ausgebreitet, wo reingespülte Kiesel eine Steinbank bil¬ deten. Alsdann erfrischten sich die Mädchen selbst im Bade und nachdem sie sich mit duftigem Oele gesalbt, verzehrten sie das mitgebrachte Mahl fröhlich am grünen Ufer und harrten, bis ihre Wäsche an den Sonnen¬ strahlen getrocknet wäre.
Nach dem Frühstücke erlustigten sich die Jungfrauen mit Tanz und Ballspiel auf der Wiese, nachdem sie ihre Schleier und was von Kleidern sie hindern konnte, ab¬ gelegt. Nausikaa selbst stimmte zuerst den Gesang dazu an, an hohem Haupt und edlem Angesichte vor allen den reizenden Mädchen hervorragend. Die Jungfrauen thaten ihr alle nach, und ihre Fröhlichkeit war groß. Wie nun die Königstochter einmal den Ball nach einer Gespielin warf, da lenkte ihn die unsichtbar gegenwärtige Göttin Athene so, daß er in die Tiefe des Flußstrudels fallen mußte, und das Mädchen verfehlte. Darüber kreischten die Spielenden alle auf, und Odysseus, dessen Lager in der Nähe unter den Olivenbäumen war, er¬ wachte. Horchend richtete er sich auf und sprach zu sich selber: "In welcher Menschen Gebiet bin ich ge¬ kommen? Bin ich unter wilde Räuberhorden gerathen? Doch deucht mir, ich hörte lustige Mädchenstimmen, wie von Berg- oder Quellennymphen! Da bin ich doch wohl in der Nähe von gesitteten Menschenkindern!"
So sprach er zu sich, und indem er mit der ner¬ vichten Rechten aus dem verwachsenen Gehölz einen dichtbelaubten Zweig abbrach und seine Blöße damit be¬ deckte, tauchte er aus dem Dickicht hervor, und, von der Noth gedrängt, erschien er wie ein wilder Berglöwe unter den zarten Jungfrauen. Er war von dem Meeres¬
ausgebreitet, wo reingeſpülte Kieſel eine Steinbank bil¬ deten. Alsdann erfriſchten ſich die Mädchen ſelbſt im Bade und nachdem ſie ſich mit duftigem Oele geſalbt, verzehrten ſie das mitgebrachte Mahl fröhlich am grünen Ufer und harrten, bis ihre Wäſche an den Sonnen¬ ſtrahlen getrocknet wäre.
Nach dem Frühſtücke erluſtigten ſich die Jungfrauen mit Tanz und Ballſpiel auf der Wieſe, nachdem ſie ihre Schleier und was von Kleidern ſie hindern konnte, ab¬ gelegt. Nauſikaa ſelbſt ſtimmte zuerſt den Geſang dazu an, an hohem Haupt und edlem Angeſichte vor allen den reizenden Mädchen hervorragend. Die Jungfrauen thaten ihr alle nach, und ihre Fröhlichkeit war groß. Wie nun die Königstochter einmal den Ball nach einer Geſpielin warf, da lenkte ihn die unſichtbar gegenwärtige Göttin Athene ſo, daß er in die Tiefe des Flußſtrudels fallen mußte, und das Mädchen verfehlte. Darüber kreiſchten die Spielenden alle auf, und Odyſſeus, deſſen Lager in der Nähe unter den Olivenbäumen war, er¬ wachte. Horchend richtete er ſich auf und ſprach zu ſich ſelber: „In welcher Menſchen Gebiet bin ich ge¬ kommen? Bin ich unter wilde Räuberhorden gerathen? Doch deucht mir, ich hörte luſtige Mädchenſtimmen, wie von Berg- oder Quellennymphen! Da bin ich doch wohl in der Nähe von geſitteten Menſchenkindern!“
So ſprach er zu ſich, und indem er mit der ner¬ vichten Rechten aus dem verwachſenen Gehölz einen dichtbelaubten Zweig abbrach und ſeine Blöße damit be¬ deckte, tauchte er aus dem Dickicht hervor, und, von der Noth gedrängt, erſchien er wie ein wilder Berglöwe unter den zarten Jungfrauen. Er war von dem Meeres¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0125"n="103"/>
ausgebreitet, wo reingeſpülte Kieſel eine Steinbank bil¬<lb/>
deten. Alsdann erfriſchten ſich die Mädchen ſelbſt im<lb/>
