Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

und Beherrscher. Als sie nun aber in die Stadt und
an den Palast kamen, so erstarrten sie erst vor Entsetzen.
Da stand die Gemahlin des Lästrygonenköniges vor
ihnen, so riesengroß, wie der Gipfel eines Berges. Denn
die Lästrygonen waren Riesen und Menschenfresser. Auch
rief die Königin sogleich ihrem Gemahl und dieser griff
zum Gruße nach dem einen der Gesandten und befahl
sogleich, ihn für sich zum Abendessen zuzurüsten. Die
zwei andern nahmen in der Todesangst die Flucht nach
den Schiffen. Der König aber rief brüllend die ganze
Stadt unter die Waffen, und über tausend Lästrygonen,
lauter Riesen, den Giganten ähnlich, kamen heraus und
schleuderten große Feldsteine nach uns, so daß man auf
den Schiffen nichts als das Geschrei Sterbender und
das Zusammenkrachen der getroffenen Schiffsbalken hörte.
Nur mein eigenes Schiff war von mir hinter einem
Felsen so angebunden worden, daß es die Steine nicht
treffen konnten. Als nun die übrigen Schiffe am Ver¬
sinken waren, nahm ich von ihrer Mannschaft in dasselbe
auf, so viel meiner Freunde noch unverletzt waren, und
entrann mit ihnen auf meinem Schiffe unversehrt aus
dem Hafen. Die andern Fahrzeuge alle versanken mit
einer Unzahl Todter und Sterbender in den Abgrund.

Nun fuhren wir auf dem einzigen Schiffe zusam¬
mengedrängt weiter und kamen wieder an eine Insel
mit Namen Aeäa. Hier wohnte eine sehr schöne Halb¬
göttin, die Tochter des Sonnengottes und der Oceanus¬
tochter Perse, und Schwester des Königes Aretes. Sie
hieß Circe und hatte einen herrlichen Palast auf der
Insel. Wir aber wußten nichts von ihr. Wir fuhren
in eine Bucht der Insel ein, legten unser Schiff vor

und Beherrſcher. Als ſie nun aber in die Stadt und
an den Palaſt kamen, ſo erſtarrten ſie erſt vor Entſetzen.
Da ſtand die Gemahlin des Läſtrygonenköniges vor
ihnen, ſo rieſengroß, wie der Gipfel eines Berges. Denn
die Läſtrygonen waren Rieſen und Menſchenfreſſer. Auch
rief die Königin ſogleich ihrem Gemahl und dieſer griff
zum Gruße nach dem einen der Geſandten und befahl
ſogleich, ihn für ſich zum Abendeſſen zuzurüſten. Die
zwei andern nahmen in der Todesangſt die Flucht nach
den Schiffen. Der König aber rief brüllend die ganze
Stadt unter die Waffen, und über tauſend Läſtrygonen,
lauter Rieſen, den Giganten ähnlich, kamen heraus und
ſchleuderten große Feldſteine nach uns, ſo daß man auf
den Schiffen nichts als das Geſchrei Sterbender und
das Zuſammenkrachen der getroffenen Schiffsbalken hörte.
Nur mein eigenes Schiff war von mir hinter einem
Felſen ſo angebunden worden, daß es die Steine nicht
treffen konnten. Als nun die übrigen Schiffe am Ver¬
ſinken waren, nahm ich von ihrer Mannſchaft in daſſelbe
auf, ſo viel meiner Freunde noch unverletzt waren, und
entrann mit ihnen auf meinem Schiffe unverſehrt aus
dem Hafen. Die andern Fahrzeuge alle verſanken mit
einer Unzahl Todter und Sterbender in den Abgrund.

Nun fuhren wir auf dem einzigen Schiffe zuſam¬
mengedrängt weiter und kamen wieder an eine Inſel
mit Namen Aeäa. Hier wohnte eine ſehr ſchöne Halb¬
göttin, die Tochter des Sonnengottes und der Oceanus¬
tochter Perſe, und Schweſter des Königes Aretes. Sie
hieß Circe und hatte einen herrlichen Palaſt auf der
Inſel. Wir aber wußten nichts von ihr. Wir fuhren
in eine Bucht der Inſel ein, legten unſer Schiff vor

