihr leicht einen heiligen Eid ab, daß ſie kei¬
nerlei Tücke an dir üben wolle. Du magſt alsdann
ohne Gefahr bei ihr wohnen und ihr in Allem zu Willen
ſeyn, und wenn ihr vertraut geworden ſeyd, wird ſie
dir auch deine Bitte nicht abſchlagen und dir deine Freunde
zurückgeben!“

So ſprach Hermes und verließ mich, in den Olymp
zurückkehrend. Ich ſelbſt eilte unruhig und nachdenklich
dem Palaſte der Zauberin entgegen. Auf meinen Ruf
öffnete ſie die Pforte und hieß mich freundlich herein¬
treten, was ich, obwohl mit einem Herzen voll Ingrimm,
auch that. Nun führte ſie mich zu einem herrlichen
Thronſeſſel, rückte mir einen Schemel unter die Füße,
und mengte ſofort in goldener Schale wirklich ihr Wein¬
muß. Sie konnte kaum erwarten, bis ich es ausgeleert,
und ohne im mindeſten an meiner Verwandlung, die
auf der Stelle eintreten würde, zu zweifeln, berührte ſie
mich mit ihrem Stabe, und ſprach: „fort mit dir in
den Schweineſtall, zu deinen Freunden!“ Ich aber riß
das Schwert von der Seite und rannte wie mordbegierig
auf die Zauberin ein. Nun ſchrie ſie laut auf, warf
ſich zu Boden und umfaßte meine Kniee, indem ſie mir
jammernd entgegenrief: „Wehe mir! Wer biſt du, Ge¬
waltiger, den mein Trank nicht zu verwandeln vermag?

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[146/0168] mir Moly,) „ſo vermag ihr Betrug nicht dir zu ſchaden. Sie wird dir nämlich ein ſüßes Weinmuß bereiten, und ihre Zauberſäfte darein mengen. Dieſes Kraut aber wird ſie verhindern, dich in ein Vieh zu verwandeln. Wenn ſie dich dann mit ihrem langen Zauberſtabe berührt, ſo reiß du dir nur dein ſcharfes Schwert von der Hüfte, und renn' auf ſie los, als wollteſt du ſie ermorden. Dann zwingſt du ihr leicht einen heiligen Eid ab, daß ſie kei¬ nerlei Tücke an dir üben wolle. Du magſt alsdann ohne Gefahr bei ihr wohnen und ihr in Allem zu Willen ſeyn, und wenn ihr vertraut geworden ſeyd, wird ſie dir auch deine Bitte nicht abſchlagen und dir deine Freunde zurückgeben!“ So ſprach Hermes und verließ mich, in den Olymp zurückkehrend. Ich ſelbſt eilte unruhig und nachdenklich dem Palaſte der Zauberin entgegen. Auf meinen Ruf öffnete ſie die Pforte und hieß mich freundlich herein¬ treten, was ich, obwohl mit einem Herzen voll Ingrimm, auch that. Nun führte ſie mich zu einem herrlichen Thronſeſſel, rückte mir einen Schemel unter die Füße, und mengte ſofort in goldener Schale wirklich ihr Wein¬ muß. Sie konnte kaum erwarten, bis ich es ausgeleert, und ohne im mindeſten an meiner Verwandlung, die auf der Stelle eintreten würde, zu zweifeln, berührte ſie mich mit ihrem Stabe, und ſprach: „fort mit dir in den Schweineſtall, zu deinen Freunden!“ Ich aber riß das Schwert von der Seite und rannte wie mordbegierig auf die Zauberin ein. Nun ſchrie ſie laut auf, warf ſich zu Boden und umfaßte meine Kniee, indem ſie mir jammernd entgegenrief: „Wehe mir! Wer biſt du, Ge¬ waltiger, den mein Trank nicht zu verwandeln vermag?

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/168>, abgerufen am 22.11.2024.