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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

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rief dieser ihm lächelnd zu; "nicht mein Helm, den du
anzustaunen scheinst, oder mein hohler Schild in der Lin¬
ken halten die Stöße von meinem Leibe ab; vielmehr
trage ich diese Schutzwaffen als bloßen Zierrath, wie
auch wohl der Kriegsgott Mars zuweilen zum Scherze
Waffen anzulegen pflegt, deren er doch gewiß nicht bedarf,
seinen Götterleib zu schirmen. Wenn ich alle Bedeckung
von mir werfe, so wirst du mir doch die Haut mit deinem
Speere nicht ritzen können. Wisse, daß ich am ganzen
Leibe fest wie Eisen bin, und daß es etwas heißt, nicht
etwa der Sohn einer Meernymphe zu seyn, nein der
geliebte Sohn dessen, der dem Nereus und seinen Töch¬
tern und allen Meeren gebeut. Erfahre, daß du dem
Sohne Poseidons selbst gegenüber stehst!" Mit diesen
Worten schleuderte er seinen Speer auf den Peliden, und
durchbohrte damit die Wölbung seines Schildes, so daß
derselbe durch das Erz und die neun ersten Stierhäute
der göttlichen Waffe hindurchdrang: erst in der zehnten
Lage blieb das Wurfgeschoß stecken. Achilles aber schüt¬
telte den Speer aus dem Schilde, und sandte dafür den
seinigen gegen den Göttersohn ab. Aber der Leib des
Feindes blieb unverwundet. Selbst das dritte Geschoß,
das der Pelide absandte, blieb ohne Wirkung. Jetzt ge¬
rieth Achilles in Wuth, wie ein Stier im Thiergefechte,
dem ein rothes Tuch vorgehalten wird und der mit den
Hörnern in die Luft gestoßen hat. Noch einmal warf er
die Lanze aus Eschenholz nach Cygnus, traf diesen auch
wirklich an der linken Schulter, und jubelte laut auf, denn
die Schulter war blutig. Doch seine Freude war vergeb¬
lich; das Blut war nicht Blut des Göttersohnes; es war
der Blutstrahl des Menoetes, eines neben Cygnus fechtenden

rief dieſer ihm lächelnd zu; „nicht mein Helm, den du
anzuſtaunen ſcheinſt, oder mein hohler Schild in der Lin¬
ken halten die Stöße von meinem Leibe ab; vielmehr
trage ich dieſe Schutzwaffen als bloßen Zierrath, wie
auch wohl der Kriegsgott Mars zuweilen zum Scherze
Waffen anzulegen pflegt, deren er doch gewiß nicht bedarf,
ſeinen Götterleib zu ſchirmen. Wenn ich alle Bedeckung
von mir werfe, ſo wirſt du mir doch die Haut mit deinem
Speere nicht ritzen können. Wiſſe, daß ich am ganzen
Leibe feſt wie Eiſen bin, und daß es etwas heißt, nicht
etwa der Sohn einer Meernymphe zu ſeyn, nein der
geliebte Sohn deſſen, der dem Nereus und ſeinen Töch¬
tern und allen Meeren gebeut. Erfahre, daß du dem
Sohne Poſeidons ſelbſt gegenüber ſtehſt!“ Mit dieſen
Worten ſchleuderte er ſeinen Speer auf den Peliden, und
durchbohrte damit die Wölbung ſeines Schildes, ſo daß
derſelbe durch das Erz und die neun erſten Stierhäute
der göttlichen Waffe hindurchdrang: erſt in der zehnten
Lage blieb das Wurfgeſchoß ſtecken. Achilles aber ſchüt¬
telte den Speer aus dem Schilde, und ſandte dafür den
ſeinigen gegen den Götterſohn ab. Aber der Leib des
Feindes blieb unverwundet. Selbſt das dritte Geſchoß,
das der Pelide abſandte, blieb ohne Wirkung. Jetzt ge¬
rieth Achilles in Wuth, wie ein Stier im Thiergefechte,
dem ein rothes Tuch vorgehalten wird und der mit den
Hörnern in die Luft geſtoßen hat. Noch einmal warf er
die Lanze aus Eſchenholz nach Cygnus, traf dieſen auch
wirklich an der linken Schulter, und jubelte laut auf, denn
die Schulter war blutig. Doch ſeine Freude war vergeb¬
lich; das Blut war nicht Blut des Götterſohnes; es war
der Blutſtrahl des Menoetes, eines neben Cygnus fechtenden

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[69/0091] rief dieſer ihm lächelnd zu; „nicht mein Helm, den du anzuſtaunen ſcheinſt, oder mein hohler Schild in der Lin¬ ken halten die Stöße von meinem Leibe ab; vielmehr trage ich dieſe Schutzwaffen als bloßen Zierrath, wie auch wohl der Kriegsgott Mars zuweilen zum Scherze Waffen anzulegen pflegt, deren er doch gewiß nicht bedarf, ſeinen Götterleib zu ſchirmen. Wenn ich alle Bedeckung von mir werfe, ſo wirſt du mir doch die Haut mit deinem Speere nicht ritzen können. Wiſſe, daß ich am ganzen Leibe feſt wie Eiſen bin, und daß es etwas heißt, nicht etwa der Sohn einer Meernymphe zu ſeyn, nein der geliebte Sohn deſſen, der dem Nereus und ſeinen Töch¬ tern und allen Meeren gebeut. Erfahre, daß du dem Sohne Poſeidons ſelbſt gegenüber ſtehſt!“ Mit dieſen Worten ſchleuderte er ſeinen Speer auf den Peliden, und durchbohrte damit die Wölbung ſeines Schildes, ſo daß derſelbe durch das Erz und die neun erſten Stierhäute der göttlichen Waffe hindurchdrang: erſt in der zehnten Lage blieb das Wurfgeſchoß ſtecken. Achilles aber ſchüt¬ telte den Speer aus dem Schilde, und ſandte dafür den ſeinigen gegen den Götterſohn ab. Aber der Leib des Feindes blieb unverwundet. Selbſt das dritte Geſchoß, das der Pelide abſandte, blieb ohne Wirkung. Jetzt ge¬ rieth Achilles in Wuth, wie ein Stier im Thiergefechte, dem ein rothes Tuch vorgehalten wird und der mit den Hörnern in die Luft geſtoßen hat. Noch einmal warf er die Lanze aus Eſchenholz nach Cygnus, traf dieſen auch wirklich an der linken Schulter, und jubelte laut auf, denn die Schulter war blutig. Doch ſeine Freude war vergeb¬ lich; das Blut war nicht Blut des Götterſohnes; es war der Blutſtrahl des Menoetes, eines neben Cygnus fechtenden

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/91>, abgerufen am 24.04.2024.