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0163" n="141"/>
und Beherr&#x017F;cher. Als &#x017F;ie nun aber in die Stadt und<lb/>
an den Pala&#x017F;t kamen, &#x017F;o er&#x017F;tarrten &#x017F;ie er&#x017F;t vor Ent&#x017F;etzen.<lb/>
Da &#x017F;tand die Gemahlin des Lä&#x017F;trygonenköniges vor<lb/>
ihnen, &#x017F;o rie&#x017F;engroß, wie der Gipfel eines Berges. Denn<lb/>
die Lä&#x017F;trygonen waren Rie&#x017F;en und Men&#x017F;chenfre&#x017F;&#x017F;er. Auch<lb/>
rief die Königin &#x017F;ogleich ihrem Gemahl und die&#x017F;er griff<lb/>
zum Gruße nach dem einen der Ge&#x017F;andten und befahl<lb/>
&#x017F;ogleich, ihn für &#x017F;ich zum Abende&#x017F;&#x017F;en zuzurü&#x017F;ten. Die<lb/>
zwei andern nahmen in der Todesang&#x017F;t die Flucht nach<lb/>
den Schiffen. Der König aber rief brüllend die ganze<lb/>
Stadt unter die Waffen, und über tau&#x017F;end Lä&#x017F;trygonen,<lb/>
lauter Rie&#x017F;en, den Giganten ähnlich, kamen heraus und<lb/>
&#x017F;chleuderten große Feld&#x017F;teine nach uns, &#x017F;o daß man auf<lb/>
den Schiffen nichts als das Ge&#x017F;chrei Sterbender und<lb/>
das Zu&#x017F;ammenkrachen der getroffenen Schiffsbalken hörte.<lb/>
Nur mein eigenes Schiff war von mir hinter einem<lb/>
Fel&#x017F;en &#x017F;o angebunden worden, daß es die Steine nicht<lb/>
treffen konnten. Als nun die übrigen Schiffe am Ver¬<lb/>
&#x017F;inken waren, nahm ich von ihrer Mann&#x017F;chaft in da&#x017F;&#x017F;elbe<lb/>
auf, &#x017F;o viel meiner Freunde noch unverletzt waren, und<lb/>
entrann mit ihnen auf meinem Schiffe unver&#x017F;ehrt aus<lb/>
dem Hafen. Die andern Fahrzeuge alle ver&#x017F;anken mit<lb/>
einer Unzahl Todter und Sterbender in den Abgrund.</p><lb/>
              <p>Nun fuhren wir auf dem einzigen Schiffe zu&#x017F;am¬<lb/>
mengedrängt weiter und kamen wieder an eine In&#x017F;el<lb/>
mit Namen Aeäa. Hier wohnte eine &#x017F;ehr &#x017F;chöne Halb¬<lb/>
göttin, die Tochter des Sonnengottes und der Oceanus¬<lb/>
tochter Per&#x017F;e, und Schwe&#x017F;ter des Königes Aretes. Sie<lb/>
hieß <hi rendition="#g">Circe</hi> und hatte einen herrlichen Pala&#x017F;t auf der<lb/>
In&#x017F;el. Wir aber wußten nichts von ihr. Wir fuhren<lb/>
in eine Bucht der In&#x017F;el ein, legten un&#x017F;er Schiff vor<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[141/0163] und Beherrſcher. Als ſie nun aber in die Stadt und an den Palaſt kamen, ſo erſtarrten ſie erſt vor Entſetzen. Da ſtand die Gemahlin des Läſtrygonenköniges vor ihnen, ſo rieſengroß, wie der Gipfel eines Berges. Denn die Läſtrygonen waren Rieſen und Menſchenfreſſer. Auch rief die Königin ſogleich ihrem Gemahl und dieſer griff zum Gruße nach dem einen der Geſandten und befahl ſogleich, ihn für ſich zum Abendeſſen zuzurüſten. Die zwei andern nahmen in der Todesangſt die Flucht nach den Schiffen. Der König aber rief brüllend die ganze Stadt unter die Waffen, und über tauſend Läſtrygonen, lauter Rieſen, den Giganten ähnlich, kamen heraus und ſchleuderten große Feldſteine nach uns, ſo daß man auf den Schiffen nichts als das Geſchrei Sterbender und das Zuſammenkrachen der getroffenen Schiffsbalken hörte. Nur mein eigenes Schiff war von mir hinter einem Felſen ſo angebunden worden, daß es die Steine nicht treffen konnten. Als nun die übrigen Schiffe am Ver¬ ſinken waren, nahm ich von ihrer Mannſchaft in daſſelbe auf, ſo viel meiner Freunde noch unverletzt waren, und entrann mit ihnen auf meinem Schiffe unverſehrt aus dem Hafen. Die andern Fahrzeuge alle verſanken mit einer Unzahl Todter und Sterbender in den Abgrund. Nun fuhren wir auf dem einzigen Schiffe zuſam¬ mengedrängt weiter und kamen wieder an eine Inſel mit Namen Aeäa. Hier wohnte eine ſehr ſchöne Halb¬ göttin, die Tochter des Sonnengottes und der Oceanus¬ tochter Perſe, und Schweſter des Königes Aretes. Sie hieß Circe und hatte einen herrlichen Palaſt auf der Inſel. Wir aber wußten nichts von ihr. Wir fuhren in eine Bucht der Inſel ein, legten unſer Schiff vor

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/163
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/163>, abgerufen am 22.11.2024.