Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Als die Jünglinge dieses vernahmen, verstummten
sie alle, nur der König nahm das Wort und sagte:
"Wohl hast du uns deine Tüchtigkeit enthüllt, o Fremd¬
ling, und hinfort soll dich kein Mensch mehr wegen dei¬
ner Stärke tadeln. Wenn du nun daheim bei Gattin
und Kindern sitzest, so denk' auch an unsre Mannlichkeit
zurück. Als Faustkämpfer und Ringer thun wir uns
freilich nicht hervor, aber im Wettlaufe siegen wir, und
auf die Schifffahrt verstehen wir uns auch. Schmaus,
Saitenspiel, Reigentanz -- darin sind wir auch Meister;
den schönsten Schmuck, das lindeste Bad, das weichste
Lager -- die findet man bei uns! Auf denn, ihr Tänzer,
ihr Schifflenker, ihr Läufer, ihr Sänger! zeigt euch vor
dem Fremdlinge, daß er zu Hause etwas von euch zu
erzählen hat. Und bringet auch die Harfe des Demo¬
dokus her." Sogleich machte sich ein Herold auf und
schaffte die Harfe herbei. Neun auserwählte Kampf¬
ordner ebneten den Raum für den Tanz und umzirkten
die Schaubühne. Ein Spielmann stellte sich mit der
Harfe in die Mitte, und der Tanz der blühendsten Jüng¬
linge begann; im schönsten Takte, im raschesten Schwunge
hoben sie ihre Füße. Odysseus selbst mußte staunen;
er hatte noch nie so behenden und anmuthigen Tanz
gesehen. Dazu sang der Sänger ein liebliches Lied von
den heitersten Geschichten aus dem Leben der Götter.
Nachdem der Reigentanz lange genug gedauert, hieß der
König seinen Sohn Laodamas und den geschmeidigen
Halius den Einzeltanz mit einander aufführen; denn mit
ihnen wagte es Niemand, sich zu messen. Diese nahmen
einen zierlichen purpurrothen Ball zur Hand, und der
eine schwang ihn, indem er sich rücklings dazu beugte,

Als die Jünglinge dieſes vernahmen, verſtummten
ſie alle, nur der König nahm das Wort und ſagte:
„Wohl haſt du uns deine Tüchtigkeit enthüllt, o Fremd¬
ling, und hinfort ſoll dich kein Menſch mehr wegen dei¬
ner Stärke tadeln. Wenn du nun daheim bei Gattin
und Kindern ſitzeſt, ſo denk' auch an unſre Mannlichkeit
zurück. Als Fauſtkämpfer und Ringer thun wir uns
freilich nicht hervor, aber im Wettlaufe ſiegen wir, und
auf die Schifffahrt verſtehen wir uns auch. Schmaus,
Saitenſpiel, Reigentanz — darin ſind wir auch Meiſter;
den ſchönſten Schmuck, das lindeſte Bad, das weichſte
Lager — die findet man bei uns! Auf denn, ihr Tänzer,
ihr Schifflenker, ihr Läufer, ihr Sänger! zeigt euch vor
dem Fremdlinge, daß er zu Hauſe etwas von euch zu
erzählen hat. Und bringet auch die Harfe des Demo¬
dokus her.“ Sogleich machte ſich ein Herold auf und
ſchaffte die Harfe herbei. Neun auserwählte Kampf¬
ordner ebneten den Raum für den Tanz und umzirkten
die Schaubühne. Ein Spielmann ſtellte ſich mit der
Harfe in die Mitte, und der Tanz der blühendſten Jüng¬
linge begann; im ſchönſten Takte, im raſcheſten Schwunge
hoben ſie ihre Füße. Odyſſeus ſelbſt mußte ſtaunen;
er hatte noch nie ſo behenden und anmuthigen Tanz
geſehen. Dazu ſang der Sänger ein liebliches Lied von
den heiterſten Geſchichten aus dem Leben der Götter.
