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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

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die Gabe des Liedes verliehen hatte und der mit seinem
begeisterten Gesange das Herz der Gäste erfreuen sollte.

Nachdem die Volksversammlung aufgehoben war,
rüsteten die Jünglinge, wie ihnen befohlen war, das
Schiff, brachten Mast und Segel hinein, hängten die
Ruder in lederne Schleifen und spannten die Segeltücher
auf. Dann begaben sie sich in den Palast des Königes.
Hier waren Hallen, Höfe und Säle schon voll von Ge¬
ladenen, denn Jung und Alt hatte sich eingefunden.
Zwölf Schafe, acht Schweine und zwei Stiere waren
für das Mahl geschlachtet worden, und der liebliche
Festschmaus dampfte schon. Auch den Sänger führte
der Herold herbei, dem die Muse Gutes und Böses be¬
scheert hatte; das Licht der Augen hatte sie ihm genom¬
men, dafür aber das Herz ihm mit lichten Gesängen
aufgehellt. Diesem stellte der Herold einen Sessel an
der Säule des Saales, mitten unter den Gästen; da¬
rauf hängte er über dem Haupte des Sängers die Harfe
an einen Nagel, und führte ihm die Hand, daß der
Blinde sie finden konnte. Vor ihn hin stellte er einen
Tisch mit dem Speisekorb und dem immer vollen Becher,
daß er nach Herzenslust trinken konnte. Wie nun das
Mahl vorüber war, hub der Sänger sein Lied an aus
den schon damals berühmt gewordenen Heldenliedern von
Troja. Der Inhalt seines Gesanges aber war der Streit
zweier Helden, deren Name auf Aller Lippen war, des
Achilles und des Odysseus.

Als unser Held seinen Namen nennen und im Liede
feiern hörte, mußte er das Haupt im Gewande verber¬
gen, damit man die Thräne nicht gewahr würde, die
sich ihm aus den Augen stahl. So oft der Sänger

die Gabe des Liedes verliehen hatte und der mit ſeinem
begeiſterten Geſange das Herz der Gäſte erfreuen ſollte.

Nachdem die Volksverſammlung aufgehoben war,
rüſteten die Jünglinge, wie ihnen befohlen war, das
Schiff, brachten Maſt und Segel hinein, hängten die
Ruder in lederne Schleifen und ſpannten die Segeltücher
auf. Dann begaben ſie ſich in den Palaſt des Königes.
Hier waren Hallen, Höfe und Säle ſchon voll von Ge¬
ladenen, denn Jung und Alt hatte ſich eingefunden.
Zwölf Schafe, acht Schweine und zwei Stiere waren
für das Mahl geſchlachtet worden, und der liebliche
Feſtſchmaus dampfte ſchon. Auch den Sänger führte
der Herold herbei, dem die Muſe Gutes und Böſes be¬
ſcheert hatte; das Licht der Augen hatte ſie ihm genom¬
men, dafür aber das Herz ihm mit lichten Geſängen
aufgehellt. Dieſem ſtellte der Herold einen Seſſel an
der Säule des Saales, mitten unter den Gäſten; da¬
rauf hängte er über dem Haupte des Sängers die Harfe
an einen Nagel, und führte ihm die Hand, daß der
Blinde ſie finden konnte. Vor ihn hin ſtellte er einen
Tiſch mit dem Speiſekorb und dem immer vollen Becher,
daß er nach Herzensluſt trinken konnte. Wie nun das
Mahl vorüber war, hub der Sänger ſein Lied an aus
den ſchon damals berühmt gewordenen Heldenliedern von
Troja. Der Inhalt ſeines Geſanges aber war der Streit
zweier Helden, deren Name auf Aller Lippen war, des
Achilles und des Odyſſeus.

Als unſer Held ſeinen Namen nennen und im Liede
feiern hörte, mußte er das Haupt im Gewande verber¬
gen, damit man die Thräne nicht gewahr würde, die
ſich ihm aus den Augen ſtahl. So oft der Sänger

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[114/0136] die Gabe des Liedes verliehen hatte und der mit ſeinem begeiſterten Geſange das Herz der Gäſte erfreuen ſollte. Nachdem die Volksverſammlung aufgehoben war, rüſteten die Jünglinge, wie ihnen befohlen war, das Schiff, brachten Maſt und Segel hinein, hängten die Ruder in lederne Schleifen und ſpannten die Segeltücher auf. Dann begaben ſie ſich in den Palaſt des Königes. Hier waren Hallen, Höfe und Säle ſchon voll von Ge¬ ladenen, denn Jung und Alt hatte ſich eingefunden. Zwölf Schafe, acht Schweine und zwei Stiere waren für das Mahl geſchlachtet worden, und der liebliche Feſtſchmaus dampfte ſchon. Auch den Sänger führte der Herold herbei, dem die Muſe Gutes und Böſes be¬ ſcheert hatte; das Licht der Augen hatte ſie ihm genom¬ men, dafür aber das Herz ihm mit lichten Geſängen aufgehellt. Dieſem ſtellte der Herold einen Seſſel an der Säule des Saales, mitten unter den Gäſten; da¬ rauf hängte er über dem Haupte des Sängers die Harfe an einen Nagel, und führte ihm die Hand, daß der Blinde ſie finden konnte. Vor ihn hin ſtellte er einen Tiſch mit dem Speiſekorb und dem immer vollen Becher, daß er nach Herzensluſt trinken konnte. Wie nun das Mahl vorüber war, hub der Sänger ſein Lied an aus den ſchon damals berühmt gewordenen Heldenliedern von Troja. Der Inhalt ſeines Geſanges aber war der Streit zweier Helden, deren Name auf Aller Lippen war, des Achilles und des Odyſſeus. Als unſer Held ſeinen Namen nennen und im Liede feiern hörte, mußte er das Haupt im Gewande verber¬ gen, damit man die Thräne nicht gewahr würde, die ſich ihm aus den Augen ſtahl. So oft der Sänger

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/136>, abgerufen am 24.11.2024.