bedürftig, sich von dem Kampfplatze zurückgezogen hätten. Und so begaben sich die Mysier nach ihrer Königsstadt, die Griechen nach ihrem Ankerplatze zurück, nachdem von beiden Seiten viele tapfere Männer gefallen, viele ver¬ wundet waren. Am folgenden Tage schickten beide Theile Gesandte wegen eines Waffenstillstandes, damit die Leiber der Gefallenen zusammengesucht und begraben werden könnten. Jetzt erst erfuhren die Griechen zu ihrem Stau¬ nen, daß der König, der sein Gebiet so heldenmüthig ver¬ theidigt habe, ihr Volksgenosse und der Sohn ihres grö߬ ten Halbgottes sey, und Telephus ward mit Schmerzen inne, daß ihm Bürgerblut an den Händen klebe. Nun fand es sich auch, daß im griechischen Heere drei Fürsten waren, Tlepolemus, ein Sohn des Herkules, Phidippus und Antiphus, Söhne des Königes Thessalus und Enkel des Herkules, diese drei also Verwandte des Königes Telephus. Diese nun erboten sich, im Geleite der mysi¬ schen Gesandten vor ihren Bruder und Vetter Telephus zu gehen und ihm näher zu berichten, wer die Griechen seyen, die an seiner Küste gelandet, und in welcher Absicht sie nach Asien kämen. Der König Telephus nahm seine Verwandte liebreich auf und konnte sich nicht genug von ihnen erzählen lassen. Da erfuhr er, wie Paris mit seinem Frevel ganz Griechenland beleidigt hatte, und Menelaus mit seinem Bruder Agamemnon und allen verbünde¬ ten Griechenfürsten aufgebrochen sey. "Darum," sprach Tlepolemus, der, als ein leiblicher Halbbruder des Köni¬ ges, für die Uebrigen das Wort führte, "lieber Bruder und Landsmann, entzeuch dich deinem Volke nicht, für das ja auch unser lieber Vater Herkules an allen Orten und Enden der Welt gestritten, von dessen Vaterlandsliebe
bedürftig, ſich von dem Kampfplatze zurückgezogen hätten. Und ſo begaben ſich die Myſier nach ihrer Königsſtadt, die Griechen nach ihrem Ankerplatze zurück, nachdem von beiden Seiten viele tapfere Männer gefallen, viele ver¬ wundet waren. Am folgenden Tage ſchickten beide Theile Geſandte wegen eines Waffenſtillſtandes, damit die Leiber der Gefallenen zuſammengeſucht und begraben werden könnten. Jetzt erſt erfuhren die Griechen zu ihrem Stau¬ nen, daß der König, der ſein Gebiet ſo heldenmüthig ver¬ theidigt habe, ihr Volksgenoſſe und der Sohn ihres grö߬ ten Halbgottes ſey, und Telephus ward mit Schmerzen inne, daß ihm Bürgerblut an den Händen klebe. Nun fand es ſich auch, daß im griechiſchen Heere drei Fürſten waren, Tlepolemus, ein Sohn des Herkules, Phidippus und Antiphus, Söhne des Königes Theſſalus und Enkel des Herkules, dieſe drei alſo Verwandte des Königes Telephus. Dieſe nun erboten ſich, im Geleite der myſi¬ ſchen Geſandten vor ihren Bruder und Vetter Telephus zu gehen und ihm näher zu berichten, wer die Griechen ſeyen, die an ſeiner Küſte gelandet, und in welcher Abſicht ſie nach Aſien kämen. Der König Telephus nahm ſeine Verwandte liebreich auf und konnte ſich nicht genug von ihnen erzählen laſſen. Da erfuhr er, wie Paris mit ſeinem Frevel ganz Griechenland beleidigt hatte, und Menelaus mit ſeinem Bruder Agamemnon und allen verbünde¬ ten Griechenfürſten aufgebrochen ſey. „Darum,“ ſprach Tlepolemus, der, als ein leiblicher Halbbruder des Köni¬ ges, für die Uebrigen das Wort führte, „lieber Bruder und Landsmann, entzeuch dich deinem Volke nicht, für das ja auch unſer lieber Vater Herkules an allen Orten und Enden der Welt geſtritten, von deſſen Vaterlandsliebe
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bedürftig, ſich von dem Kampfplatze zurückgezogen hätten.
Und ſo begaben ſich die Myſier nach ihrer Königsſtadt,
die Griechen nach ihrem Ankerplatze zurück, nachdem von
beiden Seiten viele tapfere Männer gefallen, viele ver¬
wundet waren. Am folgenden Tage ſchickten beide Theile
Geſandte wegen eines Waffenſtillſtandes, damit die Leiber
der Gefallenen zuſammengeſucht und begraben werden
könnten. Jetzt erſt erfuhren die Griechen zu ihrem Stau¬
nen, daß der König, der ſein Gebiet ſo heldenmüthig ver¬
theidigt habe, ihr Volksgenoſſe und der Sohn ihres grö߬
ten Halbgottes ſey, und Telephus ward mit Schmerzen
inne, daß ihm Bürgerblut an den Händen klebe. Nun
fand es ſich auch, daß im griechiſchen Heere drei Fürſten
waren, Tlepolemus, ein Sohn des Herkules, Phidippus
und Antiphus, Söhne des Königes Theſſalus und Enkel
des Herkules, dieſe drei alſo Verwandte des Königes
Telephus. Dieſe nun erboten ſich, im Geleite der myſi¬
ſchen Geſandten vor ihren Bruder und Vetter Telephus
zu gehen und ihm näher zu berichten, wer die Griechen
ſeyen, die an ſeiner Küſte gelandet, und in welcher Abſicht
ſie nach Aſien kämen. Der König Telephus nahm ſeine
Verwandte liebreich auf und konnte ſich nicht genug von
ihnen erzählen laſſen. Da erfuhr er, wie Paris mit ſeinem
Frevel ganz Griechenland beleidigt hatte, und Menelaus
mit ſeinem Bruder Agamemnon und allen verbünde¬
ten Griechenfürſten aufgebrochen ſey. „Darum,“ ſprach
Tlepolemus, der, als ein leiblicher Halbbruder des Köni¬
ges, für die Uebrigen das Wort führte, „lieber Bruder
und Landsmann, entzeuch dich deinem Volke nicht, für das
ja auch unſer lieber Vater Herkules an allen Orten und
Enden der Welt geſtritten, von deſſen Vaterlandsliebe
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/72>, abgerufen am 24.11.2024.
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