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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

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melkte der Reihe nach die Schafe und Ziegen, legte die
säugenden ans Euter, machte die eine Hälfte der Milch
mit Lab gerinnen, formte Käse daraus, und stellte sie
in Körben zum Trocknen hin; die andere Hälfte ver¬
wahrte er in großen Geschirren; denn das war sein
täglicher Trunk. Wie er mit Allem fertig war, machte
er sich ein Feuer an, und nun geschah es, daß er uns
in unserem Winkel erblickte. Auch wir sahen jetzt erst
seine gräßliche Riesengestalt genau. Er hatte wie alle
Cyklopen nur ein einziges funkelndes Auge in der Stirn,
Beine wie tausendjährige Eichenstämme und Arme und
Hände groß und stark genug, um mit Granitblöcken Ball
zu spielen.

"Wer seyd ihr, Fremdlinge!" fuhr er uns mit sei¬
ner rauhen Stimme an, die klang, wie ein Donner im
Gebirge, "woher kommt ihr über das Meer gefahren?
Ist die Seeräuberei euer Geschäft, oder was treibt ihr?"
Bei dem Gebrüll bebte uns das Herz im Leibe. Doch
nahm ich mich zusammen und erwiederte: "Ach nein;
wir sind Griechen, kommen von der Zerstörung Troja's
zurück, und haben uns während der Heimfahrt auf dem
Meere verirrt. So nahen wir deinen Knieen und flehen
dich um Schutz und eine Gabe an. Ja, scheue die
Götter, lieber Mann! und erhöre uns. Denn Jupiter
beschirmt die Schutzflehenden und rächt ihre Mißhandlung!"

Aber der Cyklop erwiederte mit gräßlichem Lachen:
"du bist ein rechter Thor, o Fremdling, und weissest nicht,
mit wem du es zu thun hast! Meinst du wir kümmern
uns um die Götter und ihre Rache? Was gilt den
Cyklopen Zeus der Donnerer und alle Götter mit ein¬
ander! Sind wir doch viel vortrefflicher als sie! Wills

melkte der Reihe nach die Schafe und Ziegen, legte die
ſäugenden ans Euter, machte die eine Hälfte der Milch
mit Lab gerinnen, formte Käſe daraus, und ſtellte ſie
in Körben zum Trocknen hin; die andere Hälfte ver¬
wahrte er in großen Geſchirren; denn das war ſein
täglicher Trunk. Wie er mit Allem fertig war, machte
er ſich ein Feuer an, und nun geſchah es, daß er uns
in unſerem Winkel erblickte. Auch wir ſahen jetzt erſt
ſeine gräßliche Rieſengeſtalt genau. Er hatte wie alle
Cyklopen nur ein einziges funkelndes Auge in der Stirn,
Beine wie tauſendjährige Eichenſtämme und Arme und
Hände groß und ſtark genug, um mit Granitblöcken Ball
zu ſpielen.

„Wer ſeyd ihr, Fremdlinge!“ fuhr er uns mit ſei¬
ner rauhen Stimme an, die klang, wie ein Donner im
Gebirge, „woher kommt ihr über das Meer gefahren?
Iſt die Seeräuberei euer Geſchäft, oder was treibt ihr?“
Bei dem Gebrüll bebte uns das Herz im Leibe. Doch
nahm ich mich zuſammen und erwiederte: „Ach nein;
wir ſind Griechen, kommen von der Zerſtörung Troja's
zurück, und haben uns während der Heimfahrt auf dem
Meere verirrt. So nahen wir deinen Knieen und flehen
dich um Schutz und eine Gabe an. Ja, ſcheue die
Götter, lieber Mann! und erhöre uns. Denn Jupiter
beſchirmt die Schutzflehenden und rächt ihre Mißhandlung!“

Aber der Cyklop erwiederte mit gräßlichem Lachen:
„du biſt ein rechter Thor, o Fremdling, und weiſſeſt nicht,
mit wem du es zu thun haſt! Meinſt du wir kümmern
uns um die Götter und ihre Rache? Was gilt den
Cyklopen Zeus der Donnerer und alle Götter mit ein¬
ander! Sind wir doch viel vortrefflicher als ſie! Wills

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[128/0150] melkte der Reihe nach die Schafe und Ziegen, legte die ſäugenden ans Euter, machte die eine Hälfte der Milch mit Lab gerinnen, formte Käſe daraus, und ſtellte ſie in Körben zum Trocknen hin; die andere Hälfte ver¬ wahrte er in großen Geſchirren; denn das war ſein täglicher Trunk. Wie er mit Allem fertig war, machte er ſich ein Feuer an, und nun geſchah es, daß er uns in unſerem Winkel erblickte. Auch wir ſahen jetzt erſt ſeine gräßliche Rieſengeſtalt genau. Er hatte wie alle Cyklopen nur ein einziges funkelndes Auge in der Stirn, Beine wie tauſendjährige Eichenſtämme und Arme und Hände groß und ſtark genug, um mit Granitblöcken Ball zu ſpielen. „Wer ſeyd ihr, Fremdlinge!“ fuhr er uns mit ſei¬ ner rauhen Stimme an, die klang, wie ein Donner im Gebirge, „woher kommt ihr über das Meer gefahren? Iſt die Seeräuberei euer Geſchäft, oder was treibt ihr?“ Bei dem Gebrüll bebte uns das Herz im Leibe. Doch nahm ich mich zuſammen und erwiederte: „Ach nein; wir ſind Griechen, kommen von der Zerſtörung Troja's zurück, und haben uns während der Heimfahrt auf dem Meere verirrt. So nahen wir deinen Knieen und flehen dich um Schutz und eine Gabe an. Ja, ſcheue die Götter, lieber Mann! und erhöre uns. Denn Jupiter beſchirmt die Schutzflehenden und rächt ihre Mißhandlung!“ Aber der Cyklop erwiederte mit gräßlichem Lachen: „du biſt ein rechter Thor, o Fremdling, und weiſſeſt nicht, mit wem du es zu thun haſt! Meinſt du wir kümmern uns um die Götter und ihre Rache? Was gilt den Cyklopen Zeus der Donnerer und alle Götter mit ein¬ ander! Sind wir doch viel vortrefflicher als ſie! Wills

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/150>, abgerufen am 22.11.2024.