Bade und nachdem ſie ſich mit duftigem Oele geſalbt,<lb/>
verzehrten ſie das mitgebrachte Mahl fröhlich am grünen<lb/>
Ufer und harrten, bis ihre Wäſche an den Sonnen¬<lb/>ſtrahlen getrocknet wäre.</p><lb/><p>Nach dem Frühſtücke erluſtigten ſich die Jungfrauen<lb/>
mit Tanz und Ballſpiel auf der Wieſe, nachdem ſie ihre<lb/>
Schleier und was von Kleidern ſie hindern konnte, ab¬<lb/>
gelegt. Nauſikaa ſelbſt ſtimmte zuerſt den Geſang dazu<lb/>
an, an hohem Haupt und edlem Angeſichte vor allen<lb/>
den reizenden Mädchen hervorragend. Die Jungfrauen<lb/>
thaten ihr alle nach, und ihre Fröhlichkeit war groß.<lb/>
Wie nun die Königstochter einmal den Ball nach einer<lb/>
Geſpielin warf, da lenkte ihn die unſichtbar gegenwärtige<lb/>
Göttin Athene ſo, daß er in die Tiefe des Flußſtrudels<lb/>
fallen mußte, und das Mädchen verfehlte. Darüber<lb/>
kreiſchten die Spielenden alle auf, und Odyſſeus, deſſen<lb/>
Lager in der Nähe unter den Olivenbäumen war, er¬<lb/>
wachte. Horchend richtete er ſich auf und ſprach zu<lb/>ſich ſelber: „In welcher Menſchen Gebiet bin ich ge¬<lb/>
kommen? Bin ich unter wilde Räuberhorden gerathen?<lb/>
Doch deucht mir, ich hörte luſtige Mädchenſtimmen, wie<lb/>
von Berg- oder Quellennymphen! Da bin ich doch wohl<lb/>
in der Nähe von geſitteten Menſchenkindern!“</p><lb/><p>So ſprach er zu ſich, und indem er mit der ner¬<lb/>
vichten Rechten aus dem verwachſenen Gehölz einen<lb/>
dichtbelaubten Zweig abbrach und ſeine Blöße damit be¬<lb/>
deckte, tauchte er aus dem Dickicht hervor, und, von der<lb/>
Noth gedrängt, erſchien er wie ein wilder Berglöwe<lb/>
unter den zarten Jungfrauen. Er war von dem Meeres¬<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[103/0125]
ausgebreitet, wo reingeſpülte Kieſel eine Steinbank bil¬
deten. Alsdann erfriſchten ſich die Mädchen ſelbſt im
Bade und nachdem ſie ſich mit duftigem Oele geſalbt,
verzehrten ſie das mitgebrachte Mahl fröhlich am grünen
Ufer und harrten, bis ihre Wäſche an den Sonnen¬
ſtrahlen getrocknet wäre.
Nach dem Frühſtücke erluſtigten ſich die Jungfrauen
mit Tanz und Ballſpiel auf der Wieſe, nachdem ſie ihre
Schleier und was von Kleidern ſie hindern konnte, ab¬
gelegt. Nauſikaa ſelbſt ſtimmte zuerſt den Geſang dazu
an, an hohem Haupt und edlem Angeſichte vor allen
den reizenden Mädchen hervorragend. Die Jungfrauen
thaten ihr alle nach, und ihre Fröhlichkeit war groß.
Wie nun die Königstochter einmal den Ball nach einer
Geſpielin warf, da lenkte ihn die unſichtbar gegenwärtige
Göttin Athene ſo, daß er in die Tiefe des Flußſtrudels
fallen mußte, und das Mädchen verfehlte. Darüber
kreiſchten die Spielenden alle auf, und Odyſſeus, deſſen
Lager in der Nähe unter den Olivenbäumen war, er¬
wachte. Horchend richtete er ſich auf und ſprach zu
ſich ſelber: „In welcher Menſchen Gebiet bin ich ge¬
kommen? Bin ich unter wilde Räuberhorden gerathen?
Doch deucht mir, ich hörte luſtige Mädchenſtimmen, wie
von Berg- oder Quellennymphen! Da bin ich doch wohl
in der Nähe von geſitteten Menſchenkindern!“
So ſprach er zu ſich, und indem er mit der ner¬
vichten Rechten aus dem verwachſenen Gehölz einen
dichtbelaubten Zweig abbrach und ſeine Blöße damit be¬
deckte, tauchte er aus dem Dickicht hervor, und, von der
Noth gedrängt, erſchien er wie ein wilder Berglöwe
unter den zarten Jungfrauen. Er war von dem Meeres¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/125>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.