Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

wie gerne wollte ich dir Haus und Besitzungen gewäh¬
ren, wenn du bei uns bliebest! doch mit Zwang will ich
Niemand bei mir halten, und morgen noch sollst du freies
Geleite von mir bekommen; ich gebe dir Schiff und
Ruderer wohin du fahren willst, und wäre deine Hei¬
math so weit, als die entfernteste Insel, nach welcher
wir Schiffahrt treiben!"

Odysseus vernahm dieses Versprechen mit innigem
Danke, verabschiedete sich von seinen königlichen Wirthen
und erholte sich auf weichem Nachtlager von allen er¬
duldeten Mühseligkeiten.

Am andern Morgen in aller Frühe berief der Kö¬
nig Alcinous das Volk zu einer Versammlung auf den
Marktplatz der Stadt; sein Gast mußte ihn dorthin be¬
gleiten, da setzten sich beide neben einander auf zwei
schön behauene Steine. Inzwischen durchwandelte die
Göttin Athene, in einen Herold verwandelt, die Straßen
der Stadt und trieb die Häupter des Volkes an, der
Versammlung beizuwohnen. Endlich füllten sich die Gänge
und Sitze des Marktes mit den zusammenströmenden
Bürgern. Alle schauten mit Bewunderung auf den Sohn
des Laertes, dem Minerva, seine Beschirmerin, immer
noch eine überirdische Hoheit in Wuchs und Gestalt
verliehen hatte. Alsdann empfahl der König in einer
feierlichen Rede dem Volke den Fremdling, und ermunterte
dasselbe ihm ein gutes Ruderschiff mit zweiundfünfzig
phäakischen Jünglingen zur Verfügung zu stellen. Zu¬
gleich lud er die anwesenden Häupter des Volkes zu einem
Festmahle, das dem Fremden zu Ehren gegeben werden
sollte, in seinen Palast ein und befahl auch den De¬
modokus zu berufen, den göttlichen Sänger, dem Apollo

Schwab, das klass. Alterthum. III. 8

wie gerne wollte ich dir Haus und Beſitzungen gewäh¬
ren, wenn du bei uns bliebeſt! doch mit Zwang will ich
Niemand bei mir halten, und morgen noch ſollſt du freies
Geleite von mir bekommen; ich gebe dir Schiff und
Ruderer wohin du fahren willſt, und wäre deine Hei¬
math ſo weit, als die entfernteſte Inſel, nach welcher
wir Schiffahrt treiben!“

Odyſſeus vernahm dieſes Verſprechen mit innigem
Danke, verabſchiedete ſich von ſeinen königlichen Wirthen
und erholte ſich auf weichem Nachtlager von allen er¬
duldeten Mühſeligkeiten.

Am andern Morgen in aller Frühe berief der Kö¬
nig Alcinous das Volk zu einer Verſammlung auf den
Marktplatz der Stadt; ſein Gaſt mußte ihn dorthin be¬
gleiten, da ſetzten ſich beide neben einander auf zwei
ſchön behauene Steine. Inzwiſchen durchwandelte die
Göttin Athene, in einen Herold verwandelt, die Straßen
der Stadt und trieb die Häupter des Volkes an, der
Verſammlung beizuwohnen. Endlich füllten ſich die Gänge
und Sitze des Marktes mit den zuſammenſtrömenden
Bürgern. Alle ſchauten mit Bewunderung auf den Sohn
des Laertes, dem Minerva, ſeine Beſchirmerin, immer
noch eine überirdiſche Hoheit in Wuchs und Geſtalt
verliehen hatte. Alsdann empfahl der König in einer
feierlichen Rede dem Volke den Fremdling, und ermunterte
daſſelbe ihm ein gutes Ruderſchiff mit zweiundfünfzig
phäakiſchen Jünglingen zur Verfügung zu ſtellen. Zu¬
gleich lud er die anweſenden Häupter des Volkes zu einem
Feſtmahle, das dem Fremden zu Ehren gegeben werden
ſollte, in ſeinen Palaſt ein und befahl auch den De¬
modokus zu berufen, den göttlichen Sänger, dem Apollo