Nachdem der Reigentanz lange genug gedauert, hieß der
König ſeinen Sohn Laodamas und den geſchmeidigen
Halius den Einzeltanz mit einander aufführen; denn mit
ihnen wagte es Niemand, ſich zu meſſen. Dieſe nahmen
einen zierlichen purpurrothen Ball zur Hand, und der
eine ſchwang ihn, indem er ſich rücklings dazu beugte,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0140" n="118"/>
            <p>Als die Jünglinge die&#x017F;es vernahmen, ver&#x017F;tummten<lb/>
&#x017F;ie alle, nur der König nahm das Wort und &#x017F;agte:<lb/>
&#x201E;Wohl ha&#x017F;t du uns deine Tüchtigkeit enthüllt, o Fremd¬<lb/>
ling, und hinfort &#x017F;oll dich kein Men&#x017F;ch mehr wegen dei¬<lb/>
ner Stärke tadeln. Wenn du nun daheim bei Gattin<lb/>
und Kindern &#x017F;itze&#x017F;t, &#x017F;o denk' auch an un&#x017F;re Mannlichkeit<lb/>
zurück. Als Fau&#x017F;tkämpfer und Ringer thun wir uns<lb/>
freilich nicht hervor, aber im Wettlaufe &#x017F;iegen wir, und<lb/>
auf die Schifffahrt ver&#x017F;tehen wir uns auch. Schmaus,<lb/>
Saiten&#x017F;piel, Reigentanz &#x2014; darin &#x017F;ind wir auch Mei&#x017F;ter;<lb/>
den &#x017F;chön&#x017F;ten Schmuck, das linde&#x017F;te Bad, das weich&#x017F;te<lb/>
Lager &#x2014; die findet man bei uns! Auf denn, ihr Tänzer,<lb/>
ihr Schifflenker, ihr Läufer, ihr Sänger! zeigt euch vor<lb/>
dem Fremdlinge, daß er zu Hau&#x017F;e etwas von euch zu<lb/>
erzählen hat. Und bringet auch die Harfe des Demo¬<lb/>
dokus her.&#x201C; Sogleich machte &#x017F;ich ein Herold auf und<lb/>
&#x017F;chaffte die Harfe herbei. Neun auserwählte Kampf¬<lb/>
ordner ebneten den Raum für den Tanz und umzirkten<lb/>
die Schaubühne. Ein Spielmann &#x017F;tellte &#x017F;ich mit der<lb/>
Harfe in die Mitte, und der Tanz der blühend&#x017F;ten Jüng¬<lb/>
linge begann; im &#x017F;chön&#x017F;ten Takte, im ra&#x017F;che&#x017F;ten Schwunge<lb/>
hoben &#x017F;ie ihre Füße. Ody&#x017F;&#x017F;eus &#x017F;elb&#x017F;t mußte &#x017F;taunen;<lb/>
er hatte noch nie &#x017F;o behenden und anmuthigen Tanz<lb/>
ge&#x017F;ehen. Dazu &#x017F;ang der Sänger ein liebliches Lied von<lb/>
den heiter&#x017F;ten Ge&#x017F;chichten aus dem Leben der Götter.<lb/>
Nachdem der Reigentanz lange genug gedauert, hieß der<lb/>
König &#x017F;einen Sohn Laodamas und den ge&#x017F;chmeidigen<lb/>
Halius den Einzeltanz mit einander aufführen; denn mit<lb/>
ihnen wagte es Niemand, &#x017F;ich zu me&#x017F;&#x017F;en. Die&#x017F;e nahmen<lb/>
einen zierlichen purpurrothen Ball zur Hand, und der<lb/>
eine &#x017F;chwang ihn, indem er &#x017F;ich rücklings dazu beugte,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[118/0140] Als die Jünglinge dieſes vernahmen, verſtummten ſie alle, nur der König nahm das Wort und ſagte: „Wohl haſt du uns deine Tüchtigkeit enthüllt, o Fremd¬ ling, und hinfort ſoll dich kein Menſch mehr wegen dei¬ ner Stärke tadeln. Wenn du nun daheim bei Gattin und Kindern ſitzeſt, ſo denk' auch an unſre Mannlichkeit zurück. Als Fauſtkämpfer und Ringer thun wir uns freilich nicht hervor, aber im Wettlaufe ſiegen wir, und auf die Schifffahrt verſtehen wir uns auch. Schmaus, Saitenſpiel, Reigentanz — darin ſind wir auch Meiſter; den ſchönſten Schmuck, das lindeſte Bad, das weichſte Lager — die findet man bei uns! Auf denn, ihr Tänzer, ihr Schifflenker, ihr Läufer, ihr Sänger! zeigt euch vor dem Fremdlinge, daß er zu Hauſe etwas von euch zu erzählen hat. Und bringet auch die Harfe des Demo¬ dokus her.“ Sogleich machte ſich ein Herold auf und ſchaffte die Harfe herbei. Neun auserwählte Kampf¬ ordner ebneten den Raum für den Tanz und umzirkten die Schaubühne. Ein Spielmann ſtellte ſich mit der Harfe in die Mitte, und der Tanz der blühendſten Jüng¬ linge begann; im ſchönſten Takte, im raſcheſten Schwunge hoben ſie ihre Füße. Odyſſeus ſelbſt mußte ſtaunen; er hatte noch nie ſo behenden und anmuthigen Tanz geſehen. Dazu ſang der Sänger ein liebliches Lied von den heiterſten Geſchichten aus dem Leben der Götter. Nachdem der Reigentanz lange genug gedauert, hieß der König ſeinen Sohn Laodamas und den geſchmeidigen Halius den Einzeltanz mit einander aufführen; denn mit ihnen wagte es Niemand, ſich zu meſſen. Dieſe nahmen einen zierlichen purpurrothen Ball zur Hand, und der eine ſchwang ihn, indem er ſich rücklings dazu beugte,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/140
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/140>, abgerufen am 23.11.2024.