Schwab, das klaſſ. Alterthum. III. 8
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0135" n="113"/>
wie gerne wollte ich dir Haus und Be&#x017F;itzungen gewäh¬<lb/>
ren, wenn du bei uns bliebe&#x017F;t! doch mit Zwang will ich<lb/>
Niemand bei mir halten, und morgen noch &#x017F;oll&#x017F;t du freies<lb/>
Geleite von mir bekommen; ich gebe dir Schiff und<lb/>
Ruderer wohin du fahren will&#x017F;t, und wäre deine Hei¬<lb/>
math &#x017F;o weit, als die entfernte&#x017F;te In&#x017F;el, nach welcher<lb/>
wir Schiffahrt treiben!&#x201C;</p><lb/>
            <p>Ody&#x017F;&#x017F;eus vernahm die&#x017F;es Ver&#x017F;prechen mit innigem<lb/>
Danke, verab&#x017F;chiedete &#x017F;ich von &#x017F;einen königlichen Wirthen<lb/>
und erholte &#x017F;ich auf weichem Nachtlager von allen er¬<lb/>
duldeten Müh&#x017F;eligkeiten.</p><lb/>
            <p>Am andern Morgen in aller Frühe berief der Kö¬<lb/>
nig Alcinous das Volk zu einer Ver&#x017F;ammlung auf den<lb/>
Marktplatz der Stadt; &#x017F;ein Ga&#x017F;t mußte ihn dorthin be¬<lb/>
gleiten, da &#x017F;etzten &#x017F;ich beide neben einander auf zwei<lb/>
&#x017F;chön behauene Steine. Inzwi&#x017F;chen durchwandelte die<lb/>
Göttin Athene, in einen Herold verwandelt, die Straßen<lb/>
der Stadt und trieb die Häupter des Volkes an, der<lb/>
Ver&#x017F;ammlung beizuwohnen. Endlich füllten &#x017F;ich die Gänge<lb/>
und Sitze des Marktes mit den zu&#x017F;ammen&#x017F;trömenden<lb/>
Bürgern. Alle &#x017F;chauten mit Bewunderung auf den Sohn<lb/>
des Laertes, dem Minerva, &#x017F;eine Be&#x017F;chirmerin, immer<lb/>
noch eine überirdi&#x017F;che Hoheit in Wuchs und Ge&#x017F;talt<lb/>
verliehen hatte. Alsdann empfahl der König in einer<lb/>
feierlichen Rede dem Volke den Fremdling, und ermunterte<lb/>
da&#x017F;&#x017F;elbe ihm ein gutes Ruder&#x017F;chiff mit zweiundfünfzig<lb/>
phäaki&#x017F;chen Jünglingen zur Verfügung zu &#x017F;tellen. Zu¬<lb/>
gleich lud er die anwe&#x017F;enden Häupter des Volkes zu einem<lb/>
Fe&#x017F;tmahle, das dem Fremden zu Ehren gegeben werden<lb/>
&#x017F;ollte, in &#x017F;einen Pala&#x017F;t ein und befahl auch den De¬<lb/>
modokus zu berufen, den göttlichen Sänger, dem Apollo<lb/>
<fw type="sig" place="bottom"><hi rendition="#g">Schwab</hi>, das kla&#x017F;&#x017F;. Alterthum. <hi rendition="#aq">III</hi>. 8<lb/></fw>
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[113/0135] wie gerne wollte ich dir Haus und Beſitzungen gewäh¬ ren, wenn du bei uns bliebeſt! doch mit Zwang will ich Niemand bei mir halten, und morgen noch ſollſt du freies Geleite von mir bekommen; ich gebe dir Schiff und Ruderer wohin du fahren willſt, und wäre deine Hei¬ math ſo weit, als die entfernteſte Inſel, nach welcher wir Schiffahrt treiben!“ Odyſſeus vernahm dieſes Verſprechen mit innigem Danke, verabſchiedete ſich von ſeinen königlichen Wirthen und erholte ſich auf weichem Nachtlager von allen er¬ duldeten Mühſeligkeiten. Am andern Morgen in aller Frühe berief der Kö¬ nig Alcinous das Volk zu einer Verſammlung auf den Marktplatz der Stadt; ſein Gaſt mußte ihn dorthin be¬ gleiten, da ſetzten ſich beide neben einander auf zwei ſchön behauene Steine. Inzwiſchen durchwandelte die Göttin Athene, in einen Herold verwandelt, die Straßen der Stadt und trieb die Häupter des Volkes an, der Verſammlung beizuwohnen. Endlich füllten ſich die Gänge und Sitze des Marktes mit den zuſammenſtrömenden Bürgern. Alle ſchauten mit Bewunderung auf den Sohn des Laertes, dem Minerva, ſeine Beſchirmerin, immer noch eine überirdiſche Hoheit in Wuchs und Geſtalt verliehen hatte. Alsdann empfahl der König in einer feierlichen Rede dem Volke den Fremdling, und ermunterte daſſelbe ihm ein gutes Ruderſchiff mit zweiundfünfzig phäakiſchen Jünglingen zur Verfügung zu ſtellen. Zu¬ gleich lud er die anweſenden Häupter des Volkes zu einem Feſtmahle, das dem Fremden zu Ehren gegeben werden ſollte, in ſeinen Palaſt ein und befahl auch den De¬ modokus zu berufen, den göttlichen Sänger, dem Apollo Schwab, das klaſſ. Alterthum. III. 8

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/135
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/135>, abgerufen am 24.11.2024.